Tag Archiv für Steigerwaldstadion

Wir wollen doch nur spielen

Geht es nur mir so? Je mehr TV-Sendungen und Artikel zu den uns alle umtreibenden Themen Arenamiete, Nebenkosten, Lizenz zu sehen bzw. zu lesen sind, desto unübersichtlicher erscheint mir die Situation. Ich denke dann über Begriffe wie «ortsüblich» und «marktüblich» nach und frage mich, wieso diese Termini von niemandem mit Inhalten, also beispielsweise einer klaren Definition oder dem Verweis auf eine konkrete EU-Förderrichtlinie, versehen werden. Sondern, im Gegenteil, es kommt mir vor, als dienen sie allen, oder wenigstens den meisten die sie benutzen, eher dazu, ihre eigentlichen Absichten zu verschleiern.

Ebenso auffallend ist, wie quasi alle unentwegt darauf verweisen, dass man doch bitte nicht mehr öffentlich übereinander, sondern miteinander über eine Lösung reden solle. Wie süß. – Und alle tun das wo? Im Fernsehen, in Zeitungs-Interviews und in Pressemitteilungen. Großartig!

Schon die Forderung unseres Bürgermeisters, dass der Verein personelle Konsequenzen ziehen müsse, wenn er weiteres Geld von der Stadt wolle, war, da sie öffentlich erfolgte, entweder eine atemberaubende Torheit oder aber Andreas Bausewein hatte nie die Absicht, dem Verein die avisierten 600.000 Euro zu beschaffen. Es war a priori klar, dass sich Rolf Rombach darauf nie einlassen würde, nicht einlassen konnte. Man stelle sich nur diesen Dialog vor einem Arbeitsgericht vor:

Richter: «Warum hat man Sie entlassen, Herr Krause?»
Krause: «Weil der Oberbürgermeister von Erfurt das so wollte.»
Richter: «Der Oberbürgermeister von Erfurt hat genau welche Funktion bei Ihrem Arbeitgeber, dem FC Rot-Weiß Erfurt?»
Krause: «Gar keine.»
Richter: «Danke, ich habe keine weiteren Fragen.»

Die in Aussicht gestellten 600.000 Euro hätte man somit gleich als Rücklage für Abfindungen verwenden können. Worauf bereits Michael Panse in seinem Blog aufmerksam machte.

Ich kenne Konstantin Krause und Thomas Kalt nicht persönlich. Und ich traue mir kein Urteil hinsichtlich ihrer Arbeit beim Verein zu. Natürlich weiß ich, dass bei einem Verein der mehr als 5 Millionen Euro Schulden hat und dessen Kopf quasi auf dem Schafott liegt, nicht alles supi gelaufen sein kann in den letzten Jahren. Wie hoch daran der Anteil der beiden Herren ist, kann ich jedoch seriös nicht beurteilen. Als schlimmstes Vergehen aber wird ihnen angelastet, dass sie irgendwie für schlechte Stimmung bei den Gesprächen zwischen Stadt, Betreibergesellschaft und Verein gesorgt hätten. Huihuihui, schlechte Stimmung während hoch-strittiger Verhandlungen – bei denen für alle Beteiligten viel auf dem Spiel steht –, das hat es ja noch nie gegeben. Zitat aus dem oben bereits verlinkten Text von Michael Panse: «Der grüne Fraktionsvorsitzende erklärte sie würden RWE nicht unterstützen, weil Herr Rombach Frau Hoyer kritisiert habe (wie alle wissen: völlig berechtigt). … Er [Bausewein, Anmerkung Fedor Freytag] und seine Beigeordnete Hoyer haben einen großen Teil der Verantwortung für das schwierige Fahrwasser in dem sich nun alle befinden.» Der ausgewiesene Rathaus-Kenner und Stadtrat Panse hält es also für möglich, und darin möchte ich ihm nicht widersprechen, dass die «schlechte Stimmung» gar nicht einseitig vom Verein ausgegangen ist und die Stadt daran einen nicht geringen Anteil hat. Das sollte jeder im Sinn haben, der sich öffentlich dazu äußert. Auch unser zweifelsfrei honoriger Ehrenvorsitzende Klaus Neumann.

Nun zu einem anderen Protagonisten der letzten Tage im Arena-Dschungelcamp: Mike Mohring. Irgendwann in der letzten Woche wartete er mit dem Vorschlag auf, das Land solle beim Bund dessen Anteil an den Fördergeldern (ca. 16 Millionen Euro) ablösen. Bodo Ramelow ließ dies noch am selben Tag als «Unsinn» bezeichnen. Beide Seiten verzichteten darauf, eine ungute Konstante der ganzen Debatte, ihre Auffassung nachvollziehbar zu belegen. Meinem inneren Monk gefällt Mohrings Vorschlag. Ich tausche auch gern schnell die Damen – beim Schach. Wie Mohring halte ich wenig von der komplexen Gesamtkonstruktion der Arena GmbH. «Zu viele Köche verderben den Brei» mag ein altbackenes Sprichwort sein, das macht es allerdings nicht weniger wahr. Mohring erklärte dies sogar zur Voraussetzung, damit dem Verein in Zukunft bessere Mietkonditionen eingeräumt werden können. Warum das so sein soll, dazu schwieg Mohring letzte Woche und auch in der Sendung des mdr am Montag. Was mich dazu bewog, ihn genau dies zu fragen. Er hatte mir am Dienstag eine Antwort in Aussicht gestellt, sobald und wenn diese eintrifft, gehört Ihr zu den Ersten denen ich davon berichte.

Was uns direkt zum Kern dieses Textes führt. Dem fast schon metaphysisch aufgeladenen Begriff von der «marktüblichen» bzw. «ortsüblichen» (Mohring) Miete die RWE aufzubringen habe, damit man nicht gegen die Fördermittelauflagen verstoße. Wenn irgendjemand unter den geneigten Lesern Kenntnis davon haben sollte, wie und nach welchen Regularien sich diese Miete ermittelt und mir dieses Wissen zwecks Aneignung zur Verfügung stellt, dann würde er den folgenden Abschnitt einigermaßen obsolet machen.

Mir stellt es sich momentan so dar, dass der Begriff genauso dehnbar ist, wie er sich anhört. Es existiert kein verbindlicher Index für Stadionmieten, ebenso wenig wie ein Bundesamt darüber wacht. Der einzige konkrete und begründete Vorschlag stammt vom Verein, noch einmal vorgetragen von Rolf Rombach während der mdr-Sendung am Montag. Er orientiert sich an den Mieten in Halle, Magdeburg, Chemnitz und Zwickau. Alles Fußball-Drittligisten, alle mit mehr oder weniger neuen Stadien, alle in einem vergleichbaren Wirtschaftsraum beheimatet. Mehr «marktüblich» geht nicht. Demgegenüber beharrt die Arena GmbH auf einer um ca. 35 % höheren Miete. Mitsamt den horrenden Nebenkosten (allein für die Security von ca. 400.000 Euro pro Saison) kann der Verein diese Miete nicht aufbringen. Er würde bei diesen Konditionen nicht mal eine Lizenz vom DFB erhalten. Ich habe noch niemanden außerhalb des Erfurter Rathaus und der Arena GmbH vernommen, der diese Miete für gerechtfertigt hält. (Klar, war es ein Fehler des Vereins dieser Summe in einem Vorvertrag zuzustimmen, wohl aber in Unkenntnis der exorbitanten Nebenkosten.)

