Stefan Emmerling: eine kritische Würdigung

Kurz nach 21 Uhr brannte die Luft am Steinhaus, dem Sitz der Geschäftsstelle des FC Rot-Weiß Erfurt. Der Verein war gerade abgestiegen. Zumindest gefühlt. Jedem war klar, dass nach dieser demütigenden 0:3 Niederlage gegen den Rivalen aus Jena die Zeit von Rainer Hörgl als Trainer des Vereins abgelaufen war.

Staubtrockene Sachlichkeit, das richtige Rezept nach Hörgls Abgang

Genau eine Woche darauf, am 31. März 2010, gab Stefan Emmerling in München sein Debüt als Cheftrainer des RWE. Und verlor mit 0:1. In den folgenden Spielen gelang es ihm, die Mannschaft zu stabilisieren. Nach dem taktischen Hin und Her der kurzen «Ära» Hörgl, der manchmal in einem 4-4-2 mit Raute, machmal in einem 4-2-3-1 spielen ließ, verordnete Emmerling seinem Team ein robustes 4-4-2 (mit Viererkette im Mittelfeld), an dem er bis zu seinem letzten Spiel für den Verein festhielt. Die Mannschaft, die er übernahm, war keinesfalls der desolate Hühnerhaufen, als den viele ihn damals darstellten und Rainer Hörgl mitnichten der arrogante, kenntnisfreie Wessi, den man in ihm zu sehen glaubte. Aber – der Wechsel tat dem Team gut. Emmerlings hypersachliche, verbindliche Ansprache an Mannschaft und Öffentlichkeit waren geeignet, Letztere zu beruhigen und mit Ersterer die Serie sehr anständig auf einem versöhnlichen 9. Platz zu beenden. Der Fairness halber sollte dabei nicht unerwähnt bleiben, dass bei diesem Erfolg dem zwanzigjährigen Carsten Kammlott eine entscheidende Rolle zukam. Er wiederum war von Rainer Hörgl in das Profiteam integriert worden.

Der große Umbruch 2010/2011 wurde glänzend bewältigt

Mit Cinaz, Rockenbach und Kammlott (u.a.) verließen drei hochwertige Leistungsträger den Verein. Die von Emmerling verpflichteten Neuzugänge erwiesen sich, nach einer gewissen Eingewöhnungsphase, als geeignet sie zu ersetzen. Caillas, Zedi, Pfingsten-Reddig, Weidlich und Reichwein, mit Abstrichen Drexler, sollten Gesicht und Spielweise der Mannschaft in den nächsten beiden Jahren prägen. Es wurde – völlig unerwartet – eine insgesamt sehr gute Saison, die der RWE auf Platz 5 beendete. Ihren Höhepunkt erreichte sie beim großartigen, so verdienten wie abgebrüht erspielten 3:1 Sieg vor 30.000 Zuschauern in Dresden. Licht und Schatten liegen beim RWE schon immer nah beieinander, quasi zweiter Vereinsname: FC Licht und Schatten Erfurt. Das änderte sich auch unter Stefan Emmerling nicht. Der greifbar nahe Relegationsplatz wurde durch zwei desolate Auftritte gegen Regensburg und Ahlen wieder hergeschenkt. Ein Einbruch zum Saisonende, unvermittelt und bis heute rätselhaft, der das Verhältnis der Anhänger zu Emmerlings Mannschaft dauerhaft beschädigen sollte. Das Vertrauen war nie uneingeschränkt, aber es war groß. Von nun an war die Beziehung brüchig.

Schon nicht mehr ganz so überzeugend: Die Neuzugänge der zweiten Saison

Rauw, Ofosu-Ayeh, Oumari, Manno und Morabit hießen – im Wesentlichen – die neuen Spieler vor der Saison 2011/2012. Von diesen Verpflichtungen konnte nur Smail Morabit restlos überzeugen. Er bildete – gemeinsam mit Reichwein – ein Sturmduo, dass so vermutlich auch eine Liga höher keine schlechte Figur abgeben würde. Aus sehr unterschiedlichen Gründen reüssierten die anderen Neuzugänge nicht in gleicher Weise. Wobei das auch eine Sache der Wahrnehmung war. Ich persönlich empfand Manno beispielsweise als großen Gewinn. Meistens auf einer für ihn ungewohnten Position eingesetzt, war er ein lauf- und kampfstarker, technisch versierter Spieler. Für meinen Geschmack zu viele positiv besetzte Adjektive, um ihn zum Ende der Spielzeit sang- und klanglos aus seinem noch laufenden Vertrag zu entlassen. Ein Problem dieser Saison lag zweifelsfrei in dem Missverhältnis zwischen schlechten Heimspielen und Auswärtserfolgen. Während die Heimbilanz lange Zeit die eines Absteigers war, überzeugte die Mannschaft oft nur fernab ihres Publikums. Das ist schlecht für den emotionalen Haushalt. Fans wollen Siege feiern. Dazu kam – erneut – die Erfurter Unstetigkeit. Außer am Ende, als es bereits zu spät war, gelang keine nennenswerte Erfolgsserie. Man lag immer in Sichtweite des Relegationsplatzes, versäumte allerdings jede Gelegenheit Druck auf die besser platzierten Teams auszuüben. Emmerling traf während der Saison richtige und falsche Entscheidungen. So wie jeder andere Trainer. Beispielsweise war es richtig, durchweg an Marcel Reichwein festzuhalten. Trotz Pfiffen und massiver Kritik von Teilen des Publikums und vor allem entgegen den verbalen Attacken eines völlig aus dem Ruder laufenden Pressesprechers Wilfried Mohren.

