Archiv für Aufreger der Woche

Ein bisschen Rathausastrologie in Sachen Arena-Abstimmung

Hatten Journalisten – in Zeiten des Kalten Krieges – keine Ahnung was hinter den dicken Mauern des Kreml vor sich ging, stellten sie wilde Vermutungen an. Das nannte man Kremlastrologie. Die mit Abstand unterhaltsamste Fernsehrunde dieser Art war „Der internationale Frühschoppen“. Werner Höfer, der Gastgeber, bat internationale Journalisten zum Gedankenaustausch. Die Sendung begann jeden Sonntag um 12.00 Uhr mittags in der ARD. Ab 12.30 Uhr war es dann Hörfunk, weil man im Fernsehen noch rauchen durfte (sogar wenn man nicht Helmut Schmidt hieß) und alle reichlich Gebrauch von dieser Möglichkeit machten. Der üppig ausgeschenkte Wein sorgte zudem für eine – sagen wir – entspannte Stimmung.

Gehen wir es mal nüchterner an. Am 29. Februar findet die – vorerst letzte – entscheidende Abstimmung im Erfurter Stadtrat zum Umbau des Steigerwaldstadions statt. Es soll über das vorliegende Betreiberkonzept der Stadtverwaltung abgestimmt werden. Im Stadtrat sitzen 50 ehrenamtliche Stadträte. In ihren Händen liegt die Zukunft des Erfurter Fußballs. Gestern veröffentlichte die Thüringer Allgemeine eine Befragung alle Fraktionsvorsitzenden. Thema: Welche Position vertritt ihre Partei in dieser hochstrittigen Frage? SPD und FDP haben sich quasi ohne Wenn und Aber zu den bisherigen Ausbauplänen bekannt. Wenig überraschend und ebenso deutlich sprachen sich die beiden älteren Damen der Grünen und der Freien Wähler Erfurt dagegen aus. Am Abstimmungsverhalten dieser beiden Lager wird sich bis nächsten Mittwoch nichts ändern. Somit steht es 20 zu 9 Stimmen für die Befürworter der Arena. Notwendig für die Annahme ist eine einfache Mehrheit. Es kommt also auf die CDU und/oder die Linken an. Meine Prophezeiung lautet: Die CDU wird keinesfalls geschlossen dagegen stimmen, die Linken werden sich enthalten.

Warum? Michael Panse, der OB-Kandidat der CDU beharrt momentan in erster Linie auf mehr Parkfläche in Nähe der Arena und einer Lösung für die Südeinfahrt. SPD-Oberbürgermeister Andreas Bausewein hat in den letzten Tagen diesbezüglich Verhandlungsbereitschaft signalisiert und sein Fraktionschef Frank Warnecke macht die Tür für die CDU ganz weit auf, wenn er sagt: „Zum anderen haben wir als SPD-Fraktion extra Haushaltsmittel für die Martin-Andersen-Nexö-Straße/Südeinfahrt bereitgestellt. Es sollte unstrittig sein, dass im Rahmen des Stadionumbaues die Südeinfahrt der Landeshauptstadt gleichzeitig mit neu hergerichtet werden muss. In diesem Zuge muss auch ein Parkraumkonzept für Veranstaltungen vorgelegt werden.“ Panse, das sollte nicht vergessen werden, hat für eine Total-Blockade der Arena-Pläne selbst in seiner eigenen Fraktion keine uneingeschränkte Unterstützung. Dort sitzen mit Thomas Pfistner und Jörg Schwäblein ebenso einflussreiche wie RWE-affine CDU-Ratsmitglieder, die für die zweifelhafte politische Zukunft von Michael Panse allein, nicht ihre persönliche Reputation zu ruinieren bereit sein werden. Selbst wenn Panse (und einige andere in der CDU-Fraktion) auf einer Ablehnung insistieren sollten, gehe ich nicht von einem geschlossenen Abstimmungsverhalten der CDU aus. Dann wird es Enthaltungen bzw. Zustimmung von Mitgliedern der Fraktion geben. Um die CDU-Fraktion nicht als heillos zerstrittenen Haufen dastehen zu lassen, könnte eine kollektive Enthaltung (die einem Durchwinken des Betreiberkonzepts gleich käme) ein Kompromiss für die Christdemokraten sein.

Die Linken. Von deren Fraktionschef Andre Blechschmidt sind in der TA Sätze zu lesen, die so fast von der Erfurter SPD stammen könnten: „Die Linke tritt für eine moderne und attraktive Sportstätte an der heutigen Stelle ein. Die Pläne des Oberbürgermeisters sind eine mögliche Variante. Schwächen, Mängel und Risiken müssen ausgeräumt sowie Alternativen geprüft werden. … Vieles in dem Konzept ist gut.“ Er nörgelt dann im Weiteren ein bisschen an diesem und jenem herum, macht aber keine wirklich grundsätzlichen Einwände geltend. Den Vorschlag einer Bürgerbefragung, den der OB-Kandidat der Linken Michael Menzel letzte Woche meinte machen zu müssen, handelt er in einem Satz ab, der an Unbestimmtheit schwer zu überbieten ist: „Wir wissen um die Fragen der Menschen, gerade im Wohnumfeld, die wir beantwortet haben wollen, um mit einem Bürgervotum eine Entscheidung über diese Vorschläge zu treffen.“ Abgesehen davon, dass mit einer Bürgerbefragung überhaupt nichts entschieden werden kann (sie hat rein informellen Charakter), lässt er völlig offen, über was genau, welche Bürger mit welcher Methodik befragt werden sollen. Die Linken werden diese Bürgerbefragungsnummer als Vorwand nutzen schlichtweg nichts zu entscheiden – sich also der Stimme enthalten. Denn davon versprechen sie sich die Möglichkeit im Wahlkampf ihre grenzenlose Bürgernähe lautstark in Szene zu setzen. Dagegen werden sie allerdings auch nicht stimmen, denn selbst dialektisch geschulte Genossen werden es schwer haben, Argumente dafür zu finden, warum sie im Dezember dem Haushalt (einschließlich Arena-Anteil der Stadt) zugestimmt haben um knappe zehn Wochen danach gegen ein Betreiberkonzept zu votieren, das ihnen im Wesentlichen damals bereits bekannt war.