Das Argument, es handele sich eben nicht um ein Fußballstadion, sondern um eine Multifunktionsarena (MFA), weshalb die höhere Miete gerechtfertigt sei, lässt mich schlussendlich völlig perplex zurück. Dem Verein ging es von vornherein nur um ein modernes Fußballstadion, mit der er seine Wettbewerbsfähigkeit konsolidieren wollte. Modern heißt: Zeitgemäßer Bauzustand, Möglichkeiten der Vermarktung, gute Sicht für alle Zuschauer, nutzbar für deutsche Profiligen, keine Dixi-Klos. Weil das allein über den von Matthias Machnig erdachten Weg möglich war, schluckte RWE die Kröte MFA plus Laufbahn. (Letztere ist eigentlich, ebenso wie die alte Westtribüne, ein Grund zur Mietminderung, weil beide Sicht und Atmosphäre eines puren Fußballstadions verhindern.) Der Verein hat dieses Konstrukt nicht bestellt. Es bildete nur die einzige Möglichkeit, in absehbarer Zeit eine attraktive Spielstätte zu bekommen. Warum soll Rot-Weiß jetzt dafür mehr bezahlen? Von den annoncierten 70 Veranstaltungen in diesem und den nächsten Jahren profitiert exklusiv die Arena Erfurt GmbH.

Ich habe keine Ahnung, auf welchem Trip Andreas Bausewein sich in dieser Sache befindet. Sollte es ihm darum zu tun sein, dem größten Erfurter Verein den Todesstoß zu versetzen, hat er darin bereits beachtliche Fortschritte erzielt. Es ist allein an ihm, diesen Wahnsinn unverzüglich zu stoppen. Alle anderen sind nur noch Komparsen in diesem Drama.

(Anmerkung: Ist ohnehin relativ üppig geraten, der Text. Weshalb ich einige Punkte, wie zum Beispiel die irrwitzigen Nebenkosten nicht vertiefe.)

Rot-Weiß Erfurt oder Ah ah ah ah, stayin‘ alive!

Stefan-Kraemer-rwe_posterDabei mag ich die Bee Gees nicht mal. Trotzdem ist es die titelgebende Liedzeile, die mir am Samstag nach unserem Sieg gegen Aalen in den Sinn kam und diesen winzigen Ort seitdem nicht verlässt. Es war eine Saison, seien wir ehrlich, die über lange Zeit das Abgründigste was einem Drittligaverein zustoßen kann, mehr als nur befürchten ließ. Den Abstieg in die Hölle. Auch bekannt unter dem Namen Regionalliga. Wenn der Verein, unser Verein, das finanziell überhaupt in seiner bisherigen Form überlebt hätte. Wer zählt die Vereine, nennt die Namen, die ungastlich dort zusammenkamen? (Sorry, Friedrich!) Und seit Jahren vergeblich versuchen, der sportlichen Randständigkeit zu fliehen. In manchen Minuten war mir, während ich auf der Tribüne oder vor dem Fernsehen saß, der Abstieg schon Gewissheit. Da dachte es in mir (Sorry, Günter!): Das ist so jämmerlich, unmöglich, dass sie dies noch korrigiert bekommen.

Dass es anders kam, wird – und zwar isoliert davon, ob wir den verdammten Thüringenpokal gewinnen – immer mit dem Namen und der Person Stefan Krämers verbunden bleiben. Es ist ja nicht so, dass er nur einen schlafenden Riesen wach küssen musste. Eine Mannschaft, die für jeden offensichtlich weit unter ihrem Potenzial spielte. So gut wie alle waren sich vor der Saison einig, dass es vermutlich sehr schwierig werden würde. Diese berechtigte Sorge gründete sich auf dem Weggang von Leistungsträgern wie Möhwald, Czichos und Wiegel. Sowie auf mehrheitlich desolaten Leistungen der Mannschaft in der zweiten Hälfte der letzten Saison. Eine Niederlagenserie, die auch Christian Preußer zunächst nicht zu stoppen wusste, bildete die Basis einer tief wirkenden Skepsis, die sich bis in die neue Saison hinein konservierte.

Aus der Skepsis wurde alsbald Gewissheit. Auch wenn wir nur bis zum 5. Spieltag auf einem Abstiegsplatz standen, gelang es Preußer nicht, die Mannschaft fußballerisch zu stabilisieren. Der Kontakt zur Abstiegszone riss nie ab, einhergehend mit einer Dauerpanik, die allen aufs Gemüt drückte. Eine erneute Niederlagenserie vor der Winterpause besiegelte Christian Preußers Aus.

Was seit der Berufung Stefan Krämers zum Cheftrainer des FC Rot-Weiß Erfurt geschah, ist erstaunlich. Vor allem, weil er es vermochte, viele Dinge gleichzeitig zu verbessern. Nimmt man nur den Kader und die taktische Grundformation, wird man feststellen, dass sich bei beiden so viel nicht geändert hat. Krämer vertraute im Wesentlichen auf die Spieler, die schon unter Preußer zum Einsatz kamen, und auch Krämer ließ (mehrheitlich) ein 4-2-3-1-System spielen. Klar, mit Brückner und Benamar kamen zwei wichtige Offensivspieler hinzu und zuweilen variiert er mit einem 4-1-4-1-System. Das allein erklärt aber nicht, warum einige Spieler plötzlich sehr viel besser spielen als vorher – unter Preußer und teilweise sogar unter Kogler. Aydin, Menz, Tyrala. Selbst Odak gehört für mich in diese Kategorie.

Ich denke, dass es sich bei Krämer lohnt, sehr genau zuzuhören, wenn er sich öffentlich äußert. Er betonte am Anfang seiner Tätigkeit nachdrücklich, es sei für ihn von entscheidender Bedeutung, dass die Mannschaft kollektiv angreift und verteidigt. Wer bei ihm nicht defensiv arbeite, habe keine Chance. Okay, das klingt zunächst nach einer Plattitüde, wie sie Trainer oft und gern benutzen. So wie die Mannschaft sich nach und nach entwickelte, zeigte allerdings, wie ernst es ihm damit war.

