Archiv für August 29, 2012

Alemannia Aachen vs. RWE: Den freien Fall gestoppt. Vorerst.

Ich habe gerade das Internet leer gelesen. Jedenfalls was die Berichte über das 1:1 des FC Rot-Weiß Erfurt bei Alemannia Aachen betrifft. Sehr viel schlauer bin ich nicht geworden. Im Grunde hätte ich es auch beim RWE-Ticker belassen können. Soviel jedoch scheint klar: Christian Preußer hat es geschafft die Mannschaft so zu stabilisieren, dass Sie bei einem Aufstiegsaspiranten ein verdientes Remis erreichte. Da er nicht selbst gespielt hat, ist es naheliegend, dass die von ihm vorgenommenen taktischen und personellen Änderungen dabei eine gewisse Rolle spielten.

Kleine taktische Revolution beim RWE: eine 4-2-3-1-Formation

Bertram, Tunjic und Rauw auf die Bank zu setzen war nach den bisherigen Saisonleistungen der drei Spieler konsequent. Sie wurden durch Czichos, Oumari und Strangl ersetzt, wobei vor allem Letzterem eine auffällige Partie nachgesagt wird. Dass er durch seine Dynamik dem Mittelfeldspiel gut tun könnte, hatte er bereits im Spiel gegen West Ham angedeutet.

Offensichtlich hat Preußer aber auch die taktische Ausrichtung der Mannschaft verändert. In allen Spielen unter Stefan Emmerling startete das Team mit einem 4-4-2: zwei Stürmer und eine flache Mittelfeldviererkette (also keine Raute) standen vor der Abwehr. Gestern verzichtete Preußer auf Tunjic, Morabit war der einzige nominelle Stürmer (der sich wohl ab und an mit Drexler ablöste). Es blieb bei zwei Sechsern (Engelhardt und Pfingsten-Reddig), davor spielten Czichos und Drexler auf den Flügeln und Möhwald als zentraler offensiver Mittelfeldspieler. Exakt die Position, die er unter Preußer auch bei den A-Junioren innehatte. Preußer stellte mithin auf ein 4-2-3-1-System um.

Allein die zahlenmäßige Aufwertung des Mittelfeldes scheint eine gewisse Konsolidierung der Defensiv-Offensiv-Balance mit sich gebracht zu haben, einhergehend mit einem deutlich konsequenteren Zweikampfverhalten. Gern möchte ich auch den Schilderungen glauben, die eine Verbesserung des Flügelspiels beobachtet haben wollen. Aber es wäre vermessen daraus bereits einen Trend ablesen zu wollen. Dazu kann ich erst nach dem Spiel gegen den BVB Verbindlicheres sagen. Hoffe ich jedenfalls.

Preußer ist Rombachs Favorit

Rolf Rombach hat offensichtlich die Absicht Christian Preußer als Cheftrainer zu berufen, sollte die Mannschaft am Samstag gegen den BVB gewinnen. Und würde damit das wohl größte Risiko seiner RWE-Präsidentschaft eingehen. Einerseits. Andererseits ist jede Entscheidung für einen neuen Trainer in dieser Situation ein Risiko. Man mag von den fachlichen, rhetorischen und menschlichen Qualitäten eines Coaches noch so überzeugt sein, eine Gewähr für sportlichen Erfolg sind sie nicht. Trotzdem wäre das eine sehr mutige Entscheidung, denn Christian Preußer hat keinerlei Meriten als Trainer im Profibereich vorzuweisen, ja mehr noch: er war nicht mal Profifußballer.

Aber, das waren Mirko Slomka und Ralf Rangnick ebenfalls nicht (vielen Dank an „RWE-Chris“ für den Hinweis). Beide zählen zu den profiliertesten Fußballlehrern des Landes. Arrigo Sacchi, Trainer der brillanten Mannschaft des AC Mailand Ende der 80iger Jahre, sagte man nach, dass er nur mit Mühe geradeaus laufen konnte, geschweige denn in der Lage war, unfallfrei vor einen Ball zu treten. Andere Beispiele erfolgreicher Trainer ohne vorhergehende Profikarriere sind Volker Finke und Christoph Daum.