Die Kreml-Astrologen irrten sich zumeist. Mag also sein, dass ich spätestens am Mittwochabend dumm und zudem enttäuscht dastehe. Aber Stand jetzt, rufe ich allen Anhängern des RWE Manfred Wolkes Lieblingssatz zu: Et läuft!

Stübners Erzählungen – Eine Replik in zwei Teilen (I)

Fußballblogger schreiben am liebsten über Fußball. Doch dann kamen der Winter und Dr. Gerd Stübner um dies zu verhindern. Dem OB-Kandidaten der Freien Wähler muss man dennoch ein Kompliment machen: Mutig verlässt er die Komfortzone des Unverbindlichen, nennt (große) Zahlen und modelliert aus ihnen unverrückbare Tatsachen, die einen Bau der neuen Erfurter Arena als ein durch nichts zu rechtfertigendes Abenteuer bloß stellen sollen. Doch zur Stübner-Horror-Picture-Show später.

Das Geld kommt nach Thüringen oder es wird woanders in Europa ausgegeben

Zunächst erscheint es mir sinnvoll noch einmal kurz auf das Förderverfahren hinzuweisen. Immer wieder taucht die Frage auf: Kann man mit diesem Geld nichts Sinnvolleres anfangen? Sinnvolleres jedenfalls, als die Partikularinteressen zweier Fußballvereine und ihrer Anhängerschaft zu alimentieren? Die Antwort lautet: Ja, womöglich kann man das. Allerdings irgendwo anders in Europa und ohne jeden Einfluss auf das Unterfangen selbst. Die Gelder, die über das in Rede stehende GRW-Verfahren ausgereicht werden sollen, sind EU-Fördergelder. Sie speisen sich aus den Transferzahlungen der EU-Mitgliedsländer. Das Thüringer Wirtschaftsministerium hat die Städte Erfurt und Jena, sowie die beiden dort ansässigen Vereine darauf aufmerksam gemacht, dass es im Fall des geplantes Baus zweier Multifunktionsarenen beide als förderwürdig im Sinne der GRW-Richtlinien erachten würde. Es werden keine Gelder des Landes Thüringen dafür verwendet, schon gar nicht werden (auf Landesebene) neue Schulden zur Finanzierung der Arenen aufgenommen. Es lassen sich auf diesem Weg definitiv auch keine Schulen, Kindergärten oder Straßen bauen bzw. sanieren. Partikular sind die Interessen quasi bei allen öffentlichen Investitionen, ob Oper, Autobahn oder Flughafen: Niemals werden sämtliche Bürger eines Gemeinwesens davon profitieren  – schon gar nicht in gleichem Umfang. Die Kunst gutes Regierens bestand schon immer darin, eine Balance zwischen den divergierenden Gruppeninteressen einer Gesellschaft herzustellen. Summarisch gelingt das in Deutschland so schlecht nicht. In Erfurt ist man dabei, sich von dieser politischen Tugend zu verabschieden.

Soweit das Auge reicht: Moderne Mehrzweckarenen und neue Stadien

Wie jede andere EU-Region, versucht Thüringen einen möglichst hohen Anteil an EU-Subventionen zu erhalten. Politiker die das unterlassen, müssten sich den Vorwurf der Fahrlässigkeit gefallen lassen. Die Webseite stadionwelt.de befasst sich mit nichts anderem als dem Bau von Stadien und Arenen – europaweit. Dort kann man nachlesen welche neuen Projekte in Planung, im Bau oder auch bereits abgeschlossen sind. Das ist eine hoch spannende Lektüre und sie lässt nur einen Schluss zu: Europa erlebt derzeit einen Bauboom was die Errichtung oder Modernisierung  von Sport- und Eventstätten betrifft. Die meisten von ihnen werden so vielseitig wie möglich genutzt: entweder durch mehrere Sportarten/Vereine oder eben auch durch die Kombination mit außersportlichen Veranstaltungen. Finanziert werden diese Investitionen auf sehr unterschiedlichen Wegen, man kann jedoch einen Trend festmachen: Sehr selten kommt das Geld ausschließlich von einem privaten Investor (wie bei der O2-World in Berlin, Anschütz-Gruppe), ebenso exzeptionell ist die Alleinfinanzierung durch die betroffene Kommune (wie im Fall des Chemnitzer Stadions). Meistens sind es Mischfinanzierungen aus diversen, steuergespeisten Geldquellen. Es bleibt festzuhalten: Der Bau der neuen Arenen in Erfurt und Jena ist kein Einzelfall. Es ist momentan nachgerade epidemisch moderne Sportstätten für publikumswirksame Sportarten zu errichten. Desgleichen ist deren polyvalente Nutzung völlig üblich (auch durch außersportliche Aktivitäten), ebenso wie ihre Allein- oder Ko-Finanzierung durch die öffentliche Hand. Und bevor dieses Argument kommt, will ich gleich darauf eingehen: Nein, es ist keineswegs so, dass diese Sportstätten nur in den Metropolen unseres Landes gebaut werden. Es sei denn Kassel, Potsdam, Offenbach, Plauen, Zwickau zählt man neuerdings auch dazu.

Stübner vermutet: Kommt die Arena gibt’s keine BUGA

Was sagt uns das alles? Es sagt uns vieles, vor allem aber eins: Selbst bei einer sensationell moderaten Eigenfinanzierungsquote von ca. 5 Millionen EUR – für die man eine vielfältig verwertbare hochmoderne Immobilie erhält (erhalten könnte) – wollen nennenswerte Teile der Erfurter Kommunalpolitiker diese Arena mit aller Macht verhindern. Das führt uns nun zu den Argumenten, die der OB-Kandidat der Freien Rentner Wähler Erfurt, Dr. Gerd Stübner, in einem Posting auf der Seite meinanzeiger.de vorgebracht hat.