Im modernen Fußballkauderwelsch existiert dafür ein Begriff: Kompaktheit. Kein schönes Wort und ich würde gern ein anderes verwenden, mir fällt nur kein passenderer Begriff ein. Selbst Zuschauern, die während eines Spiels nicht ständig auf die Positionen der Spieler achten, fällt am Spiel der Rot-Weißen auf, was damit gemeint ist: Wenn der Gegner angreift, dann muss er sich (oft) gegen eine scheinbar nicht enden wollende Kaskade Erfurter Spieler behaupten, die ihm für seine Angriffsbemühungen weder Raum noch Zeit zu geben die Absicht haben. Weswegen die Angriffe oft wirkungslos bleiben. Das liest sich jetzt ebenfalls relativ banal, ist aber, taktisch (und physisch) betrachtet, großes Kino. Nur so war es möglich, dass wir, gerade in den letzten Spielen, man denke nur an den durchgängig famosen Auftritt in Stuttgart, über weite Teile des Spiels das dominante Team waren. Dies ist keinesfalls selbstverständlich, und es ist, wie vieles im Fußball, anfällig für Störungen jeder Art. Man kann mit einem forcierten Pressingfußball auch grandios scheitern, wie es das Beispiel Zorniger in Stuttgart belegt. Die Feinjustierung innerhalb der Mannschaft muss schon sehr gut passen, sonst hat der Gegner immer die Möglichkeit, freie Räume zu bespielen. Bei Preußer war zum Beispiel das Pressing im Mittelfeld des Öfteren mangelhaft. Die gegnerischen Mittelfeldspieler hatten zu häufig die entscheidenden 2-3 Sekunden Zeit, den Ball anzunehmen, sich zu orientieren und abzuspielen.

Diese Zeit lässt ihnen die Mannschaft unter Krämers Anleitung nicht mehr. Oder präziser: viel seltener. Das erreicht man nur mit einem höheren Laufaufwand und einem variableren Positionsspiel. Damit der Druck auf den angreifenden Gegner überall in den relevanten Zonen des Spielfeldes aufrecht erhalten werden kann, müssen Spieler – situativ – ihre Positionen verlassen, um die Räume (und damit die Ballbesitzzeiten des Gegners) klein zu halten. Das wiederum beeinflusst die Positionen der noch hinter dem Ball befindlichen Abwehrspieler, sie müssen diese Räume dann besetzen. Ich sagte ja, es klingt nur banal.

Ich kann nicht beurteilen, ob Krämer mit den oben erwähnten Spielern individuell viel gearbeitet hat. Einen Grund für ihre offensichtliche Verbesserung sehe ich darin, dass sich Spieler wohler fühlen, wenn ihr Spiel Teil eines Konzeptes ist, dass ihnen schlüssig erscheint und mit dem sie erfolgreich sind. Das trifft sicher auf alle Spieler einer Mannschaft zu, bei einigen scheint es aber Potenziale freizulegen, die man ihnen gar nicht mehr zugetraut hätte.

Abschließend möchte ich noch zwei Spieler hervorheben, denen in Krämers System eine maßgebliche Rolle zukommt. Carsten Kammlott ist nicht nur deshalb so wichtig, weil er entscheidende Tore schießt und vorbereitet. Er ist ebenfalls eine grandiose Ein-Mann-Angriffs-Pressing-Maschine und in dieser Eigenschaft vermutlich ohne Gleichen in der Liga. Seine Dynamik und Aggressivität sorgen nicht selten dafür, dass die Verteidiger (oder auch der Torwart) sich lieber dafür entscheiden, lange (weniger kontrollierte) Bälle zu spielen, die natürlich leichter zu verteidigen sind. Mit anderen Worten: sie haben die Buxe voll, wenn Kammlott wie ein Berserker auf sie zu stürmt.

Last but least: Jens Möckel. Bereits nach seiner letzten langen Verletzung war ich verblüfft, wie schnell er wieder auf hohem Niveau zu spielen in der Lage war. Diesmal, nach einer noch längeren, noch schwereren Verletzung, bin ich das nicht minder. Weiter oben habe ich versucht zu erläutern, wie wichtig es ist, dass die Spieler situativ ihre Positionen verlassen, um die mannschaftliche Kompaktheit (und damit den Gegnerdruck) aufrecht zu erhalten. Genau hier liegt eine von Jens Möckels größten Stärken. Wirklich beeindruckend, wie er mitunter – nicht frei von Risiko – seine Position in der Innenverteidigung verlässt, um Spieler zu attackieren, die sich in den Räumen zwischen den Linien anbieten. Dabei gelingen ihm zuweilen äußerst spektakuläre Ballgewinne, die er, nächstes großes Lob, dann auch häufig direkt in die Einleitung von Gegenangriffen umwandeln kann.

Oh, das ist mir jetzt relativ ausführlich geraten. Dabei bin auf verschiedene andere, nicht weniger wichtige Aspekte gar nicht zu sprechen gekommen. Als da wären: die Standards und die Fokussierung bzw. Überladung bestimmter Zonen des Spielfeldes bei eigenen Angriffen.

Das wird in den nächsten Wochen nachgeholt; denen wir auf wunderbare Weise, plötzlich aber alles andere als zufällig, sehr gelassen entgegen sehen können. Habt Euch wohl, Ihr Lieben.

Rot-Weiß Erfurt vs. Werder Bremen II 2:1 / Die Bipolaren

rwe vs. svw 3Gravierende Leistungsunterschiede innerhalb eines Spiels sind im Fußball eher die Regel als die Ausnahme. Selten sind so krass wie beim 4:4 der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen Schweden im Oktober 2012. Derart spektakulär sind die Jekyll & Hyde-Kicks des FC Rot-Weiß Erfurt in dieser Drittligasaison (noch) nicht. Dafür «beglückt» Christian Preußers Team seine Fangemeinde in großer Regelmäßigkeit mit solchen Auftritten.

Aktuellstes Beispiel ist der 2:1-Sieg gegen die Zweite Mannschaft des SV Werder. Die ersten 60 Minuten waren, je nach Temperament, zum Heulen, Wegsehen, Ausrasten, Verzweifeln, etc. Es ist müßig, alles aufzählen zu wollen, was da fußballerisch fehl ging. (Überdies neige ich nicht zum Masochismus.) Wie öfter in vergleichbaren Spielphasen zerfiel die Mannschaft beim eigenen Spielaufbau in zwei Gruppen. Hinten die Verteidigungsreihe und die beiden Sechser, vorne beide Mittelstürmer sowie die offensiven Außen. Dazwischen: Nichts! Entweder ging der Ball im defensiv-zentralen Mittelfeld verloren (Tyrala) oder wurde lang gespielt und eine sichere Beute der Bremer Verteidigung. Allein die Bremer Unfähigkeit aus der eigenen Überlegenheit mehr Torchancen zu kreieren, hielt das Spiel offen. Ein Umstand, der gegen bessere Gegner mit einiger Wahrscheinlichkeit obsolet wäre.