Kritisch bewerte ich die taktische Entwicklung des Teams während der Saison. Beziehungsweise den Mangel daran. Im Grunde gab es, was die taktische Qualität der Auftritte betrifft, keinen Unterschied zwischen erster und zweiter Saisonhälfte. Es gab da und dort gute wie schlechte Spiele. Spiele, in denen das Pressing funktionierte, andere in denen es grandios misslang (wie in Jena). Bei einem der grottigsten Auftritte der Mannschaft, in Offenbach, wirkten die Spieler, als stünden sie zum ersten Mal gemeinsam auf einem Fußballplatz. Die Implementierung und Verstetigung taktischer Disziplin ist anderen Trainern der Liga besser geglückt. In Sandhausen, Aalen und Regensburg (in tiefster Fußball-Provinz also, was ich nicht für einen Zufall halte) gelang so der Aufstieg in Liga 2.

Immer im Bereich des Möglichen: Die Neuen funktionieren nicht

Wie wir alle wissen, ist es schwer, aus dieser Liga aufzusteigen. Anders herum vergleichsweise einfach. Die hohe Fluktuation der Kader erschwert eine saisonübergreifende taktische Entwicklung der Mannschaften enorm. Man muss sich nur einmal grundlegend vertun und – quasi aus dem Nichts – wird aus einem Verein mit dezenten Aufstiegsambitionen ein Abstiegskandidat. Je länger man sich in der Liga aufhält, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt. Das ist so, weil es ja in der Regel die Leistungsträger sind, die einen Verein der 3. Liga verlassen wollen. Um die Qualität zu halten, ist man gezwungen gute Spieler zu verpflichten oder auf andere Art (eigener Nachwuchs) in die Mannschaft zu integrieren.

Genau das ist dem RWE in dieser Saison (bisher) nicht gelungen. Bei Tunjc fragt man sich inzwischen, wie zum Henker er letztes Jahr elf Tore erzielt hat. Fillinger ist verletzt, niemand weiß wie lange. Öztürk stets bemüht. Czichos und Strangl sind gute Jungs, benötigen aber Zeit. Keiner hilft der Mannschaft momentan weiter. Am ehesten noch Kevin Möhwald, was einen doch sehr bedenklich stimmt. Hinzu kommt eine so rätselhafte wie epidemische Schwäche der erfahrenen Spieler. Hier kann man Emmerling die Frage nicht ersparen, ob offensichtliche Stammplatzgarantien – wie bei Rauw – dem Leistungsprinzip innerhalb der Mannschaft wirklich zuträglich waren.

Warum ist plötzlich Geld da, wo vorher keines war?

Die Auswahl der neuen Spieler hat Stefan Emmerling natürlich mitnichten allein zu verantworten. Auch wenn er wahrscheinlich – das kann ich nur vermuten – die letzte Instanz für die Entscheidungen war. Die notorisch degressive Finanzlage des Vereins ließ sportlich stärkere Verpflichtungen nicht zu. So hörte man. Bis gestern Rolf Rombach, praktisch in einem Atemzug mit der Verkündung der Entlassung, weitere Verpflichtungen in Aussicht stellte. Das hat einen sehr faden Beigeschmack. Warum verweigerte man Emmerling Geld, das nach seiner Entlassung plötzlich zur Verfügung zu stehen scheint?

Trotzdem: Nach dem Spiel gestern kann ich die Entscheidung sich von Stefan Emmerling zu trennen, nachvollziehen. Selbst die Begründung Rombachs war in Ordnung: Gegen biedere Bielefelder hätte es – bei allen benannten Problemen – mindestens zu einem Punkt reichen müssen. Selbst wenn man – wie ich – Verbesserungen in der Abstimmung zwischen Abwehr und Mittelfeld zu erkennen glaubte, die Performance im Offensivspiel war erbärmlich. Das Erspielen einiger Halbchancen ist zu wenig. Viel zu wenig.

Die wohl nur zweitweise Übergabe der Verantwortung an Preußer und Fuchs ergibt Sinn. Jeder der diesen Blog liest, wird wissen, dass ich von Christian Preußers Arbeit eine sehr hohe Meinung habe. Ich wünsche den beiden alles Fußallglück dieser Welt, ein gutes Händchen und Erfolg für die anstehenden Spiele gegen Aachen und den BVB. Gebrauchen können sie es – und wir mit ihnen.

Um Stefan Emmerling muss man sich nicht sorgen. Er ist ein großartiger, geradliniger Charakter und ein guter Trainer. Das wissen viele und deshalb wird er nicht lange auf den Anruf eines neuen Vereins warten müssen.

Ohne jeden Groll und mit großem Respekt: Vielen Dank für die hier geleistete Arbeit, Stefan Emmerling!

9 comments

  1. …In Sandhausen, Ahlen und Regensburg (in tiefster Fußball-Provinz also, was ich nicht für einen Zufall halte) // Aalen bitte 🙂

  2. sonst perfekt analysiert, wie immer.

  3. Ahlen, Aalen, natürlich – ist schon geändert. Danke.

  4. @Michael Danke. Musste das Pro und Kontra einfach mal aufschreiben.

  5. Wie immer toll zu lesen und sachlich fachlich top !!

  6. Miko sagt:

    Einfach auf den Punkt getroffen, immer sachlich und relativ Objektiv. Mittlerweile ist dieser Blog, neben den überregionalen Tageszeitungen, das erste das ich am Montag im Büro bei einem Kaffee lese. FETTES LOB!!!

  7. Ballsalat sagt:

    Gibt es eigentlich inzwischen namentliche Kandidaten für den Trainerposten?

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