Es gibt in Dr. Stübners Artikel zwei Kategorien von Argumenten. Die einen lassen sich en passant annullieren, weil sie offensichtlicher Stuss sind. In diese Kategorie fällt die vermeintliche Höhe der bisherigen Einnahmen durch die Bandenwerbung, die er mit 375 EUR angibt. Demgegenüber werden geplante Einkünfte von 180.000 EUR gestellt, daraus resultiert dann ein Faktor von 480, den Dr. Stübner mit Recht als unrealistisch geißelt. Das Problem daran ist nur, dass die Zahl 375 einem fehlerhaften Artikel der Thüringer Allgemeinen entnommen wurde. Der Wert wurde dort inzwischen auf 375.000 EUR geändert, was natürlich ebenso absurder Unfug ist.

Zudem versucht Dr. Stübner, durchaus geschickt, eine quasi historische Kontinuität zwischen seiner Ablehnung der neuen Arena und dem Abstimmungsverhalten der Freien Wähler deutlich werden zu lassen. Er schreibt hierzu: „Das gibt den Freien Wählern Mut und Kraft, weiter gegen die Multifunktionsarena aufzutreten!“. Zwei Sätze vorher ist von einer Abstimmung im Erfurter Stadtrat die Rede, in der alle Fraktionen – außer den Freien Wähler – dem Arenabau zugestimmt haben. Das stimmt, sie haben sich damals der Stimme enthalten. Aber mitnichten dagegen gestimmt, denn Gegenstimmen werden im Protokoll zu diesen Stadtratssitzung nicht ausgewiesen. Dieser Umstand stiehlt dem so kraftvoll klingenden weiter-gegen dann doch etwas die Show.

Last but least für diese Kategorie steht die beiläufige Erwähnung der geplanten Bundesgartenschau in Erfurt. Darüber schreibt Dr. Stübner: «Nebenbei: Gefährdet diese Förderung nicht eventuell die Förderung der BUGA oder wird Erfurt dann eben doppelt gefördert?.» Natürlich weiß Dr. Stübner sehr genau, dass das eine mit dem anderen rein gar nichts zu tun hat. Diesen Satz gibt es nur damit er (der Satz) Ängste erzeugt. Denn Gerd Stübner ist allzu klar, dass viele Menschen in Erfurt – darunter nicht wenige ältere – sich mit der Ausrichtung der BUGA stark identifizieren. Was es ihm wohl angeraten erscheinen lässt, diese Ängste für seine Zwecke wachzurufen.

Das ist nicht geschickt, das ist perfide.

… / Im 2. Teil: Stübner, der Zahlenmystiker: 60 Millionen EUR für Arena-Parkplätze und 6 Prozent Rendite beim FC St. Pauli

Bildquelle: worschech architects

Stübners Erzählungen – Eine Replik in zwei Teilen (II)

Ich hatte in Teil I dieses Postings geschrieben, dass sich die Einlassungen von Dr. Stübner gegen die Arena in zwei Kategorien einteilen lassen. Wir kommen jetzt zum zweiten Teil; den Argumenten die nicht ad hoc als Unsinn (oder bloße Polemik) erkennbar sind.

Parkplatzablöse: Eine 60 Millionen-Lachnummer

Die ungeheuerliche Zahl von 60 Millionen Euro zusätzlicher Kosten macht der OB-Kandidat der Freien Wähler an einem Begriff fest: Parkplatzablöse. Wie dem Wort unschwer anzusehen ist, handelt es sich dabei um einen Neologismus bürokratischen Ursprungs. Was ich gar nicht abwertend meine, denn die Sache an sich ist keineswegs unschlüssig: Jemand möchte in irgendeiner Stadt ein Gewerbe betreiben. Der Neu-Unternehmer hat aber keine Möglichkeit die ihm abverlangte Anzahl an Parkplätzen zur Verfügung zu stellen. In ihrer unglaublichen Großzügigkeit räumt ihm die Kommune die Möglichkeit ein, sich davon freizukaufen (sprich die Parkplatzpflicht abzulösen). Im Gegenzug ist sie jedoch verpflichtet öffentliche Stellflächen zu errichten. In Erfurt staffelt sich der Preis für diese Ablöse zwischen 11.000 und 3.000 Euro pro Stellfläche, aufgeteilt in vier Zonen. Da es nicht wirklich eine Rolle spielt, habe ich mir die Mühe erspart die exakte Zone für das SWS zu verorten, tippe aber mal auf Zone IV (3.000 EUR). Damit wären schon mal die märchenhaften 10.000 EUR Ablöse vom Tisch, denen allein es zu verdanken ist, dass Dr. Stübner uns diese sagenhafte Milchmädchenrechnung auftischen kann. Wir stehen jetzt bei benötigten 6.000 Parkplätzen (errechnet von Herrn Dr. Stübner) mal 3.000 EUR, macht 18.000.000 EUR. Rein virtuell, versteht sich, denn in Wahrheit wird die (stadteigene) Betreibergesellschaft der neuen Erfurter Arena keinen Heller Ablösegebühren an die Stadt Erfurt entrichten. Das ist so, weil es den §49 der Thüringer Bauordnung gibt, der da lautet:

Die Stellplatzpflicht nach den Sätzen 1 und 2 entfällt, wenn die Gemeinde durch örtliche Bauvorschrift nach § 83 oder durch städtebauliche Satzung die Herstellung von Stellplätzen und Garagen ausschließt oder beschränkt.

Somit liegt es völlig im Ermessen der Stadt, diese Gebühr zu erheben oder nicht. Warum sollte die Stadt Erfurt von der eigenen Betreibergesellschaft diese Quasi-Steuer verlangen? Das wäre absurd. Selbst wenn sie es täte, es wäre ein Nullsummenspiel. Mag sein, dass ich völlig falsch liege. Dr. Stübner kann mich allerdings jederzeit von der Korrektheit seiner Kalkulation überzeugen, indem er die Belege für das Erheben dieser Ablöse für die Erfurter Oper, den Flughafen und die Messe vorzulegen in der Lage ist. Bis dahin behaupte ich: das ist Bullshit.