Ein grandioses Beispiel wie ein A-Jugendtrainer einen Verein vor dem Abstieg rettete, lieferte in der vergangenen Saison der SC Freiburg. Nach der Hinrunde noch abgeschlagener Tabellenletzter, holte Christian Streich mit dem Sportclub 27 Punkte in der Rückrunde und wurde für diese Leistung – völlig zu Recht – Dritter bei der Umfrage zum Trainer des Jahres. (Bei mir hätte er sie übrigens gewonnen.) Deshalb: Die mangelnde Erfahrung im Profibereich ist aus meiner Sicht kein stichhaltiges Argument gegen Christian Preußer.

Viel essenzieller für den Erfolg Preußers wird sein, dass Mitglieder, Vorstand, Aufsichtsrat und Anhängerschaft des Vereins auch noch hinter dieser Entscheidung und ihrem jungen Trainer stehen, wenn mal zwei Spiele nacheinander verloren gehen. Dieser Fall wird eintreten, früher oder später.

Last but not least: Die Mannschaft muss den Trainer akzeptieren. Das lässt sich nicht verordnen. Der Vorstand sollte sich sehr sicher sein, dass gerade die erfahrenen Spieler hinter Preußers Stil und Konzept stehen. Dabei sollte man leicht dahin gelabernden Lippenbekenntnissen misstrauen. Die werden bereits bei geringsten Differenzen keinen Wert mehr besitzen.

Zusammenfassung im Konjunktiv (weil es allein von der sportlichen Entwicklung abhängig ist, ob es dazu kommt): Aus rein fachlicher Sicht würde ich eine Berufung Christian Preußers für völlig gerechtfertigt erachten. Trotzdem ginge der Verein, namentlich Rolf Rombach, damit ein exorbitantes Risiko ein. Ein größeres Risiko jedenfalls, als mit der Berufung eines anerkannten, erfahrenen Fußballlehrers. Im Falle des Misserfolges (Definition Misserfolg: der RWE setzt sich auf den Abstiegsplätzen fest) werden alle die es mit Rolf Rombach nicht so gut meinen (und das scheinen angesichts der Wortmeldungen der letzten Tage nicht wenige zu sein) einen Shitstorm bisher ungeahnten Ausmaßes in seine Richtung lostreten.

Dem Präsidenten des RWE steht also – möglicherweise – in den nächsten Tagen eine Entscheidung bevor, um die ich ihn nicht beneide.

Stefan Emmerling: eine kritische Würdigung

Kurz nach 21 Uhr brannte die Luft am Steinhaus, dem Sitz der Geschäftsstelle des FC Rot-Weiß Erfurt. Der Verein war gerade abgestiegen. Zumindest gefühlt. Jedem war klar, dass nach dieser demütigenden 0:3 Niederlage gegen den Rivalen aus Jena die Zeit von Rainer Hörgl als Trainer des Vereins abgelaufen war.

Staubtrockene Sachlichkeit, das richtige Rezept nach Hörgls Abgang

Genau eine Woche darauf, am 31. März 2010, gab Stefan Emmerling in München sein Debüt als Cheftrainer des RWE. Und verlor mit 0:1. In den folgenden Spielen gelang es ihm, die Mannschaft zu stabilisieren. Nach dem taktischen Hin und Her der kurzen «Ära» Hörgl, der manchmal in einem 4-4-2 mit Raute, machmal in einem 4-2-3-1 spielen ließ, verordnete Emmerling seinem Team ein robustes 4-4-2 (mit Viererkette im Mittelfeld), an dem er bis zu seinem letzten Spiel für den Verein festhielt. Die Mannschaft, die er übernahm, war keinesfalls der desolate Hühnerhaufen, als den viele ihn damals darstellten und Rainer Hörgl mitnichten der arrogante, kenntnisfreie Wessi, den man in ihm zu sehen glaubte. Aber – der Wechsel tat dem Team gut. Emmerlings hypersachliche, verbindliche Ansprache an Mannschaft und Öffentlichkeit waren geeignet, Letztere zu beruhigen und mit Ersterer die Serie sehr anständig auf einem versöhnlichen 9. Platz zu beenden. Der Fairness halber sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass bei diesem Erfolg dem zwanzigjährigen Carsten Kammlott eine entscheidende Rolle zukam. Er wiederum war von Rainer Hörgl in das Profiteam integriert worden.

