Erfurt vs. Chemnitzer FC 3:2 / Dem Smail sein Wetter

Überragend: Smail Morabit © www.fototifosi.de

Gut, dass ich diese Texte nie direkt nach einem Spiel des RWE schreibe. Bereits vor Ort im Steigerwaldstadion war mir aufgefallen, dass es eine gewisse Diskrepanz zwischen meiner Wahrnehmung und der meiner Begleiter gab. Um es deutlich zu sagen: Ich war, obwohl wir gewannen, überhaupt nicht zufrieden mit der fußballerischen Performance der Rot-Weißen und quengelte entsprechend herum. Wieder zu Hause studierte ich die bereits vorliegenden Presseberichte, las die Foreneinträge – und beschloss, mir das ganze Spiel noch einmal anzuschauen.

Das Resultat dieser inneren Berufungsverhandlung: Der FC Rot-Weiß Erfurt hat ein gutes Spiel abgeliefert und gewann völlig verdient gegen den Chemnitzer FC.

Sinnvolle taktische Umstellung in der Offensive

Mit der Genesung Morabits kalibrierte Alois Schwartz die taktische Ausrichtung des RWE erneut etwas anders. Ich habe Morabit eher als zweiten Stürmer gesehen, der zuweilen sogar noch vor Tunjic stand (vor allem wenn hohe Bälle erwartet wurden, die Tunjic mit dem Kopf verlängern sollte). Engelhardt spielte wiederum einen rein defensiven Sechser, der deutlich absichernd hinter den anderen Mittelfeldspielern agierte. Diese Absicherung wiederum erlaubte Pfingsten-Reddig, Möhwald und Baumgarten viele Freiheiten nach vorn. Die meisten Spielbeobachter sahen dennoch ein 4-2-3-1, ich jedoch schließe mich den Kollegen von transfermarkt.de an, die ein 4-4-2 notierten. Morabit etwas abgesetzt vom Mittelfeld spielen zu lassen war schon deshalb gut, weil so die Ballsicherheit in der Spitze (auch am Samstag nicht Tunjics Stärke) entscheidend verbessert werden konnte. Und manchmal ist sich Smail Morabit eben selbst genug, wie die beiden großartig erzielten Tore beweisen, die er sich im Grunde selber auflegte.

Völlig unterschiedliche Spielanlage beider Mannschaften

Was mich vor Ort im SWS störte, konnte man (wegen der fehlenden Totalen) im aufgezeichneten Livestream des mdr schon nicht mehr ganz so deutlich erkennen: der RWE machte das Spiel auch eng, wenn er selbst im Angriff war. Viel lief in der ersten Halbzeit über die linke Seite (auf die sich auch Morabit oft orientierte). Der rechte Flügel verwaiste dann völlig. Was ich zuerst für eine taktische Fehlleistung hielt, geschah einfach zu häufig, um als solche genommen zu werden. Es war Absicht. Vermutlich. Über die Gründe kann ich nur spekulieren, Tatsache ist: Es hat funktioniert. In diesem Spiel. Die beiden nominell offensiven Außenbahnspieler Möhwald und Baumgarten haben ein prima Spiel gemacht, fußballerisch wie kämpferisch, offensiv wie defensiv. Aber beide sind von Hause aus keine Flügelspieler a la Robbery, sondern in der Wolle gefärbte zentrale Mittelfeldspieler, die tendenziell die Platzmitte für ihr Spiel bevorzugen. Durch die Verdichtung des Spiels im zentralen Mittelfeld gewann der RWE viele «zweite» Bälle und war nach eigenen Ballverlusten in die defensive Umkehrbewegung hinein von den Chemnitzern nur schwer zu überwinden.

Ganz anders der CFC. Bei Ballgewinn in der Defensive orientierten sich alle Flügelspieler sofort vom Ball weg auf die Außenpositionen, um das nun folgende (geplante) Offensivspiel möglichst breit anzulegen. In der ersten Halbzeit war dies weitgehend ein Muster ohne Wert, denn die hochgradige Verdichtung des Erfurter Mittelfelds gepaart mit einer unterirdischen Passquote verhinderten die so möglichen Spielverlagerungen. In den zweiten 45 Minuten und mit der Einwechslung von Makarenko (toller Spieler!) und Semmer war das schon weit gefährlicher. Sträßer war jetzt der gewohnte Taktgeber des CFC-Spiels und verteilte die Bälle gekonnt auf die Außen. Vor allem über die linke Abwehrseite des RWE wurde es jetzt häufig gefährlich. Was aber mit zunehmender Spieldauer auch an Ströhl lag, der seinem physisch aufwendigen, kämpferischen Stil Tribut zollen musste. Erst der kluge Wechsel Engelhardts auf diese Position sorgte dann wieder für mehr Stabilität.