Neuer Bahnhof in Laufweite, zwei Stadtbahnlinien vor der Tür – nie gehört?

Meine Auffassung an der Infrastruktursituation um das SWS herum, habe ich bereits in einem vorhergehenden Posting versucht darzulegen. Die Argumentation von Dr. Stübner ignoriert die erstklassige Anbindung des jetzigen SWS (und der neuen Arena) an zwei Stadtbahnlinien und den Erfurter Bahnhof gänzlich. Er konstruiert stattdessen einen Individualverkehr-Exzess, den es so nicht geben wird, weil nur moderate Zuwachszahlen an Besuchern zu erwarten sind. Zudem werden die Belastungsmaxima bei Sportveranstaltungen (sprich: Spitzen- oder „Bayernspiele“) nicht höher ausfallen als bisher, da die Arena nicht mehr Zuschauer fasst als das SWS.

Wenden wir uns jetzt der Auslastung der Neuen Arena Erfurt zu. Hier notiert Herr Dr. Stübner folgenden Satz: «Glaubt jemand ernsthaft, dass mehr als die Hälfte der Erfurter Dritt- und in der Perspektive Zweitligazuschauer (Ich bin optimistisch und dem Club durchaus gewogen!) von jenseits dieser 30-km-Zone und Erfurts herkommen?»

Zunächst: Es wäre allen geholfen, wenn Dr. Stübner seine anbiedernden, heuchlerischen und verlogenen Sympathiesentenzen im Fortgang der Dinge bleiben ließe. Er müsste sich nicht verbiegen, wir müssten uns nicht übergeben. Zur Antwort: Nein, das glaubt niemand. Überdies hat dies auch niemand behauptet und notwendig ist es ebenfalls nicht. Da keine Zahlen vorliegen, würde ich – auf Grund empirischer Schätzungen anhand meiner RWE-Heimspielnachbarschaft – mal von einem Anteil von 20-30 Prozent ausgehen, die aus einem Radius außerhalb der „verbotenen“ 30 Kilometerzone kommen. Das kann, soll (und muss) ausgeglichen werden durch Veranstaltungen wie z.B. Freiluftkonzerte, bei denen das Verhältnis ziemlich sicher genau anders herum ist und natürlich durch Veranstaltungen von Firmen (Seminare, Schulungen, Kleinmessen).

Stübners Law: 20 Spiele sind erlaubt

Dann verblüfft uns Dr. Stübner mit dem Satz: «Erlaubt sind nur 20 Spiele von Rot-Weiß Erfurt im Jahr.» Die Grobplanung des IFS enthält in seiner Kalkulation diesen Wert von 20 Spielen, der sich auf Grund des angenommenen Zuschauerzuspruchs und der GRW-Richtlinie einer Zuschauer-Parität (Touristen/Einheimische) ergibt. Von einem Verbot ein 21. Spiel austragen zu können steht da nichts und auch die Förderrichtlinie des Ministeriums wird einen derartigen Blödsinn nicht vorsehen. Richtig ist, dass mehr Heimspiele des RWE eine Verschiebung des Besucherverhältnisses zuungunsten der in den Förderrichtlinien definierten Vorgaben bedeuten würden. Das wird man zu gegebener Zeit zu entscheiden haben. Es hängt zum Beispiel davon ab, wie schnell es gelingt die neue Arena für außersportliche Veranstaltungen attraktiv zu machen (dazu ein Vorschlag meinerseits am Ende des Textes). Wird nur ein Freiluftkonzert pro Jahr stattfinden, oder werden es drei sein? Niemand kann das heute seriös vorhersagen. Es ist im wesentlichen auch keine Frage des Konzeptes, sondern viel eher eine des kompetenten Managements der Betreibergesellschaft. Man kann die Verantwortlichen der Stadt Erfurt nur anflehen, hier nicht schon wieder ein paar Ruheposten für altersmüde Kommunalpolitiker zu schaffen.

Wie alles im Leben birgt das Projekt Risiken. Niemand wird das ernsthaft bestreiten. Hier wäre an erster Stelle zu nennen: die wirtschaftliche Entwicklung – weltweit und in ihren unverzüglichen Auswirkungen auf die hiesige Wirtschaft. Allein das ist so ein hochkomplexes, quasi chaostheoretisches System, dass man sofort sagen müsste: Stopp – ist uns zu unsicher. Dann dürfte man konsequenterweise aber auch keine neuen Gewerbegebiete ausweisen, keine Autobahnen durchs Nirgendwo bauen und es erschiene gleichfalls sehr fraglich, Milliarden in eine Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke zu investieren. Das alles sind Wechsel auf die Zukunft. Yes, höre ich Dr. Stübner an dieser Stelle rufen, gegen all das bin ich ja auch. Stimmt, liest man sein OB-Wahlprogramm gewinnt man den Eindruck: Dr. Gerd Stübner ist gegen alles was der Prosperität moderner Städte zuträglich ist: Wachstum, Gewerbegebiete, moderne Architektur. Für all das steht die Erfurter Arena – deshalb ist es nur folgerichtig, dass Dr. Stübner gegen sie wettert wie ein alttestamentarischer Rachegott.

Wie der OB-Kandidat der Freien Wähler uns alle reich machen will

Am Ende seiner Ausführungen empfiehlt Dr. Stübner den Erfurter Fußballfans, eine Anleihe zu zeichnen um ein neues Stadion zu finanzieren, denn damit würde man wie in Hamburg (beim FC St. Pauli) schließlich eine Rendite von «6 Prozent im Jahr – ein Traum am aktuellen Kapitalmarkt» erzielen können. Nun, das haben sich Dr. Stübner und sein Laptop-Poser Schleichardt prima zusammengegoogelt.