Dann passierte Marc Höcher. Und plötzlich vollzog sich unter den Augen von 4.000 begeisterten Erfurter Fans eine kaum noch für möglich gehaltene Wendung des Spiels. Gut, Bremen machte den Kardinalfehler in dieser Situation, wurde passiv und ließ sich in Folge dieser Passivität immer weiter in Richtung eigenes Tor drängen. Aber das ist natürlich stets eine Frage von Wirkung und Gegenwirkung. Wie auch immer, plötzlich gab es so etwas wie Spielverlagerungen, die Ballzirkulation war nicht bereits nach anderthalb Pässen zu Ende. Werder konnte die Breite des Spielfeldes nicht mehr verteidigen und so ergaben sich Räume auf den Außen- und Halbpositionen, die immer häufiger in Torgelegenheiten mündeten. Der Treffer zum Sieg fiel dann mit einer gewissen Zwangsläufigkeit. Und war verdient, weil die Rot-Weißen in der entscheidenden Phase des Spieles klar überlegen waren. Ungeachtet der Tatsache, dass Werder über 60 Minuten die bessere Mannschaft stellte. Im Detail fiel mir in dieser Phase auf, dass der bis dahin erbarmungswürdig schlechte Tyrala aufblühte wie eine Hanfpflanze unter der Höhensonne. Als Pass- und Taktgeber im zentralen offensiven Mittelfeld, vulgo auf der Zehnerposition. Das ist vielleicht keine dauerhafte Position für ihn, aber in bestimmten taktischen Konstellationen (wie der am Samstag) haben wir keinen Akteur in der Mannschaft, der den Raum hinter den Spitzen besser bespielt als er.

Rot-Weiß Erfurt vs. VfB Stuttgart II 3:0 / Hoch und weit und erfolgreich

taktik 1Bereits nach drei Minuten wurde deutlich, wie Christian Preußer den ersten Saisonsieg zu erringen gedachte. Auf dem (durch und durch exemplarischen) Foto ist zu sehen, dass es so etwas wie einen Spielaufbau über die zentralen Mittelfeldspieler nicht geben würde, weshalb auch keiner von ihnen im Bildausschnitt zu sehen ist. Die Außenverteidiger stehen unglaublich tief – normalerweise sind sie mindestens an der Mittellinie, meist aber noch höher – positioniert. Auch sie werden an der Überbrückung des Mittelfeldes nicht beteiligt sein. In der Szene wird gleich ein langer Ball folgen, vermutlich geschlagen von Mario Erb, auf den sechs Erfurter Spieler im Angriffsdrittel des VfB-Nachwuchses lauern.

Ich will ehrlich sein, das ist nicht unbedingt der Fußball, den ich schätze. Und hätten wir das Spiel verloren, würde das hier noch sehr viel nachdrücklicher ein Thema sein. Mit dieser taktischen Vorgabe aber gelang dem FC Rot-Weiß Erfurt der dringend benötigte erste Sieg in dieser Saison. Der VfB machte über die gesamte Spieldauer hinweg den Fehler, dass unsere Verteidiger diese Bälle in aller Ruhe nach vorn schlagen konnten, was vor allem bei Mario Erb mit einer erstaunlichen Präzision einherging. Adressat der Bälle war nicht selten Sebastian Szimayer, der via Körpergröße, physischer Präsenz und Zweikampfgeschick eine Reihe dieser Bälle unter Kontrolle bzw. zum Mitspieler bringen konnte. Die Raumaufteilung unserer Offensivspieler war glänzend abgestimmt, sodass viele unklare, abprallende Bälle eine Beute der beiden zentralen Mittelfeldspieler wurden. Man könnte dafür den Begriff Raumdominanz verwenden. Das alles führte selten direkt zu klaren Torgelegenheiten, jedoch gelang es den Erfurtern, permanent Bälle in die Red-Zone zwischen Fünfmeterraum und Sechzehnmeterlinie zu transportieren. Der VfB fand dagegen kein Mittel, Tore waren eine Frage der Zeit. Nur in der Viertelstunde nach der Pause war zu sehen, dass im Team des Stuttgarter Nachwuchses eine Reihe begabter Techniker aufgeboten waren. Drei hochkarätige, gekonnt erspielte Chancen, gab es zu verzeichnen. Dem bereitete Carsten Ich-weiß-wo-das-Tor-steht Kammlott ein jähes Ende. Danach hätte der souveräne Manuel Gräfe abpfeifen können. Das Ding war durch.

Ein Wort zur Diskussion um Sebastian Tyrala. Zunächst denke ich, dass die Taktik vom Samstag nicht in jedem Fall, soll heißen: bei jedem Gegner, zum Erfolg führen wird. Wir werden auf Mannschaften treffen, deren Innenverteidiger geschickter sind, mehr Zweikämpfe gewinnen, es besser als der VfB verstehen, zweite Bälle zu sichern und zu behaupten. Wir werden Sebastian Tyralas Spielintelligenz mithin weiterhin dringend benötigen. Egal, mit welcher Taktik Preußer agieren lässt, unser Spiel wird in dieser Saison von hoher physischer Intensität geprägt sein. Will man Spiele gegen fußballerisch bessere Mannschaften gewinnen, werden gerade die Spieler im zentralen Mittelfeld mehr als der Gegner laufen und viele Zweikämpfe bestreiten müssen. Der körperliche und mentale Verschleiß wird entsprechend hoch sein. Es ist somit unzweifelhaft ein Vorteil, möglicherweise sogar eine Voraussetzung für Erfolg, im zentralen Mittelfeld personelle Optionen im Kader zu haben.

Apropos Optionen im Kader: Gestern wurde Marc Höcher von Roda Kerkrade verpflichtet. Bin mir noch nicht sicher, ob er so ein typisch holländischer Flügelstürmer oder doch eher ein offensiver Mittelfeldspieler ist. Bemerkenswert, dass er über die Jahre eine konstant hohe Zahl von Torvorlagen zu verzeichnen hat. Das werden Kammlott und Szimayer erwartungsvoll zur Kenntnis nehmen. Er hat bei mir schon jetzt einen Bonus, weil er sich lieber auf das Wagnis einer für ihn völlig neuen Liga einlässt, statt seinen Vertrag in der obersten Klasse des Nachbarlandes (immerhin!) auf der Bank abzusitzen.

Rot-Weiß Erfurt vs. Preußen Münster 1:1 / Quo vadis RWE?

dunkle wolkenMein erster Impuls nach dem Spiel am Samstag: Es muss eine Abrechnung her, ein rhetorisches Gemetzel, bei dem kein Auge trocken bleibt. Mit der Mannschaft, der sportlichen Leitung, mit einfach allem und jedem, der bei drei nicht auf den Bäumen ist.

Dann kehrte peu à peu die Vernunft zurück. Es sind vier Partien gespielt, tabellarisch ist nichts Entscheidendes passiert. Wir haben in dieser Woche zwei Spiele vor uns; noch weilt die Hoffnung auf Besserung unter den Lebenden.

Deshalb nur einige – eher zurückhaltende – Sätze als Spielkritik.