Der große Umbruch 2010/2011 wurde glänzend bewältigt

Mit Cinaz, Rockenbach und Kammlott (u.a.) verließen drei hochwertige Leistungsträger den Verein. Die von Emmerling verpflichteten Neuzugänge erwiesen sich, nach einer gewissen Eingewöhnungsphase, als geeignet sie zu ersetzen. Caillas, Zedi, Pfingsten-Reddig, Weidlich und Reichwein, mit Abstrichen Drexler, sollten Gesicht und Spielweise der Mannschaft in den nächsten beiden Jahren prägen. Es wurde – völlig unerwartet – eine insgesamt sehr gute Saison, die der RWE auf Platz 5 beendete. Ihren Höhepunkt erreichte sie beim großartigen, so verdienten wie abgebrüht erspielten 3:1 Sieg vor 30.000 Zuschauern in Dresden. Licht und Schatten liegen beim RWE schon immer nah beieinander, quasi zweiter Vereinsname: FC Licht und Schatten Erfurt. Das änderte sich auch unter Stefan Emmerling nicht. Der greifbar nahe Relegationsplatz wurde durch zwei desolate Auftritte gegen Regensburg und Ahlen wieder hergeschenkt. Ein Einbruch zum Saisonende, unvermittelt und bis heute rätselhaft, der das Verhältnis der Anhänger zu Emmerlings Mannschaft dauerhaft beschädigen sollte. Das Vertrauen war nie uneingeschränkt, aber es war groß. Von nun an war die Beziehung brüchig.

Schon nicht mehr ganz so überzeugend: Die Neuzugänge der zweiten Saison

Rauw, Ofosu-Ayeh, Oumari, Manno und Morabit hießen – im Wesentlichen – die neuen Spieler vor der Saison 2011/2012. Von diesen Verpflichtungen konnte nur Smail Morabit restlos überzeugen. Er bildete – gemeinsam mit Reichwein – ein Sturmduo, dass so vermutlich auch eine Liga höher keine schlechte Figur abgeben würde. Aus sehr unterschiedlichen Gründen reüssierten die anderen Neuzugänge nicht in gleicher Weise. Wobei das auch eine Sache der Wahrnehmung war. Ich persönlich empfand Manno beispielsweise als großen Gewinn. Meistens auf einer für ihn ungewohnten Position eingesetzt, war er ein lauf- und kampfstarker, technisch versierter Spieler. Für meinen Geschmack zu viele positiv besetzte Adjektive, um ihn zum Ende der Spielzeit sang- und klanglos aus seinem noch laufenden Vertrag zu entlassen. Ein Problem dieser Saison lag zweifelsfrei in dem Missverhältnis zwischen schlechten Heimspielen und Auswärtserfolgen. Während die Heimbilanz lange Zeit die eines Absteigers war, überzeugte die Mannschaft oft nur fernab ihres Publikums. Das ist schlecht für den emotionalen Haushalt. Fans wollen Siege feiern. Dazu kam – erneut – die Erfurter Unstetigkeit. Außer am Ende, als es bereits zu spät war, gelang keine nennenswerte Erfolgsserie. Man lag immer in Sichtweite des Relegationsplatzes, versäumte allerdings jede Gelegenheit Druck auf die besser platzierten Teams auszuüben. Emmerling traf während der Saison richtige und falsche Entscheidungen. So wie jeder andere Trainer. Beispielsweise war es richtig, durchweg an Marcel Reichwein festzuhalten. Trotz Pfiffen und massiver Kritik von Teilen des Publikums und vor allem entgegen den verbalen Attacken eines völlig aus dem Ruder laufenden Pressesprechers Wilfried Mohren.

Kritisch bewerte ich die taktische Entwicklung des Teams während der Saison. Beziehungsweise den Mangel daran. Im Grunde gab es, was die taktische Qualität der Auftritte betrifft, keinen Unterschied zwischen erster und zweiter Saisonhälfte. Es gab da und dort gute wie schlechte Spiele. Spiele, in denen das Pressing funktionierte, andere in denen es grandios misslang (wie in Jena). Bei einem der grottigsten Auftritte der Mannschaft, in Offenbach, wirkten die Spieler, als stünden sie zum ersten Mal gemeinsam auf einem Fußballplatz. Die Implementierung und Verstetigung taktischer Disziplin ist anderen Trainern der Liga besser geglückt. In Sandhausen, Aalen und Regensburg (in tiefster Fußball-Provinz also, was ich nicht für einen Zufall halte) gelang so der Aufstieg in Liga 2.

