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Münster vs. Rot-Weiß Erfurt 3:3 / Kein Preußen-Monster

Es herrschte Enttäuschung im Lager der Rot-Weißen, nach einem Punktgewinn bei einer der spielstärksten Mannschaften der 3. Liga. Muss man mehr über den Verlauf dieses Spiels und der bisherigen Saison sagen? Man muss nicht, aber man kann.

Die Abwehr funktioniert

Die Innenverteidiger Laurito und Kleineheismann erfüllen alle Hoffnungen, die der Verein bei ihrer Verpflichtung in sie setzte. Bis auf den Stellungsfehler Lauritos vor dem 1:1 blieben sie erneut fehlerlos. Die Ruhe seiner Vorderleute wirkt sich offensichtlich positiv auf Philipp Klewin aus, es ist nichts mehr zu spüren von der rätselhaften Unruhe, die seinen Aktionen bei dem ein oder anderen Vorbereitungsspiel innewohnte. Außenverteidiger haben es schwer, wenn der Gegner Preußen Münster heißt. Wie vielleicht kein anderes Team der Liga versteht es Dotchevs Elf, enge Spielsituationen im Mittelfeldzentrum durch Spielverlagerungen auf die Flügel aufzulösen. Piossek und Grote sind schnell, technisch stark und halten permanent die Außenpositionen. Im Angesicht dieser großen Stärke der Münsteraner haben Czichos und Odak keinen schlechten Job gemacht, zumal sie nicht durchweg optimal von den beiden offensiven Außenbahnspielern unterstützt wurden, was Czichos einmal auch sehr lautstark in Richtung Öztürk kundtat.

Kuriose Tore & ein merkwürdiger Spielverlauf

Brandstetter eröffnete das Spektakel mit einer äußerst dynamischen Aktion. Bunjaku und (an guten Tagen) Semmer hießen die letzten Stürmer des RWE, die in der Lage waren so ein Tor zu erzielen. Unmittelbar danach offenbarte der Portugiese Amaury Bischoff warum man ihn zu den besten Spielern der 3. Liga zählt. Er steht jetzt bei 27 Torbeteiligungen in 37 Ligaspielen für Münster. Ein sagenhafter Wert für einen zentralen Mittelfeldspieler. Nach dem Ausgleich drängte Preußen auf die Führung, konnte sich auch eine deutliche Feldüberlegenheit erspielen, kam jedoch nur zu einigen Halbchancen, die sie entweder leichtfertig vergaben oder die von Klewin routiniert abgewehrt wurden.  Das lag vor allem daran, dass Taylor überhaupt nicht ins Spiel fand und Kara kollektiv gut abgeschirmt wurde. Damit war eine wichtige Achse des Münsteraner Spiels neutralisiert.

Nach der Pause gestaltete sich das Spiel wieder offener, der RWE stand nicht mehr so tief wie zu Ende der 1. Halbzeit. Und endlich wurde Tunjics Unermüdlichkeit beim Anlaufen des gegnerischen Torhüters einmal belohnt. Von diesem Tor wird Masuch seinen Enkeln bestimmt kein Wort erzählen.

Was danach folgte, war die stärkste Phase einer Erfurter Mannschaft seit dem grandiosen 3:1-Auswärtssieg in Dresden (Rückserie der Saison 10/11). Münster verfiel in eine Art nudistischer Schockstarre, entblößte die Abwehr und erlaubte dem RWE, Möglichkeit um Möglichkeit zu vergeigen. Daran änderte sich seltsamerweise auch nach dem Feldverweis für Tunjic rein gar nichts. Bis Sebastian Stolze eingewechselt wurde und tat, war er bei den A- und B-Junioren serienweise getan hatte: Großchancen in Zählbares zu veredeln.

Nun schien alles gelaufen. Niemandem drängte sich der Eindruck auf, dass Münster in der Lage sei, noch zwei Tore zu erzielen. Bis Gaetano Manno, der größte Vertragsdesperado der jüngeren deutschen Fußballgeschichte, einen dieser genialischen Manno-Momente hatte und den Ball ebenso überraschend wie unhaltbar in den Winkel zauberte. Zum Elfmeter, der für den Ausgleich sorgte, kann ich nichts sagen. Je öfter ich mir die Szene ansehe, desto weniger vermag ich zu erkennen, ob es ein Foul war und ob die Szene in oder außerhalb des Strafraums stattfand.