Die scheinbare Einheitsmeinung von der Unterscheidung in eine gute erste und eine schlechte zweite Halbzeit kann ich nicht nachvollziehen. Die ersten 45 Minuten waren schlecht, nach der Pause wurde es noch schlechter. Klar, es gab das Tor, unser erster (und einziger) vernünftiger Angriff in drei Spielen (Wiesbaden, Dresden, Münster). Was in Halbzeit eins noch einigermaßen funktionierte (bis auf das Gegentor), war die Unterbindung der Ballzirkulation der Preußen. Im Angriff aber gab es, über die vollen 90 Minuten das Woodstock unter den Fehlpassfestivals zu bestaunen erleiden.

Mir ist es letztendlich völlig egal, ob Christian Preußer mit ein oder zwei nominellen (ausgebildeten) Stürmern spielen lässt. Solange die Angreifer beweglich sind, sich fallen lassen, auf die Flügel ausweichend Räume im Zentrum schaffen. Das ist zwingend notwendig, um genügend Raum und Anspielstationen aus dem Mittelfeld heraus zu haben. Unter keinen Umständen will ich zwei Spitzen sehen, die zwischen den Verteidigern der gegnerischen Viererkette auf Bälle warten. Das ist Fußball der 90iger Jahre und wird auch von schlechteren Defensiven als der von Preußen Münster problemlos verteidigt.

Im Spielbericht der TA beklagt Marco Alles zu Recht die mangelhafte Raumaufteilung. Der Abstand unserer hinteren Viererkette zur Mittelfeldkette war in der 2. Halbzeit über weite Strecken viel zu groß. Was die Preußen immer wieder für eindrucksvolle Ballpassagen in diesem Raum zu nutzen wussten. (Exkurs: Gott sei Dank scheint es eine Art Preußen-Münster-Gen zu geben, denn manchmal hatte man den Eindruck, dass sie sich an ihrer Ballfertigkeit erfreuten, ohne entschlossen zum Abschluss kommen zu wollen. Scheint mir den Fußball der Preußen bereits seit Jahren zu prägen.)

Summarisch muss ich konstatieren, und das hat mir nachdrücklich das Wochenende verhagelt, dass wir unser bestes Spiel am 1. Spieltag in Magdeburg gemacht haben. Meine Hoffnung, dass sich die neue Mannschaft steigert (indem sich auch die neuen Offensivspieler langsam an die Liga gewöhnen), bestätigt sich bisher leider ganz und gar nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall. Mit der Realitätskonfrontation scheint das Selbstvertrauen zu schwinden. Dies hat im Fußball noch nie etwas besser gemacht.

Trotz meiner Kritik an den Preußen war ihr Spiel guter Anschauungsunterricht für genau das, was den Rot-Weißen abgeht: Spiel- und Passsicherheit im Mittelfeld. In allen Zonen des Mittelfelds, zentral, offensiv und bei den Spielern auf den Außenbahnen. Ehrlich gesagt habe ich bei den derzeit gehandelten potenziellen Spielern Zweifel, ob sie leisten können, was bitter vonnöten ist – uns sofort weiterhelfen. Noch ein oder zwei talentierte Spieler zu verpflichten, die aber ebenfalls Monate benötigen, um sich an das Spieltempo der Liga zu gewöhnen (mit offenem Ausgang), erscheint mir nicht sinnvoll. Mir jedenfalls käme eine Leihe von Spielern aus dem Kader eines deutschen Zweitligateams oder eines ausländischen Erstligisten (Polen, Ungarn, Tschechien, etc.) erfolgversprechender vor.

Ja, ich weiß, die maladen Finanzen. Aber haben wir nicht etwas Handlungsspielraum durch die doch recht erfolgreiche Ausgabe der Genussscheine bekommen? Wenn ja, wäre es an der Zeit ihn auszuschöpfen. Nur mit einer halbwegs stabilen Abwehr, der Eroberung von zweiten Bällen, Toren nach Standards und Carsten Kammlott als einzigem, wirklich durchgängig ligatauglichen Offensivspieler wird es schwer bis unmöglich, die Klasse zu halten.

Erfurt vs. Wiesbaden 0:0 / Ein mühsamer Punktgewinn

Nein, ein Pfeifkonzert habe ich am Ende des Spiels nicht vernommen. Anschwellenden Unmut schon. Vereinzelte Pfiffe. Zu denen kann ich nur feststellen: Das ist ein freies Land, jeder darf sich nach seiner Fasson blamieren.

Es war das erste Heimspiel der Saison, wir haben es nicht verloren, einen Punkt verbucht. Das Spiel der Mannschaft bot durchaus Anlass zu Besorgnis und Kritik. Pfiffe halte ich jedoch für absurd. Hier einige lose Gedanken zum Spiel:

Im Stadion und in den Foren angeregt diskutiert (bzw. kritisiert) wurde die Leistung der beiden offensiven Außenspieler Eichmeier und Bichler. Fakt ist, dass wir auf diesen Positionen Qualität verloren haben. Andreas Wiegel hat zwar eine sehr gemischte Saison abgeliefert, gehört aber generell einer inzwischen raren Spezies an. Ein «richtiger» Außenstürmer, robust, dribbel- und tempostark, dem mehrere Optionen zu Gebote stehen. Er kann sowohl zur Grundlinie starten und flanken als auch zentral abschließen. Weshalb er auch kein Problem hatte, von einem Zweitligisten verpflichtet zu werden. Auf der linken Seite spielte in der vergangenen Saison oft Okan Aydin. Der ist ein komplett anderer Spielertyp, überdies kein Linksfuß, mithin ein sogenannter inverser Winger. Er zog meist von der linken Seite ins Angriffszentrum. Nach Möhwalds Weggang soll er nun dessen Rolle im zentralen offensiven Mittelfeld übernehmen. Beide Positionen mussten also neu vergeben werden. Einen Spieler wie Wiegel haben wir nicht mehr im Kader, demzufolge ist auch die Option der Tempodribblings obsolet. Dies bedeutet, dass quasi alle Angriffe auf den Flügeln durch Passspiel erzeugt werden müssen. Da man Pässe in der Regel nicht mit sich selbst spielt, bedarf dies der Unterstützung der Mitspieler. Wobei es dabei – wenn man auf einen Gegner in der defensiven Grundordnung trifft – meist nicht ausreicht, wenn der Außenverteidiger nachrückt. Da man für Raumgewinn Überzahl erzeugen sollte, ist es notwendig, dass entweder einer der Sechser sich am Flügelspiel beteiligt oder der ballferne offensive Außenspieler ebenfalls auf diese Seite wechselt. Terminus technicus: Überladen einer Angriffsseite. Das klingt nicht nur einigermaßen komplex, das ist es tatsächlich auch. Vor allem weil bei allem Angriffsdrang beachtet werden sollte, dass man bei einem Ballverlust (plus fehlgeschlagenem Gegenpressing) nicht völlig ohne defensive Absicherung bleiben darf. Beim Überladen einer Seite durch den zweiten Außen geht zudem die Option einer Spielverlagerung auf die andere Seite verloren, weshalb man diese Variante ziemlich selten sieht. Dem Spiel kommt schlichtweg Breite abhanden.