Immer im Bereich des Möglichen: Die Neuen funktionieren nicht

Wie wir alle wissen, ist es schwer, aus dieser Liga aufzusteigen. Anders herum vergleichsweise einfach. Die hohe Fluktuation der Kader erschwert eine saisonübergreifende taktische Entwicklung der Mannschaften enorm. Man muss sich nur einmal grundlegend vertun und – quasi aus dem Nichts – wird aus einem Verein mit dezenten Aufstiegsambitionen ein Abstiegskandidat. Je länger man sich in der Liga aufhält, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt. Das ist so, weil es ja in der Regel die Leistungsträger sind, die einen Verein der 3. Liga verlassen wollen. Um die Qualität zu halten, ist man gezwungen gute Spieler zu verpflichten oder auf andere Art (eigener Nachwuchs) in die Mannschaft zu integrieren.

Genau das ist dem RWE in dieser Saison (bisher) nicht gelungen. Bei Tunjc fragt man sich inzwischen, wie zum Henker er letztes Jahr elf Tore erzielt hat. Fillinger ist verletzt, niemand weiß wie lange. Öztürk stets bemüht. Czichos und Strangl sind gute Jungs, benötigen aber Zeit. Keiner hilft der Mannschaft momentan weiter. Am ehesten noch Kevin Möhwald, was einen doch sehr bedenklich stimmt. Hinzu kommt eine so rätselhafte wie epidemische Schwäche der erfahrenen Spieler. Hier kann man Emmerling die Frage nicht ersparen, ob offensichtliche Stammplatzgarantien – wie bei Rauw – dem Leistungsprinzip innerhalb der Mannschaft wirklich zuträglich waren.

Warum ist plötzlich Geld da, wo vorher keines war?

Die Auswahl der neuen Spieler hat Stefan Emmerling natürlich mitnichten allein zu verantworten. Auch wenn er wahrscheinlich – das kann ich nur vermuten – die letzte Instanz für die Entscheidungen war. Die notorisch degressive Finanzlage des Vereins ließ sportlich stärkere Verpflichtungen nicht zu. So hörte man. Bis gestern Rolf Rombach, praktisch in einem Atemzug mit der Verkündung der Entlassung, weitere Verpflichtungen in Aussicht stellte. Das hat einen sehr faden Beigeschmack. Warum verweigerte man Emmerling Geld, das nach seiner Entlassung plötzlich zur Verfügung zu stehen scheint?

Trotzdem: Nach dem Spiel gestern kann ich die Entscheidung sich von Stefan Emmerling zu trennen, nachvollziehen. Selbst die Begründung Rombachs war in Ordnung: Gegen biedere Bielefelder hätte es – bei allen benannten Problemen – mindestens zu einem Punkt reichen müssen. Selbst wenn man – wie ich – Verbesserungen in der Abstimmung zwischen Abwehr und Mittelfeld zu erkennen glaubte, die Performance im Offensivspiel war erbärmlich. Das Erspielen einiger Halbchancen ist zu wenig. Viel zu wenig.

Die wohl nur zweitweise Übergabe der Verantwortung an Preußer und Fuchs ergibt Sinn. Jeder der diesen Blog liest, wird wissen, dass ich von Christian Preußers Arbeit eine sehr hohe Meinung habe. Ich wünsche den beiden alles Fußallglück dieser Welt, ein gutes Händchen und Erfolg für die anstehenden Spiele gegen Aachen und den BVB. Gebrauchen können sie es – und wir mit ihnen.

Um Stefan Emmerling muss man sich nicht sorgen. Er ist ein großartiger, geradliniger Charakter und ein guter Trainer. Das wissen viele und deshalb wird er nicht lange auf den Anruf eines neuen Vereins warten müssen.

Ohne jeden Groll und mit großem Respekt: Vielen Dank für die hier geleistete Arbeit, Stefan Emmerling!