Zunächst: Noch nirgendwo ist ein Stadion dieser Größenordnung allein mit den Geldmitteln seiner Anhänger erbaut worden. Auch beim FC St. Pauli nicht. Dort und bei Union Berlin (ein sehr ähnlicher Fall, stand wohl erst auf Seite 3 der Google-Treffer) geht es um etwas anderes: Beide Stadien sind bereits zum überwiegenden Teil saniert. Für eine Vollendung der Modernisierung benötigen die Vereine zusätzliches Geld. Beide hätten jetzt die Option die Namensrechte der Stadien langfristig zu vermieten und mit diesen Garantieeinnahmen Geld am Kapitalmarkt aufzunehmen. Das ist der übliche Weg. Mitglieder und Fans der zwei Clubs haben sich dagegen entschieden. Sie wollen die Namen ihrer traditionsreichen Stadien bewahren und sind im Gegenzug bereit, Anleihen ihrer Vereine zu kaufen. Bei Union gab es dafür klugerweise kein Renditeversprechen; was den Vorstand des FC St. Pauli dazu bewogen hat bleibt vielen ein Rätsel. Sicherheiten sind für die märchenhaften 6% keine hinterlegt. Wären sie vorhanden, benötigte man die Anleihe nicht. Der Rest ist Gottvertrauen – in einen fußballvereingewordenen Dschungelcamp-Kandidaten.

Eine Bilanz: Dr. Gerd Stübner hat ein denkwürdiges Dokument vorgelegt. Würde ein Fingerschnippen alle Faktenfehler, Übertreibungen, Verdrehungen, Falschzitate, Inkompetenzen und Zynismen darin entfernen, es blieben nur die Satzzeichen übrig.

Am Ende diese Postings möchte ich einen Vorschlag zur touristischen Nutzung der Arena machen. Ich greife dabei eine bereits vorhandene Idee auf – die Einrichtung eines Museums für den Erfurter Fußball (Dr. Kummer im Gespräch mit Wilfried Mohren auf der RWE Webpage). Da die Förderrichtlinien einen 50-prozentigen Anteil externer Besucher (sprich Touristen) vorschreiben, schlage ich vor, diesen Gedanken weiter zu entwickeln und ein Museum für „Ostdeutsche Fußballkultur“ einzurichten. Ein derartiges Museum – thematisch exklusiv dem ostdeutschen Fußball gewidmet – existiert bisher nicht. Sporthistorisch solide konzipiert und attraktiv in Szene gesetzt, böte es die Chance tausende Menschen pro Jahr in die neue Erfurter Arena zu locken.

Es ist wohl unstrittig, dass es an Themen und Geschichten für ein derartiges Museum nicht mangelt. Aber darüber mach ich mir, aus naheliegenden Gründen, erst nach der nächsten Stadtratssitzung weitere Gedanken.

Neue Arena in Erfurt – Die Stunde der Apokalyptiker

Bei der von der CDU befeuerten Debatte um angebliche Infrastrukturdefizite beim Umbau des Erfurter Stadions handelt es sich um ein Phantomproblem.

Hinsichtlich der Zuschauerzahlen der RWE-Heimspiele gehen realistische Planungen von durchschnittlich ca. 9.000 (3.Liga) bzw. ca.15.000 Zuschauern (2.Liga) aus. Im Falle der 3.Liga sind das 3.000 weniger als der Schnitt in der Zweitligasaison 2004/2005. In jeder Liga wird die Obergrenze für Topspiele bei 21.000 Besuchern liegen, denn dies wird das maximale Fassungsvermögen der neuen Arena sein. Das ist um 1.500 Zuschauer geringer als das bestbesuchte Heimspiel des RWE in der letzten Dekade (DFB-Pokal 2008 gegen Bayern München, 22.500 Zuschauer). Von keinem der top-besuchten Spiele sind Verkehrsprobleme bekannt, die nennenswert über das hinausgehen, was jeder Besucher einer Großveranstaltung in diesem Teil der Welt in Kauf zu nehmen bereit ist. Es ist nämlich normal (wenn ich mich entschließe, eine Veranstaltung gemeinsam mit 20.000 anderen Menschen zu besuchen) auch mal 45 Minuten im Stau zu stehen.

Klar, ein neues Parkhaus (z.B. vor der Thüringenhalle) wäre ein Gewinn für den Individualverkehr, auch als P&R-Einstiegspunkt für andere Verkehrsspitzen der Stadt (wie dem Verkehr in der Vorweihnachtszeit). Doch daran ein Junktim für den Umbau des Stadions zu knüpfen ist dreiste Heuchelei. Hätte dieses Kriterium bereits für die Messe Erfurt gegolten, sie hätte erst 2005 eröffnet werden dürfen, denn bis dahin war die Parkplatzsituation bei Großveranstaltungen katastrophal – für Besucher genauso wie für die Anlieger. Trotzdem war es richtig dieses Defizit in Kauf zu nehmen, denn die Messe ist zwischenzeitlich ein wichtiger Teil des wirtschaftlichen und touristischen Lebens in Erfurt. Ganz so wie es die neue Arena zu werden verspricht.

Auf der anderen Seite wird über den großen Pluspunkt den die Lage des Erfurter Stadions aufweist so gut wie gar nicht diskutiert: das Stadion liegt zwischen zwei Stadtbahnlinien. Es ist von Infrastruktur nachgerade umzingelt. Ein großer Anteil der Besucher der Münchner Allianz-Arena nimmt einen Fußmarsch von fast 30 Minuten zwischen U-Bahn und Arena auf sich, während in Erfurt die Distanz von einer stadionnahen Haltestelle zum Eingang maximal 5 Minuten beträgt. Das ist hochkomfortabel. Dieser Vorteil wird derzeit viel zu wenig verwertet. Ohne auch nur einen Meter Straße bauen zu müssen, liegt hier ein offensichtliches Potential für die Reduzierung des Individualverkehrs brach. Es müsste nur offensiv beworben werden, finanziell lukrativ sein (Fahrtkosten sind im Ticketpreis enthalten z.B.) und durch eine kürzere Taktung der Bahnen (vor allem nach Ende der Spiele) zeitlich attraktiv sein.