Intensiv diskutiert wird auch die Zwei-Stürmer-Problematik. Oder besser, das angebliche Fehlen eines zweiten Stürmers. Ein Evergreen in Erfurt. Hierzu ist festzustellen, dass so gut wie keine Mannschaft mehr mit zwei «klassischen» Strafraumstürmern agiert. Das ist irgendwann Mitte der Nullerjahre aus dem Repertoire verschwunden. Sogar Mannschaften, die nominell ein 4-4-2 aufbieten, wie zum Beispiel Favres Gladbacher der vergangenen Saison, spielen dieses System sogar ohne «echten, richtigen» Mittelstürmer. Sowohl Kruse als auch Raffael sind quasi freie Radikale. Sie ziehen sich teilweise bis an die Mittellinie zurück, um bereits beim Aufbau eines Angriffs in die Ballzirkulation eingebunden werden zu können. Selbst wenn Preußer Kammlott und Uzan gemeinsam spielen ließe, müssten beide gestaffelt agieren und sich in rückwärtige Räume fallen lassen, um angespielt werden zu können. Soll heißen: Das Spiel sehe keinen Jota anders aus, nur weil der eine (Aydin) als offensiver Mittelfeldspieler und der andere (Uzan) als Stürmer bei transfermarkt.de firmiert. Zurzeit hat – aus Sicht des Trainers – Aydin auf dieser Position Vorteile. Diese Sicht kann sich ändern.

Es existiert eine Korrelation von exakt 0,0 zwischen der Anzahl der nominellen Stürmer und der Qualität des Offensivspiels einer Mannschaft.

Insgesamt fand ich das Spiel der Rot-Weißen so miserabel nicht. Ich will aber auch nicht zwingend unterhalten werden, wenn ich ins Stadion (oder dem was von ihm übrig ist) gehe. Die Mannschaft erspielte sich in der zweiten Hälfte der 1. Halbzeit deutliche Vorteile und Chancen, die leider – wie bereits in Magdeburg – ungenutzt blieben. Dann wurde Wiesbaden besser, Erfurt kam mit der (notwendigen) taktischen Umstellung nach der Roten Karte nicht zurecht. Mut macht auf jeden Fall die Qualität der Defensivarbeit – aus dem Spiel heraus wurde sehr wenig zugelassen und bei den wenigen Standards der Wiesbadener war man konzentriert.

Daran lässt sich anknüpfen. Aber das allein wird in Dresden nicht genügen. Um dort zu bestehen, braucht es zwingend eine Steigerung im Angriffsspiel, und zwar in allen Punkten: Abstimmung, Passgenauigkeit, Effizienz. Es liegt viel Arbeit vor Christian Preußer und seinen Spielern.

Dann wohl doch: Mission 2016+n / Erfurt vs. Wiesbaden 0:2

Ich bin kein Masochist. Weshalb sich übers Wochenende alles in mir wehrte, das Spiel noch einmal anzusehen. Deshalb werde ich mit einer profunden, tiefschürfenden taktischen Analyse (selbst einer zweifelhaften) nicht dienen können. Das Spiel begann wie viele Heimspiele von RWE in dieser Saison: abwartendes Mittelfeldgeplänkel beider Seiten. Dann wurde Koglers Mannschaft konstruktiver, die Kombinationen gewannen (etwas) an Sicherheit, erste Chancen waren zu verzeichnen. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Heimspielgegnern zeigten sich die Wiesbadener unbeeindruckt. Hochsolide in der Innenverteidigung, aggressiv in den Zweikämpfen und stets latent gefährlich, vor allem über den starken Schnellbacher, deuteten sie bereits zu diesem Zeitpunkt an, dass es diesmal anders laufen könnte.

Dann kam das berühmte Spielglück hinzu. Zunächst in Form von zwei Schiedsrichterentscheidungen, die auch anders hätten ausfallen können. Zuerst der Freistoßpfiff gegen und nicht für Möhwald und dann – in unmittelbarer Folge – ein Elfmeter, den man sicher geben kann, aber eben nicht geben muss. Wobei der Ball gefühlte Ewigkeiten unterwegs ist und Schnellbacher von drei Erfurter Abwehrspielern umstellt ist, was jeden Körperkontakt obsolet machen sollte. Aber Christoph Menz weiß das alles selbst und hat es nach dem Spiel auch so zu Protokoll gegeben. Shit happens. Danach begann die beste Phase des Erfurter Spiels. Dumm nur, dass ausgerechnet in diesen Abschnitt hinein das zweite, letztlich entscheidende, Tor der Wiesbadener fiel.

Trotz der beiden Gegentore war die erste Halbzeit nicht das Problem. Da befand man sich noch halbwegs auf Augenhöhe (auch wenn das Resultat etwas anderes sagt), hatte Chancen und ein Tor lag immer im Bereich des Möglichen. Das änderte sich in Halbzeit zwei grundlegend. Niemand konnte der Mannschaft den Willen absprechen, das Spiel zumindest noch auszugleichen. Allein, es fehlten die fußballerischen Mittel. Auf alle Versuche hatte der SVWW eine Antwort. Je länger die Partie dauerte, desto mehr erinnerten die Ballbewegungen in der Offensive von RWE an die hektischen Impulse einer Kugel in einem Flipperautomaten. Balleroberungen folgten Fehlabspielen in rasantem Wechsel. Die Mannschaft hatte Probleme überhaupt in die Nähe des Wiesbadener Tors zu gelangen.

So war es letztlich nicht die Niederlage an sich, sondern vor allem die Art und Weise des Zustandekommens, die so einige Träume am Steigerwald der normativen Kraft des Faktischen aussetzten. Kiel war eben kein einmaliger Ausrutscher.  Wenn es nicht gelingt, die Mannschaft fußballerisch und mental zu stabilisieren, werden wir auch in dieser Saison nichts mit dem Aufstieg zu tun haben.

Last but not least: die Spielzusammenfassung des Wiesbadener Stehblog.

Rot-Weiß Erfurt vs. Chemnitzer FC 2:0 / Fortuna nur in einer Nebenrolle

Die Debatte um die Art und Weise des Zustandekommens der nunmehr sechs Erfurter Heimspielerfolge in Folge reißt nicht ab. Mit «Erfurt besiegt den CFC glücklich» gibt dabei der mdr die Tonlage vor, aber auch in den Vereinsforen sind einige Unentwegte unterwegs, die bei jedem Sieg vor allem die Gunst der Glücksgöttin Fortuna am Werke sehen. Oder weniger blumig  ausgedrückt: RWE ist in den Spielen nicht durchgehend dominant, der Gegner hatte Chancen, also war der Sieg glücklich.