In the Heat of the Dorf: Erfolgreiches Wochenende für den RWE

Eine vergleichende Überlegung: Die beiden Bundesligisten Wolfsburg und Stuttgart gewinnen bei Sechstligisten jeweils mit 5:0. Der RWE gewinnt bei einem Siebtligisten 8:0. Da kann man nicht meckern. Tunjic und Göbel erzielten ihre ersten Pflichtspieltore im Trikot der Profimannschaft. Für beide ist das von Wert. Tunjic weiß um den Druck, unter dem er steht, da helfen auch Tore gegen eine Mannschaft der Landesklasse. Im Interview mit der TA von heute erklärt er, angesprochen auf die schlechten Auftritte in der Liga: «Insgesamt war jeder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, hat meist für sich gespielt. Dabei geht es nur gemeinsam.» Das mit dem «für sich gespielt» stimmt, das konnte jeder der wollte sehen. Allerdings frage ich mich, warum sich diese Besserung gelobende Schlußfolgerung erst nach fünf mehr oder weniger unzureichenden Darbietungen durchsetzt. Die meisten Spieler des RWE betreiben diesen Sport seit vielen Jahren auf einem hohen, professionellen Niveau. Die Erkenntnis, dass man mit Egoismen im Mannschaftssport Fußball nichts erreichen kann (auch nicht für sich selbst), sollte ihnen eigentlich unverrückbar präsent sein. Wollen wir hoffen, dass den Worten unseres Mittelstürmers kollektive Taten folgen.

Wie das den beiden oberen Nachwuchsmannschaften des RWE gelang. Die U17 gewann gegen Oldenburg mit 3:1. Mit demselben Resultat besiegte die U19 eine starke Rostocker Mannschaft (die eine Woche zuvor mit einem Sieg gegen Werder Bremen in die Liga gestartet war). Es wäre ein schieres Wunder, wenn die personellen Verwerfungen zum Saisonwechsel spurlos am Preußer-Team vorbei gegangen wären. An der fußballerischen Brillanz, die die Auftritte der letzten Saison des Öfteren zu einem Fußballvergnügen machten, muss (und wird) das Trainerteam um Christian Preußer weiter arbeiten. So benötigte man ein klein wenig Dusel, um die Drangphasen der Hanseaten zu überstehen. Die Mannschaft verteidigte im Kollektiv durchaus geschickt und nutzte – im Gegensatz zu Hansa – die sich bietenden Chancen konsequent. Auffällig gut spielte in der Innenverteidigung Kapitän Niklas Wittmann. Auch Sebastian Stolze scheint der Wechsel in die A-Jugendbundesliga keine Probleme zu bereiten. Das ist umso wichtiger, als die Mannschaft ihre bisherigen Torgaranten Ahrens und Göbel an die Profis abgegeben hat. Bemerkenswert: das hohe Tempo beider Mannschaften über 90 Minuten, trotz tropischer Temperaturen.

Der RWE im August 2012: Zum Stand der Dinge

Alle wollen in Osnabrück eine Verbesserung gesehen haben. Nun, gemessen am Größten Anzunehmenden Scheißspiel (GAS) der bisherigen Saison (in Halle) war es wohl eine. Aber dieser fußballerische Offenbarungseid sollte wohl kaum als Maßstab dienen. Wenn es so wie in Halle weitergegangen wäre, hätte man die Mannschaft gleich vom Spielbetrieb abmelden können.

Momentan liegt das Angriffsspiel in Trümmern

Im Vergleich zum Auftritt gegen die VfB-Reserve vermag ich allerdings nicht wirklich einen Fortschritt zu erkennen. Es fällt auf, dass in es den letzten beiden Auswärtsspielen keine zwingende Torchance für den RWE zu notieren gab. Das war in Wiesbaden noch anders. Dafür gibt es Gründe. Emmerling stellt schon nominell defensiver auf (mit dem Abwehrspieler Ofosu-Ayeh in der Mittelfeld-Viererkette) und die taktischen Vorgaben an die Mannschaft korrespondieren mit der Formation. Alles ist in erster Linie darauf ausgerichtet, Gegentore zu vermeiden: Wie Dominick Drexler in der gestrigen TA völlig richtig analysierte, beteiligen sich zu wenige Spieler an den Offensivaktionen. Er sprach von mindestens vier Spielern; Ralf Rangnick nannte letztens sogar die Zahl von fünf Akteuren, die in einen Angriff eingebunden sein müssen, wenn dieser gefährlich werden soll. Sonst fehlt es an allem, was einen Angriff zu einem solchen macht: an Breite (um die Abwehr des Kontrahenten auseinanderzuziehen), an Anspielstationen, und an der Möglichkeit, Überzahlsituationen zu erzeugen. Dies führt zu Verzweiflungsflanken auf den einen zentralen Stürmer, der in der Regel von mehreren Gegenspielern abgedeckt und somit chancenlos ist, mit so einem Ball etwas anzufangen. Wenigstens wurde in Osnabrück konsequent versucht, Ballverluste im Vorwärtsgang zu vermeiden. So wurde, wenn keine Passoption verblieb, einfach aufs Tor geschossen. Meist aus recht aussichtsloser Lage. Aber selbst diese Vermeidung von Ballverlusten muss man ambivalent bewerten, denn sie führte auch dazu, dass nur selten schnell und direkt gespielt wurde. Was wiederum eigentlich die einzige Option darstellt, eine Unterzahlsituation erfolgreich aufzulösen.