Überdies – die 30 Minuten Münchner Stadionweg entsprechen in etwa dem Weg vom Erfurter Bahnhof zum Stadion. Soll heißen: Auch für die außerstädtische Anreise gibt es ausreichend Potentiale zur Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Anderenorts (z.B. in Jena) werden diese Fragen nüchtern, jedoch im Grundsatz lösungsorientiert diskutiert. Man nennt es Stadtentwicklung. In Erfurt schlägt zu solchen Gelegenheiten stets die Stunde der Apokalyptiker. Im konkreten Fall bewerben sich bisher Michael Panse (CDU) und Dr. Gerd Stübner (Freie Wähler) um die Rolle des Advocatus Diaboli. Andere werden folgen. Zum Schaden der Stadt, in deren Interesse zu handeln sie vorgeben.

Die fabelhafte Welt des Michael Panse

Dicke Luft über Erfurt / Foto: Jens-Ulrich Koch/ddp

Gestern haben sich der Fraktionschef der CDU im Erfurter Stadtrat, Michael Panse, und der wirtschaftspolitische Sprecher der CDU im Thüringer Landtag, Gerhard Günther, zum Umbau der Stadien in Erfurt und Jena zu Wort gemeldet. Panse insistiert darauf „den Zeitdruck herauszunehmen und seriös zu arbeiten.“ Herr Günther, dem gravierende Teile der Diskussion der vergangenen Jahre entgangen zu sein scheinen, will ein Stadion für beide Städte, das er über eine Public Privat Partnership zu finanzieren vorschlägt. Als leuchtendes Beispiel sieht er die Errichtung der neuen Dresdner Arena. Mit letzterem Vorschlag will ich mich nicht lange aufhalten, dazu hat Dirk Adams (B90/Die Grünen) bereits alles Wesentliche gesagt.

Seit Jahren ungelöste Verkehrsprobleme um das Stadion herum

Herr Panse stört sich vor allem daran, dass diverse infrastrukturelle Fragen noch nicht gelöst seien und es noch kein Betreiberkonzept gebe. Das stimmt so ungefähr, doch bei näherer Betrachtung stellt man fest, dass zum Beispiel die von ihm erwähnte Verkehrsführung der Martin-Andersen-Nexö-Straße ein Evergreen der Erfurter Stadtpolitik ist. Hierüber schreibt Panses Fraktionskollege Jörg Kallenbach am 09.11.2010 auf der Homepage der Erfurter CDU: «Sie ist das älteste ungelöste Verkehrsproblem Erfurts». Desgleichen ist die Parkplatzsituation um das Steigerwaldstadion seit Jahren angespannt. Hier muss allerdings einschränkend darauf verwiesen werden, dass schon bisher Großveranstaltungen (mit bis zu 20.000 Zuschauer) stattgefunden haben, ohne dass sofort der städtische Notstand ausgerufen werden musste. Auch sollte man – auf Seiten der Arenaskeptiker – zumindest um ein wenig Kohärenz in der Argumentation bemüht sein: Denn entweder es kommen keine Besucher (und das Konzept scheitert), dann hat man auch kein Verkehrsproblem, jedenfalls kein größeres als bisher. Oder: Es kommen Leute (das Konzept geht also auf) und man hat ein vermeintliche Infrastrukturdefizit in diesem Stadtteil. Aber beide Argumente in einer Kausalkette in Anspruch zu nehmen, widersetzt sich jeder Logik.

Michael Panse, der angetreten ist Andreas Bausewein im Erfurter Rathaus abzulösen, vermengt – keineswegs ungeschickt – all diese offenen Punkte, also Stadion plus MAN-Straße plus Parkplätze, etc. zu einem großen, unauflösbaren Problemcluster. Er muss gar nicht sagen, dass er gegen den Umbau des Stadions ist. Er kann – George Orwell lässt grüßen – sogar behaupten, er sei dafür. Er knüpft einfach den gordischen Knoten erneut, den Machnig, Bausewein und Rombach (und mit ihnen viele Fußballanhänger in Erfurt) bereits durchschlagen glaubten.

Fußballgegner sollen zu Panse-Wählern werden

Michael Panse gefällt sich in der Rolle des staatstragenden, vernunftbegabten Kommunalpolitikers. Er hat große Mühe gegen Bausewein Profil zu gewinnen, dieser neigt ja nicht wirklich zu unbedachten Kurzschlußhandlungen und ist für die Opposition im Erfurter Stadtrat ob seines unaufgeregt-nüchternen Stils schwer zu attackieren. Aber hier, bei der Frage des Stadionumbaus glaubt er gegen Bausewein punkten zu können. In der Einwohnerschaft der Stadt gibt es zweifelsfrei einen hohen Anteil an Gegnern des Stadion-Projektes. Auf diese Wähler setzt Michael Panse. Die muss er nicht mal emotionalisieren, dass Thema an sich ist bereits so affektgeladen wie eine sizilianische Tarantella. Allerdings gab es große Gegnerschaft bei der Oper, beim Flughafen, beim Bundesarbeitsgericht (die Liste ließe sich fortsetzen) ebenso, ohne das sofort alle Fragen um diese Vorhaben herum «für die nächsten 25 Jahre» (Panse) geklärt werden mussten. Konkret würde mich sehr interessieren, wie denn die 25-Jahresplanung für den Erfurter Flughafen ausgesehen hat. Hat ja super geklappt, kann man nicht anders sagen.

Enges Zeitfenster

Mir ist klar, dass der folgende Vergleich quantitative wie qualitative Defizite aufweist, trotzdem sei er mir gestattet: Ein wenig verhält es sich beim Umbau des maroden Erfurter Stadions in eine moderne Mehrzweck-Arena wie bei der deutschen Wiedervereinigung: Es gibt ein enges Zeitfenster – und entweder man nutzt es, oder es schließt sich – möglicherweise für immer. Oskar Lafontaine hat damals übrigens auch nie öffentlich gesagt, er sei gegen die Wiedervereinigung. Aber, es gilt auch hier Matthäus 7, 20: An ihren Taten sollt ihr sie erkennen.