Nun ja, auch ich hätte wenig gegen einen richtig deutlichen Heimsieg einzuwenden, ganz ohne Zittern und Herzklopfen. Vielleicht werden wir einen solchen in dieser Saison noch erleben, aber er wird die Ausnahme bleiben. Dafür sind die Mannschaften in dieser Dritten Liga schlichtweg zu ausgeglichen besetzt. Die hochgelobten Jungdynamiker aus Dresden kommen zu Hause gegen den Aufsteiger aus Köln über ein torloses Unentschieden nicht hinaus; der SV Wehen Wiesbaden – Tabellenführer – verliert daheim gegen den Nachwuchs von Mainz 05, der sich vor dem Spieltag auf einem Abstiegsplatz befand. Das ist die Normalität einer Liga, in der sich die Etats der Teams (jedenfalls in dieser Saison) so ähneln wie ein BigMac dem anderen.

Glück spielt im Fußball immer eine Rolle, schon allein weil, verglichen mit anderen Sportarten (Basketball, Handball, Volleyball, Tennis), nur wenige Tore (Punkte) das Ergebnis bestimmen. Wir sollten jedoch den größeren Einfluss des Zufalls/Glücks im Fußball nicht beklagen, denn vor allem er sorgt für die globale Faszination dieses Sports. In der Handballbundesliga verliert ein Tabellenführer so gut wie nie gegen den Drittletzten (siehe Wiesbaden gegen Mainz), eben weil die höhere Anzahl an Treffern fast immer dazu führt, dass sich die qualitativ bessere Mannschaft am Ende durchsetzt.

Gute Fußballtrainer wissen um diesen vergleichsweise exponierten Einfluss des Zufalls in ihrem Sport. Schon allein, weil es ihnen bei der Trainerausbildung vermittelt wird. Was sie nicht daran hindert, diesen Einfluss zu reduzieren. Oder dies zumindest zu versuchen. Der FC Rot-Weiß Erfurt hat inzwischen sechs Heimspiele in Folge gewonnen, die letzten drei davon blieb man ohne Gegentor. Vor allem hier liegt der Schlüssel dieser Serie. Kogler ist es gelungen, der Mannschaft zu vermitteln, dass es nicht exklusiv Aufgabe der Defensivspieler ist, den Gegner am Erzielen von Toren zu hindern.

In dieser Hinsicht war allein Kammlotts Auftritt gestern bemerkenswert. Ich vermute ja, dass Endres von ihm in der letzten Nacht alpträumte. Unermüdlich lief unsere Spitze in hohem Tempo (und mit klugen Winkeln) die spielaufbauenden Chemnitzer Spieler an, die dann in großer Not einige Bälle nur noch ins Aus klärten oder lang und unkontrolliert nach vorn schlugen. Möhwalds Rolle bestand im Zustellen attraktiver CFC-Passwege (vor allem durch die Mitte). Die beiden offensiven Außen Bukva und Wiegel beteiligten sich ebenfalls vorbildlich an der Arbeit gegen den Ball. Auch ihnen war kein Weg zu weit, kein Sprint zu viel. Im Resultat der guten Defensivarbeit von Koglers Mannschaft kam der CFC nur zu wenigen Chancen aus dem Spiel heraus. Sie waren durchaus die aktivere Mannschaft (was nach dem schnellen Rückstand naheliegend war), die Mehrzahl ihrer Möglichkeiten resultierte jedoch aus Standards.

Nach Möhwalds frühem Tor begannen die womöglich besten 20 Minuten von RWE in der laufenden Saison. In dieser Spielphase gelang Chemnitz nach vorn nichts und RWE hatte einige sehr gute Kontermöglichkeiten – vor allem nach Ballgewinnen im zentralen Mittelfeld – die man auch passabel auskombinierte. Beim letzten Pass war dann allerdings immer ein Chemnitzer Abwehrkörperteil im Weg. Am Schluss dieser Phase stand eine Riesenchance von Czichos. Danach folgte der große mittlere Akt des Spiels: Chemnitz gut anzusehen, viele Spielanteile in der Erfurter Hälfte, einige Einschussgelegenheiten, nichts Hundertprozentiges dabei. Rot-Weiß einen Tick zu passiv und zu ungenau bei den Gegenstößen. Trotzdem immer bemüht, mit schnellen Passfolgen nach vorne zu kommen. Auch am Ende dieser Spielsequenz hatte RWE durch Brandstetter eine Riesengelegenheit. Hätte er sie genutzt, der dramatische dritte Akt wäre mangels Masse entfallen. Der CFC musste jetzt das Risiko steigern, tat das auch gekonnt und kam durch Glasner jetzt auch zu Großchancen. Die überstand der RWE glücklich – wohlgemerkt, nachdem man das Spiel selbst hätte frühzeitig entscheiden können. Den Schlusspunkt setzte Kadric nach kluger Vorarbeit von Möhwald.

Wir sind derzeit Tabellenzweiter, weil wir eine gute Mannschaft haben, die auf dem Platz homogen zusammenwirkt. Das ist in großem Maße der Arbeit von Walter Kogler (und seinen Co-Trainern) zu verdanken. Es ist gelungen, dem Team eine fußballerische Verfassung zu geben. Sollten wir von (langwierigen) Verletzungen verschont bleiben und die Spieler weiterhin den Erfolg der Mannschaft als erste Priorität im Sinn haben, werden wir oben dabei bleiben. Niederlagen (auch gegen Mannschaften die tabellarisch klar hinter uns stehen) und schlechte Spiele werden nicht ausbleiben. Sie gehören zum Sport im Allgemeinen und zur inneren Logik dieser Liga im Besonderen.

Eines noch: Lieber DFB, kannst Du uns in Zukunft immer einen so souveränen Schiedsrichter wie Günter Perl schicken?

Rot-Weiß Erfurt vs. FSV Mainz 05 II 1:0

Wenn ich ein Spiel des FC Rot-Weiß Erfurt sehe, leide ich innerlich an jedem Fehlpass, jeder vergebenen Torchance, jedem Abpraller, der nicht zu einem unserer Spieler springt und an tausend weiteren Unzulänglichkeiten mehr, die einem perfekten Spiel entgegen stehen. Im Spiel gegen die 2. Mannschaft des FSV Mainz 05 gab es viel zu leiden. So wie in vielen Spielen seitdem ich Anhänger der Rot-Weißen bin. Einerseits. Andererseits freute ich mich über den fünften Heimsieg in Folge und die erneute Bestätigung meiner These, dass wirklich schwache Mannschaften in dieser Liga schlichtweg inexistent sind. Jedenfalls gibt es keine, die man en passant aus dem Steigerwaldstadion, das bald eine Arena sein wird, schießt. Insofern halte ich die massive Kritik, die derzeit selbst nach einem Sieg auf Mannschaft und Trainer niedergeht, für überzogen. Man erfährt in vielen dieser Äußerungen manches über die Kritiker und wenig über das Spiel der Erfurter Mannschaft.