Wie gehabt: Taktische und individuelle Fehler im Abwehrverhalten

Über all das müsste man nicht so viele Worte verlieren, wenn die eigentliche Intention einer defensiven Spielweise erfüllt worden wäre: Vermeidung von gegnerischen Großchancen. Aber bereits vor dem Führungstor und der Herausstellung von Oumari hatte der VfL einige gute Einschussmöglichkeiten, danach sowieso.

Zwei exemplarische Szenen, die das derzeitige Dilemma verdeutlichen: Das zentrale Mittelfeld attackiert im Gegenpressing einen VfL-Spieler in Höhe des Mittelkreises, bekommt aber keinen Zugriff auf ihn und kann auch den einfachen Pass in den dahinter liegenden Raum nicht unterbinden. Eine Szene aus der Taktikhölle, weil beide Sechser sofort aus dem Spiel sind. Manno kann den Ball in aller Ruhe kontrollieren, sich orientieren und mit einem Torschuss abschließen (1. Halbzeit). Szene zwei: Vor dem Pfostenschuss von Nagy trabt Bernd Rauw schattenhaft neben diesem her und wirkt dabei wie die Karikatur eines Verteidigers.

Diese unselige Verquickung von taktischen Unfertigkeiten und individuellem Larifari war leider auch in Osnabrück das größte Manko des RWE. Wie konzentriertes Defensivspiel aussehen kann, konnte man sich im Livestream des mdr am Sonntag bei Hansa gegen den CFC ansehen. In der 2. Halbzeit bekamen beide Mannschaften nach vorne kaum etwas auf die Reihe, trotzdem war der CFC die überlegene Mannschaft – mit gefühlten 80 Prozent Ballbesitz. Wer Fan der Chemnitzer ist, konnte sich die Sache relativ entspannt betrachten, denn eines war klar: hinten stand der CFC so ungemein stabil – Hansa hätte bis zur Wiederauferstehung Störtebekers spielen können und trotzdem kein Tor erzielt. Von dieser defensiven Grundsicherheit ist der RWE derzeit ganze Fußballuniversen entfernt, und das trotz einer auf die Abwehr hin konzipierten Spielweise.

Was tun?

Kein vernunftbegabter Trainer, dessen Mannschaft nach fünf Spieltagen Tabellenletzter ist, würde eine Mitschuld an dieser Situation leugnen. Das tut auch Stefan Emmerling im heutigen Interview der Thüringer Allgemeinen nicht. Alles, was er darin sagt ist richtig. Alles, bis auf eines. Die Verpflichtung eines Stürmers „der aus dem Nichts Tore schießen kann“, wird wohl ein Traum bleiben. Keine Ahnung, wer ihm da vorschwebt. Zlatan Ibrahimović? Abgesehen von diesem Kaliber (aber im Grunde natürlich auch dort), sind Mittelstürmer auf die Zuarbeit ihrer Mitspieler angewiesen. Was nicht bedeutet, dass ein Stürmer nicht auch mal aus einer Einzelaktion heraus unvermittelt ein Tor schießt. Allerdings ist dies die Ausnahme, quasi Sahnehäubchen auf Torte. Ansonsten gilt (und es gilt umso mehr, je höher die Qualität der Liga ist): Stürmer sind das letzte Glied einer komplizierten Produktionskette namens Fußball. Sie sehen halt immer nur sehr dumm aus, wenn sie mit leeren Händen die Fabrikhalle verlassen. Schuld an der Misere sind jedoch meist andere.