Anders verhält es sich bei dem bösartigen Tritt von Grote an den Kopf des am Boden liegenden Möhwald. Das war – ebenso wie die Aktion von Tunjic – eine klare Rote Karte.*

Livestream des WDR technisch wie journalistisch wohltuend

Wegen mir könnte der Westdeutsche Rundfunk alle Spiele des RWE übertragen. Zum einen sah man einen deutlichen Unterschied bei der Bildqualität. Kam einem glatt wie HD vor im Vergleich zu den verpixelten, manchmal an Atari-Spiele gemahnenden und immer mal wieder stockenden Streams des mdr. Zum anderen, und eigentlich noch wichtiger, war der WDR-Kommentator wohltuend objektiv und gut informiert. Völlig undenkbar beispielsweise, dass ein mdr-Reporter umstandslos die (eindrucksvolle) Scorerbilanz von Sebastian Stolze aus der letzter A-Jugendsaison bei dessen Einwechslung parat hätte. Dazu müsste man sich ja auf ein Spiel vorbereiten.

Die Liga – erste Konturen zeichnen sich ab

Einige Mannschaften, von denen man das erwarten konnte, stehen im oberen Drittel der Tabelle, oder werden bald dort stehen: Hier sind ganz eindeutig Heidenheim, Leipzig und Münster zu nennen – die allesamt als Aufstiegskandidaten gehandelt wurden und auf dem Weg sind, dieser Rolle gerecht zu werden. Die größte positive Überraschung bietet derzeit der VfL Osnabrück. Nach einem gewaltigen Umbruch in der Mannschaft durfte man damit nicht wirklich rechnen. Hier wurde wohl der Faktor Trainer bei der Prognose etwas vernachlässigt. Aber wer, wie Maik Walpurgis, mit den Sportfreunden Lotte die Regionalliga West gewinnt und RB Leipzig in der Relegation einen großen Tanz liefert, der muss als Trainer einfach richtig was auf dem Kasten haben. Auch Karsten Baumanns Arbeit in Duisburg ist die Anerkennung nicht zu verweigern. Quasi ohne Vorbereitung in eine Saison zu gehen und dann nach 3 Spielen 6 Punkte auf dem Konto zu haben: alle Achtung. In Halle und Chemnitz sollte man jetzt nicht gleich durchdrehen, dazu besteht keinerlei Anlass. Die bisherigen Leistungen war nicht so schlecht wie es die derzeitige Tabellensituation suggeriert.

Der FC Rot-Weiß Erfurt empfängt am Samstag die bisher punktlosen Burghäuser im Steigerwaldstadion. Als Tabellendritter. Traditionell betrachtet liegen dem RWE derartige Konstellationen nicht sonderlich. Allzu oft hat man in der Vergangenheit bei ähnlichen tabellarischen Voraussetzungen Spiele verloren. Einerseits. Andererseits sind derartige Rückgriffe statistischer Humbug mit schlichtweg null Einfluss auf das bevorstehende Spiel. Es gibt in dieser Liga keine leichten Gegner, jedenfalls nicht für den RWE. Aber es gibt auch keinen ersichtlichen Grund, warum die Mannschaft mit einer ebenso konzentrierten Leistung wie in Münster dieses Spiel nicht gewinnen können sollte.

*Nachtrag: Diese Grote-Möhwald-Situation ließ mir keine Ruhe, auch weil dazu im !com-Forum angeregt diskutiert wurde. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass Grote Möhwald absichtlich tritt, muss aber zugeben, dass diese (meine) Perspektive natürlich nicht die des Schiedsrichters ist (sein kann). Deshalb habe ich mich entschlossen, den Fall der kompetentesten Instanz vorzutragen, die mir einfiel – und das sind ganz eindeutig Collinas Erben. Alex Feuerherdt und Klaas Reese bieten unter diesem Namen einen brillanten Schiedsrichter-Podcast an, stehen aber auch via Twitter Rede und Antwort. Hier ihre Einschätzung des Falls auf Grundlage des mdr-Berichts:

Sehr schwer zu beurteilen. Für einen Platzverweis muss das Gespann sich absolut sicher sein, dass hier Absicht vorlag und nicht nur Ungeschicklichkeit (wobei die Spieler immer geschickter darin werden, solche Aktionen wie eine Ungeschicklichkeit aussehen zu lassen). Und natürlich gilt: In dubio pro reo. Ich betrachte das, wohlgemerkt, aus der Perspektive des Schiedsrichters (bzw. des Assistenten). Und da lässt sich eine Absicht kaum zweifelsfrei feststellen. Die Zeitlupe legt sie nahe, aber einen echten Beweis erbringt auch sie nicht.

Spiel gegen Brentford, diverse Interviews & Erfurt liebt den Fußball nicht

Die einen fanden Laurito besser als Kleineheismann, andere sahen Odak offensiver als Czichos und wieder andere waren exakt der gegenteiligen Auffassung. Einig war man sich darin, dass aus Mijo Tunjic in der Sommerpause kein Claudio Pizarro geworden ist und Philipp Klewin zuweilen ganz schön nervös seinen Strafraum nicht beherrschte. Die TLZ vermeldet als Neuigkeit eine Systemänderung hin zu einem 4-1-4-1, was ich bereits vor mehr zwei Wochen als sehr wahrscheinliches Koglersches System prognostiziert hatte. Von einer Systemänderung kann überdies nicht wirklich die Rede sein, da es auch unter Schwartz in der Rückrunde des Öfteren ein 4-1-4-1 gab, meist mit Oumari auf der 6er-Position, einmal auch mit Engelhardt (bei einem weiteren zur Halbzeit abgebrochenen Versuch mit Baumgarten).

Mehr als die Unterschiede sind mir die Gemeinsamkeiten zur letztsaisonalen taktischen Formation aufgefallen. Da wäre in erster Linie die mangelnde Breite des Angriffsspiels des RWE zu nennen. Die Außenbahnspieler auf den ballfernen Positionen bewegen sich nicht in den freien Raum zur Seitenlinie hin, sondern orientieren sich zur Platzmitte. Bei Schwartz war das Absicht, in seinem System wurde bereits bei der eigenen Offensivbewegung einem möglichen Ballverlust vorgebaut. Bewegen sich die Außenbahnspieler eng zu ihren zentralen Mitspielern, ist es für den Gegner schwer, sich durch diese kompakte Formation mittels schnellem Umschaltspiel einen Vorteil zu erkontern.

Das Hauptmanko dieser Komprimierung liegt in den eingeschränkten Optionen des Offensivspiels. Der Gegner kann seine Reihen kompakt verschieben und sich dabei exklusiv auf die Platzmitte und die ballnahe Seite konzentrieren. In diesem Spielfeldviertel bewegen sich dann mindestens sechs Spieler jeder Mannschaft, was außergewöhnliche Präzision bei Weiterleitung und Verarbeitung des Balles zwingend voraussetzt, um in Strafraumnähe zu gelangen. Eine überraschende Spielverlagerung – über die Spielmitte eingeleitet – steht nicht zu Gebote. Ob das von Kogler so gewollt war, oder ob die Mannschaft nur in alte Gewohnheiten verfallen ist, will ich nach diesem einem Spiel nicht beurteilen.

Ansonsten werden viele Interviews gegeben. Der Trainer lobt die Spieler sowie die Trainingsbedingungen in Weißensee. Die Mannschaft lobt via Pfingsten-Reddig den Trainer zurück («Spricht viel mit uns», «Wir trainieren fast nur mit Ball»). Rene Müller tadelt die Stadt Erfurt und Rolf Rombach findet, dass er (zum Teil) recht hat.