Natürlich spielte RWE nach der frühen Führung zu passiv, Mainz kam zu Chancen, ein Ausgleich für die Rheinhessen wäre verdient gewesen. Wie schon häufiger in den letzten Partien funktionierten Pressing und vor allem Gegenpressing (sprich attackieren nach eigenem Ballverlust) zu häufig nicht. Vor allem das zentrale Mittelfeld wurde einige Male überspielt, was bei den spielstarken Mainzern quasi immer dazu führte, dass sie die sich bietenden Räume nutzten, um sich gefährlich vor das Erfurter Tor zu kombinieren. Insgesamt muss man derzeit die Arbeit gegen den Ball in einigen Spielphasen kritisieren. In der zweiten Halbzeit wurde vieles besser, auch weil die offensiven Flügelspieler und die Stürmer konsequenter und effektiver nach hinten arbeiteten. Im Resultat hatte Mainz so gut wie keine Torgelegenheiten mehr.

Am meisten Blutdruck hatte ich jedoch bei zwei Szenen von Andreas Wiegel. Ich finde es großartig, dass wir wieder einen Tempodribbler von hohen Graden in der Mannschaft haben, und denke, dass er in den letzten Wochen noch einmal einen deutlichen Schritt nach vorn gemacht hat. Aber bei seinen beiden Chancen in der 2. Halbzeit muss er den viel besser postierten Kammlott anspielen, dann werden aus passablen Einschussmöglichkeiten Großchancen. Egoshooting kann sich das Team nicht leisten.

Zur Gretchenfrage 4-4-2 oder 4-2-3-1? Ich kann gut verstehen, dass Kogler weder auf Kammlott noch auf Brandstetter verzichten möchte. Deshalb halte ich das 4-4-2 für das derzeit richtige System zu Spielbeginn. Trotzdem müssen einige Problemstellen auf dem Platz beantwortet werden. Zum einen ist das Offensivspiel zu statisch, wenn sich beide Stürmer nicht entsprechend nach hinten orientieren und als Anspielstation im Mittelfeld anbieten. Hier kann man als Anschauungsunterricht die gegenwärtige Spielweise der Gladbacher Borussia nur empfehlen. Sowohl Kruse als auch Raffael lassen sich wechselweise tief in die eigene Hälfte fallen oder überladen die Flügel und sorgen derart für eine extreme Unausrechenbarkeit des Angriffsspiels. So muss das. Im Defensivspiel dürfen die Stürmer nicht ausschließlich als erste Pressingreihe auftreten, sondern müssen situativ nach hinten arbeiten, um Lücken (z.B. bei einem nicht gelungenen Gegenpressing) zu schließen. Als Stürmer Kräfte sparen wenn der Gegner angreift, war früher.

Auch die Integration von Okan Aydin war alles andere als optimal, aber das ist wohl kaum als Überraschung zu werten, schließlich war es sein Debüt in der Startelf. Fast durchweg gut gefallen hat mir die Leistung der Abwehr, auch der zuletzt viel kritisierte Judt bot ein überaus solides Spiel. Um Rafael Czichos mache ich mir langsam Sorgen, denn seine Qualitäten als offensiver Linksverteidiger werden so manchem Zweitligisten nicht lange entgehen.

Es wird sich in den nächsten Wochen entscheiden, ob es Kogler schafft, die offensichtlichen Defizite weitgehend zu eliminieren. Gelingt dies, hat der FC Rot-Weiß gute Chancen lange oben mitzuhalten. Das diesjährige Personal gibt dies allemal her. Doch selbst wenn es so geschieht, werde ich wieder viel leiden.

FC Rot-Weiß Erfurt vs. Holstein Kiel 3:2

Nach dem Spiel konnte niemand sagen, wann der FC Rot-Weiß Erfurt zuletzt drei Tore nach Standards erzielt hatte. Abgesehen von Pfingsten-Reddigs Elfmetern war das lange Zeit eine vernachlässigte Toreinnahme-Quelle. Es blieb Walter Kogler vorbehalten, die Gründe dafür zu nennen: Mehr gute Standardschützen (in diesem Fall: Tyrala, Aydin und Möhwald) und eine größere Anzahl potenzieller Abnehmer. Daraus resultierend: weniger Ausrechenbarkeit für den Gegner.

Soweit zu den ausschließlich positiven Aspekten des Spiels. Auf der anderen Seite ist zu vermerken, dass RWE die Standards so dringend benötigte wie die FDP Zweitstimmen, weil aus dem Spiel heraus wenig Konstruktives gelang. Das lag in erster Linie an einer bockstarken defensiven Vorstellung der Kieler. Carsten Neitzel und sein Trainerteam hatten definitiv ihre Hausaufgaben erledigt. Nichts war es mit einem gepflegten, vertikal orientierten Spielaufbau aus einer Dreierkette heraus. Quasi alle Aufbauspieler wurden früh und aggressiv gestört, sodass oft nur der Rückpass zu Klewin blieb. Dessen einzige wirkliche Schwäche, mangelnde Präzision bei langen Bällen, war ebenfalls nicht dazu angetan, das Offensivspiel von RWE zu befördern.

Kiel brachte zwar zunächst in direkter gegnerischer Tornähe auch nicht viel zustande, erwies sich aber als erstaunlich ballsicher und entzog sich so immer wieder dem Pressing der Erfurter. Beide Tore fielen dann wie aus dem Nichts. Zuerst hatte Judt einen Aussetzer und foulte Heider völlig unnötig, wenig später bilderbuchte Brandstetter die Ecke von Tyrala zum Ausgleich ins Kieler Tor.

Nach dem Wechsel brachte Kogler Aydin für den erneut wenig überzeugenden Bukva. Zunächst änderte sich dadurch wenig. Mit der folgenden Einwechslung von Kammlott (für Tyrala) wurde auf ein 4-4-2 umgestellt hatte. Aydin fand nach zehn Minuten besser ins Spiel, bzw. wurde von seinen Mitspielern in Selbiges eingebunden. Auch Wiegel, am anderen Flügel, wurde stärker. Es ergaben sich Chancen, doch erneut benötigte es einen Standard zur Führung. Danach «rächte» sicht die numerische Unterzahl im Mittelfeld, Holstein reagierte druckvoll und mit gutem Fußball auf den Rückstand, fast folgerichtig fiel der Ausgleich. Das Spiel wurde ein völlig offenes, aber der Fußballgott hatte an diesem Samstag ein Faible für Kevin Möhwald und ließ dessen Freistoß durch Freund und Feind passieren. Jetzt reagiert Kogler praktisch sofort, revidierte das 4-4-2 und wechselte Baumgarten für Brandstetter ein. Kiel mühte sich zwar noch um den Ausgleich, konnte aber die zwischenzeitliche Dominanz im Mittelfeld bis zum Ende nicht mehr erreichen.

Die drei Punkte lassen Rot-Weiß den Anschluss nach oben nicht verlieren, damit dies aber weiterhin gilt, sollte in Wiesbaden natürlich nicht verloren werden. Aber wenn ich mich recht entsinne, haben wir da eigentlich immer ganz gut ausgesehen und gepunktet. Wird trotzdem schwer, da der SVWW jetzt drei Mal in Folge verloren hat und sicher nicht scharf darauf ist, diese Serie fortzusetzen.

WP2Social Auto Publish Powered By : XYZScripts.com