Deshalb sehe ich das Problem des RWE vordergründig nicht im Sturm. Sollte Rolf Rombach noch einmal Zugriff auf die Schatulle eines Sponsors erhalten, würde ich eher einen lauf- und zweikampfstarken defensiven Mittelfeldspieler holen. Typ: Bender-Zwillinge, Luiz Gustavo. Einen Staubsauger vor der Abwehr, der zum einen diese entlastet und zum anderen den Kreativspielern mehr Sicherheit (sprich Absicherung) gibt. Außerdem ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, das nominelle 4-4-2 wenigstens zu hinterfragen. Im Grunde handelte es sich immer schon um ein 4-4-1-1, weil so gut wie nie zwei Stürmer im Strafraum auf ein Zuspiel warten. Morabit war bereits in der letzten Saison der freie Radikale hinter der Spitze (Reichwein). Um mehr Breite der Angriffe sicherzustellen, würde ich ihn und Drexler konsequent auf den Flügeln positionieren. (In der Grundordnung wohlgemerkt, denn natürlich sollen sie rochieren und Überzahlsituationen auf den Flügeln und im Zentrum schaffen). Dann wäre Platz für Möhwald im zentralen offensiven Mittelfeld – hier liegt ohnehin seine größte Stärke. Im Sturmzentrum wäre Tunjic meine erste Wahl. Auf den Sechserpositionen: Pfingsten-Reddig für den Spielaufbau aus der Abwehr und – wie erwähnt – ein in erster Linie defensiv denkender und agierender Mittelfeldspieler. Wir hätten dann ein 4-2-3-1-System, von dem ich mir vor allem mehr Präsenz (aber auch Qualität) in der spielentscheidenden Zone verspreche. Zudem würde unser momentan lebloses Flügelspiel reanimiert. Mit dem derzeitigen Personal wäre das irgendwie auch abbildbar, jedoch halt nur irgendwie. Für Trial and Error geht uns aber langsam die Zeit aus. Ich sehe derzeit keinen Spieler im Kader, der diese zentrale defensive Aufgabe übernehmen könnte.

Viel Arbeit auf und neben dem Platz für Stefan Emmerling, seine Co-Trainer und vor allem für die Spieler. Die Mannschaft gleicht momentan einer Großbaustelle. Berliner Flughafen nichts dagegen. Ich sehe es positiv, dass jetzt zwei Wochen bis zum nächsten Ligaspiel gegen die Arminia bleiben. Vorbereitung 2.0, sozusagen. Vielleicht beginnt ja dann – mit fünf Spielen Verspätung – die Saison des FC Rot-Weiß Erfurt.

Hallescher FC vs. RWE 3:0 / Keine Hoffnung, nirgends

Morgen früh geht’s in den Urlaub. Venedig – nur ein paar Tage. Zu einer großen Analyse des Spiels fehlt mir also die Zeit. Lust sowieso. Wir haben es alle gesehen: Selbst gegen eines der individuell-technisch schwächeren Teams der 3. Liga war der FC Rot-Weiß Erfurt im Grunde chancenlos. Das soll die Leistung der Hallenser nicht schmälern. Sie verfügen über einen absolut drittligatauglichen Defensivverbund (der personelle Ausfälle gut ausgleichen kann), nutzen konsequent die sich ihnen bietenden Chancen und spielen ansonsten einen schnörkellosen hochprofessionellen Fußball. Mit einem Wort: Sie sind momentan das genaue Gegenteil des RWE.

Neue Erkenntnisse bot das Spiel kaum: Individuelle Fehler am Fließband (wenige große, viele kleine), taktisches Chaos in allen Mannschaftsteilen – Frauenhandtasche nichts dagegen, Auslassen der ohnehin wenigen Chancen. Wie gehabt. Mein derzeitiger Gemütszustand: Trostlos. Keine Ahnung wie man da schnell wieder rauskommen soll.

Am Dienstag bietet sich eine erneute Chance gegen die Reserve des VfB. Große Erwartungen habe ich nicht. Aber ich werde in der Serenissima am Liveticker hängen, nachdem ich in der Markuskirche einige Kerzen angezündet habe.

Wenn das nicht helfen sollte, geht’s gleich weiter nach Lourdes 😉

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