Der Stadionbau zu Erfurt – A never ending story?

Michael Panse scheint sich in einer verzweifelten Lage zu befinden. Dass er die bevorstehende OB-Wahl in Erfurt nicht gewinnen wird ist jetzt schon absehbar. Es geht nur noch um die Dimension der Niederlage. Damit diese im Rahmen bleibt ist offensichtlich jedes Mittel recht. Acht Monate nach der Vorstellung des Projektes für den Umbau der Stadien in Erfurt und Jena artikuliert Panse nun unvermittelt seine Bedenken. Dabei assistieren ihm – auf Landesebene – seine Parteifreunde Mohring und Geibert nach Kräften. Die Vampire entdecken den Vegetarismus.

Öffentliche Investitionen und Subventionen wohin das Auge blickt

Es gab innerhalb der CDU schon immer Tendenzen den ordnungspolitischen Oberlehrer zu geben. Zumindest in der Theorie. In der Praxis hatte die CDU noch nie Probleme damit, ihre Klientel (oder was sie dafür hält) mit Staatsknete zufrieden zu stellen. Wie natürlich auch die SPD, die Grünen, die Linken, die FDP, usw. usf. damit kein Problem haben. In den vergangenen 20 Jahren wurden in Thüringen unzählige Vorhaben aller Art auf diese Weise finanziert: kostspielige und weniger kostspielige, sinnvolle und weniger sinnvolle, notwendige und überflüssige, erfolgreiche und desaströse. Allein die Bewertung ob eine öffentliche Investition ihr Geld wert war, liegt meist im Auge des Betrachters. Auch ist es eine Illusion – eine dieser Allmachtsphantasien denen Politiker gerne anhängen – vorher genau wissen zu wollen, ob eine Investition langfristig einen Mehrwert erbringt oder nicht. Beispielsweise schien es höchst vernünftig, den Erfurter Flughafen zu modernisieren und diesen Flughafen mittels einer Straßenbahn mit dem Stadtzentrum zu verbinden. Heute, nachdem der Flugbetrieb praktisch eingestellt wurde, ist doch sehr zweifelhaft ob sich die mindestens 250 Millionen Euro für diese dereinst völlig schlüssig scheinende Investition wirklich rentiert haben. Wohl eher nicht.

Stadien gehören zur Infrastruktur einer Stadt

Das heutige Steigerwaldstadion wurde von der Stadt Erfurt erbaut und befand sich immer in deren Besitz. Heute ist es in weiten Teilen marode und der Stadt fehlen die Mittel um an dieser Situation etwas zu ändern. Es ist gleichermaßen unredlich wie unrealistisch vom Hauptnutzer des Stadions (sprich: Mieter), dem FC Rot-Weiß Erfurt, zu verlangen, dass er, an Stelle des Eigentümers eine Sanierung der Immobilie mit eigenen Mitteln durchführen soll. Bis auf ganz wenige Ausnahmen sind alle Stadionumbauten der letzten Jahre in Deutschland von den Kommunen unter wesentlicher Ko-Finanzierung der Länder und des Bundes durchgeführt worden. So wie es in Erfurt geplant ist.  Sicher, man wünschte sich, wie es immer so schön heißt, ein stärkeres Engagement privater Investoren. Der RWE versucht auf diesem Gebiet einiges. Aber es wäre nichts weniger als ein Wunder, wenn es gelänge, eine Firma zu finden die bereit ist einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in eine Stadionsanierung zu stecken. So viele erfolgreiche Hersteller roter Brause gibt es nun auch wieder nicht.

Klar, das für die Förderbewilligung notwendige Konzept ist, sagen wir mal, verquer. Man ist quasi genötigt ein Kongresszentrum mit zugehöriger Rasenfläche zu bauen. Doch mal ehrlich, ist das wirklich verrückter als der Neubau einer Oper für 60 Millionen Euro? Wo doch das nächste Opernhaus (mit Weltklasseorchester) gerade mal 20 km entfernt ist. Mein Großvater ist noch nach Bayreuth gelaufen, um seinen geliebten Wagner zu hören. Eine zwanzigminütige Zugfahrt nach Weimar hingegen, scheint den Erfurter Musikfreunden zuviel der Mühsal.

Das Konzept von Wirtschaftsminister Matthias Machnig, des letzten Rock’n Rollers der deutschen Politik, ist den Umständen geschuldet, die eine Förderung des Anliegens zulassen. Nicht optimal, aber auch nicht völlig abwegig. Die der IFS-Studie zu Grunde liegenden Zahlen erwecken jedenfalls nicht den Eindruck als wären sie pures Wunschdenken. Auf der Habenseite steht zudem die Zerschlagung eines gordischen Knotens: zwei neue Arenen zu überschaubaren Kosten für die beiden Städte Erfurt und Jena und ihre Fußballvereine. Das hätte niemand mehr für möglich gehalten. Jetzt arbeiten die Herren Panse und Mohring mit Nachdruck daran den Knoten erneut zu knüpfen. Beiden ist im Grunde völlig egal, ob diese Stadien gebaut werden oder eben nicht. Die vorgebliche Sachfrage dient nur als Vehikel. Der Eine möchte bei der Erfurter OB-Wahl eine krachende Niederlage vermeiden, die seine ohnehin stockende politische Karriere endgültig ruinieren würde. Der Andere – begabtere – will einfach seinen Intimfeind Machnig abstrafen.