Beide Mittelfeldroutiniers überzeugten

Apropos Marco Engelhardt, apropos erfahrene Leistungsträger. Pfingsten-Reddig und Engelhardt sind in dieser Spielzeit häufig stark kritisiert worden. Da ist es recht und billig beide für ein richtig gutes Spiel auch mal zu loben. Engelhardt als defensiver Sechser erlaubte sich so gut wie keinen Fehlpass, war geschickt im Zweikampfverhalten (wenig Fouls) und war auch in der zentralen Abwehr als Kopfballspieler stets präsent. Pfingsten-Reddig (mehr Achter als Sechser) zeigte sich ebenfalls ungemein zweikampfstark und schlug viele kluge Pässe auf die Offensivspieler. Sie spielten beide 90 Minuten ohne sichtbaren Substanzverlust durch, was bei diesem tiefen Boden und der läuferisch aufwendigen Spielanlage des RWE durchaus bemerkenswert ist. In dieser Form sind beide für den RWE Gold wert.

Nichtige Nebengeräusche

Verglichen mit der Bedeutung des Spiels gegen Chemnitz und dem unmittelbar bevorstehenden gegen Babelsberg sind die beiden «Vorkommnisse» des Spiels an Randständigkeit kaum zu überbieten.

Morabit setzt sich beim Torjubel eine Brille auf und gestikuliert in Richtung Pressetribüne, well ihm die Berichterstattung der FOTO seine Person betreffend missfällt. So what? Diese öffentlichkeitswirksam vorgetragene Form der Gegendarstellung ist sein gutes Recht. Ich habe schon weniger subtilere Formen des Presseprotestes erlebt. Noch ein Tipp, Smail: Da man sich auf die Nahaufnahmen des mdr verlassen kann, solltest Du das nächste Mal eine Hornbrille mit zentimeterdickem Fensterglas parat halten, das erhöht die Aussagekraft der Message. Ansonsten: gute Show!

Drexler wird (ganz) kurz vor Schluss Opfer einer rein taktischen Auswechslung, nachdem er nur etwas mehr als 20 Minuten auf dem Platz war. Um es kurz zu machen – keine glückliche Entscheidung von Schwartz, wie ich finde. Die erste Adresse für einen Wechsel wäre Tunjic gewesen, der sich nach großer Laufleistung kaum noch auf den Beinen halten konnte. Aber, hej, wir spielen gegen den Abstieg, der Verein befindet sich in schwerer See. Alle Beteiligten sollten diese Marginalie ganz, ganz schnell vergessen. Hier will jetzt niemand was von Einzelschicksalen und Befindlichkeiten hören, sehen und wissen. Gegen zuletzt starke Babelsberger wird es ohnehin schwer genug.

5 comments

  1. Beim dritten Wechsel stimme ich dir voll und ganz zu! Tunjic war überfällig ausgewechselt zu werden. Mit ihm war spätestens ab der 75. Minute nichts mehr anzufangen. Dome beherrscht es die Bälle fest zu machen. Daher hätte ich ihn auch nicht runtergenommen.

  2. Patrick sagt:

    Drexler wurde wieder runtergenommen, weil er nicht gespielt hat als ob die mannschaft das 3-2 retten muss.

    er stand wie so oft vorne rum, wenn eine aktion misslang und das geht bei dem spielstand (sonst eig auch) überhaupt nicht.

    ich gehe aber damit konform dass man tunjic hätte auswechseln können. er ist einfach kein laufwunder und das brauch man auf der position auch nicht

  3. Guerti sagt:

    Gut analysiert, nur bei der Leistung von NPR und Engel stimme ich nicht überein.

    Beim 3:1 bleibt Engel im Strafraumstehend einfach stehen, statt Makarenko anzugreifen – ohne Gegenwehr zum Gegentor. Beim 3:2 läuft NPR von seinem Gegenspieler weg – beide Tore über links entstanden und von unseren DM verschuldet… da gibts noch einiges an Steigerungspotenzial!

  4. Micha sagt:

    Noch eine Anmerkung: Sicher, dem Morabit gelingen zwei Tore, die vielleicht nicht zu vielen Fußballern in der dritten Liga gelingen. Dass er sie „sich im Grunde selber auflegte“ trifft aber nicht zu. Wenn da nicht beide Male der (gleiche) Chemnitzer Abwehrspieler perfekt vorlegen würde, käme Morabit gar nicht in die Lage, seine Schusstechnik unter Beweis zu stellen.

WP2Social Auto Publish Powered By : XYZScripts.com