Nun, was den akuten Honeymoon zwischen Mannschaft und Trainer betrifft: Ich will nicht hoffen, dass hier zutrifft, was Harald Schmidt mal über die gegenseitigen Sympathiebekundungen bei Fernsehproduktionen äußerte: «Wenn alle sagen wie lieb sie sich haben, wird die Show garantiert nach drei Folgen abgesetzt.» Es ist wirklich schön zu hören, dass die Pheromonreaktionen zwischen Mannschaft und Trainer stimmen, aber was ich in erster Linie sehen will und erwarte, ist eine sukzessive Verbesserung der fußballerischen Qualität des Teams. Ich schreibe auch deshalb über Fußball, weil es ein so grundhaft ehrlicher Sport ist und man im Angesicht der Leistung auf dem Spielfeld meist getrost alles in die Tonne treten kann, was einem vorher erzählt wurde. Denn: Am Ende liegt die Wahrheit auf dem Platz. Und nur dort.

Erfurt will den Fußball nicht. Behauptet Rene Müller in seiner vorsaisonalen Analyse der Aussichten der «Ostklubs» in der BILD. Immerhin genug, dass die Stadt das Risiko eines Stadionneubaus nicht scheut, möchte man erwidern. Aber er hat natürlich recht, unser Aufstiegstrainer im Ruhestand. Die Stadt Erfurt und viele ihrer Bewohner pflegen ein, zurückhaltend formuliert, gespaltenes und nicht in jedem Fall sinngesättigtes Verhältnis zu ihrem größten und bei weitem bekanntesten Sportverein. Dieser soll erfolgreich spielen, dabei aber möglichst keine Ansprüche stellen. Er soll seine Stadionmiete pünktlich überweisen, zahlende Fans stellen jedoch in jeder Beziehung eine Zumutung dar. Ein seit 20 Jahren offenes Verkehrsproblem mit einer Einfahrtsstraße sollte als Vehikel dafür herhalten, den Stadionbau zu unterbinden. Ausgerechnet von jener Partei als Argument benutzt, die 16 Jahre fast exklusiv die Macht an der Gera innehatte und in dieser Zeit weder Stadion noch Zufahrtsstraße grundhaft renoviert bekam.

Aber zurück zu Wichtigerem. Hat sich an meiner Einschätzung bezüglich der zu erwartenden Startelf gegen die Stuttgarter Kickers etwas geändert? Klare Antwort: nein. Eher haben sich einige Zweifel erledigt. Ich denke, dass Kleineheismann leichte aber deutlich wahrnehmbare Vorteile gegenüber Möckel hat. Wobei Kogler zweifellos recht zu geben ist, wenn er die Auffassung äußert, dass es unabdingbar ist, mit drei in etwas gleich starken Innenverteidigern in die Saison zu starten. Das ist das Minimum. Göbel hat mich gegen Brentford nicht überzeugt. Es bleibt dabei: er eignet einen überragenden rechten Fuß, hat aber nach wie vor Probleme in der Ballbehauptung und Handlungsschnelligkeit bei gegnerischem Pressing, die umso mehr auffallen je offensiver er aufgeboten wird. Tunjic bekommt wie stets Bestnoten in puncto Engagement, Laufarbeit und Pressing, war allerdings leider wenig überzeugend bei seinen Angriffsaktionen. Das Tunjic-Dilemma: Er ist als offensiver zentraler Zielspieler ungeeignet, weil er zu viele Bälle nicht schnell und gut genug verarbeitet, mithin zu viele Fehlpässe spielt; während seine Haupttugenden – Durchsetzungsfähigkeit und Geschicklichkeit in unmittelbarer Tornähe – mangels geeigneter Flanken von außen (siehe oben) nicht adäquat zum Tragen kommen. Schade, dass Derici nicht zum Einsatz kam, ich vermute aber, dass die bekannt gewordenen konditionellen Defizite sich ohnehin nicht bis zum Auftaktspiel restlos verflüchtigen, er also bis auf Weiteres eine Option auf der Bank bleiben wird. Ach ja, die Torhüterposition könnte noch zu einem Fragezeichen werden, doch ich hoffe inständig (für ihn, für uns), dass Klewin seine Nerven in den nächsten beiden Spielen (Ingolstadt, Magdeburg) besser im Griff hat. Mach dich locker, Philipp!

Evtl. Startelf des RWE am 1. Spieltag Saison 13/14 – Version 2.0 / 08.07.2013

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