Der Erfurter Fußball hat sich dieses Stadion verdient

Derzeit scheint die ganze Angelegenheit eine für den RWE höchst bittere Wendung zu nehmen. Während man in Jena wie ein Mann hinter dem Projekt steht, geraten in Erfurt die Felle ins schwimmen. Und das obwohl es Rolf Rombach war, der Präsident des RWE, der mir großer Energie für ein neues Stadion gekämpft, gestritten und gelitten hat. Ohne ihn gebe es dieses Zwillingsprojekt nicht. Unter seine Präsidentschaft hat der Verein eine gedeihliche Entwicklung genommen. Schulden wurden abgebaut, die Reputation des Klubs konnte durch Seriosität und Berechenbarkeit wieder hergestellt werden. Anhänger eines Vereins sind selten vollauf zufrieden. Dennoch, auch die sportliche Bilanz kann sich sehen lassen: der RWE ist eine feste Größe in der 3.Liga, spielte im letzten Jahr um den Aufstieg und kann das – mit etwas Glück – auch in diesem Jahr schaffen. Aber selbst für eine sportliche Zukunft in der dritten deutschen Profiliga ist ein renoviertes Stadion unerlässlich. Die Verhältnisse sind nun mal so, dass auf die zusätzlichen Einnahmen durch das Plus an Zuschauern, Businesslogen und Werbung nicht verzichten kann, wer wettbewerbsfähig bleiben will. Der Fußballverein Rot-Weiß Erfurt hat – unter schwierigen Voraussetzungen – in den letzten Jahren viel erreicht. Es ist nicht recht einsehbar, warum ausgerechnet dem Fußball die Unterstützung verwehrt bleiben soll, die anderen, wesentlich weniger populären Sportarten, in Millionenhöhe gewährt wurde.

Wer das jetzige Konzept – als offensichtliches ultima ratio für eine Sanierung des SWS – ablehnt, der sollte deutlich vernehmbar dazu sagen, dass er gegen Profifußball in Erfurt ist. Denn in letzter Konsequenz bedeutet es genau das.

Unverständliche und schwer erträgliche Subventionshierarchien

Ich habe ein bisschen gegoogelt, konnte aber trotz intensiver Recherchen keine Bedenken der hiesigen CDU gegen die – mit 5,4 Millionen nicht eben schnäppchenverdächtige – Renovierung des Radstadions im Erfurter Andreasried entdecken. Bezüglich der vor allem als Trainingsbahn genutzten Gunda Niemann-Stirnemann Halle für Eisschnellläufer sind ebenfalls keine warnenden Einlassungen überliefert. Beide vollständig mit Steuermitteln modernisiert bzw. errichtet, versteht sich. Randsportarten mit Nachwuchs- und Dopingproblemen werden in Erfurt seit Jahrzehnten mit Wonne alimentiert. Nur beim Fußball hält man sich zurück. Warum das so ist? Weil es sich dabei um gute Sportarten handelt. Gute Sportarten sind in den Augen der Erfurter Polit-Eliten Sportarten, für die sich möglichst wenige Menschen interessieren. In weiten Kreisen der im Stadtrat vertretenen Parteien «genießt» Fußball noch immer den Ruf eines proletarischen Massenvergnügens, das man nicht auch noch mit Steuergeld begünstigen sollte.

Nun, in Jena ist man da deutlich weiter. Wieder einmal. Dort war es sogar möglich, sich im letzten Moment zu revidieren und das völlig sinnfreie Beharren auf einer Laufbahn in der neuen Fußballarena aufzugeben. Dort bekommt die Leichtathletik ein neues, modernes, aber kleines, ihrer jetzigen und absehbaren Bedeutung angemessenes Stadion. Diesen Vorschlag gab es in Erfurt auch. Er hatte keine Chance und daran hat sich bis heute nichts geändert.

RB Leipzig, der T-1000 des deutschen Fußballs: Nicht zu stoppen.

Nach einem Beitrag des verehrten Kollegen rotebrauseblogger, wurde in seinem Blog tagelang über eine Interview-Äußerung des Präsidenten von Union Berlin, Dirk Zingler, diskutiert.

Es kann vielleicht nicht schaden, meine Grundhaltung zu den beiden Klubs Union Berlin und RB Leipzig kurz zusammenzufassen: Für den Verein Union Berlin hege ich eine tiefe Sympathie, die mit der Entwicklung, die Union in den letzten Jahren genommen hat (unter der gedeihlichen Präsidentschaft von Dirk Zingler), eher noch zugenommen hat. Das Projekt RB Leipzig verfolge ich mit Interesse. Einem etwas klinischen Interesse, zugegeben.

Zunächst denke ich, dass Dirk Zingler mit seiner Analyse einfach nur Recht hat. Dietrich Mateschitz wird sich in Leipzig einen Verein nach seinem Gusto erschaffen. Eine Firma wie Red Bull, die auf dem Gebiet des Sportmarketing derart revolutionär agiert, kann sich das größte und aufregendste Karussell auf dem Rummelplatz nicht dauerhaft entgehen lassen. Und das ist nun mal der Fußball.

Im weiteren Fortgang der Dinge nutzte Dirk Zingler seine Analyse dafür, die eigenen Reihen geschlossen zu halten (siehe Anzeige). Außerdem hat der Union-Präsident etwas zu verkaufen und wie jeder Verkäufer glaubt er daran, dass Emotionen ein guter Katalysator für Kaufreize sind. Mit der Einführung der zerquetschten Red-Bull-Dose nimmt das alles eine neue, unangenehme Richtung. Ab hier riecht es nach Kriegsanleihe. Ein Feind wird benannt. Klar, Red Bull drängt sich als Public Enemy fast unwiderstehlich auf. Der Union-Präsident weiß auch, dass Worte das eine und Bilder noch einmal etwas völlig anderes sind. Die verwendete Ikonographie der zertretenen Red-Bull-Dose lässt allerdings ahnen, welche Richtung die Auseinandersetzungen in den nächsten Jahren nehmen werden. Irgendwann werden in diesem Konflikt keine Gefangenen mehr gemacht. Die zerquetschte Dose ist eine schlechte Idee. Besser wäre gewesen, was eigentlich immer besser ist: Ironie. Die wiederum ist nur sehr begrenzt emotionalisierbar. Deshalb glaube ich, dass man sich sehr bewusst gegen sie und für Emotionen entschieden hat – und halte das für ein Verhängnis.

Unabhängig von der gefühlsbedürftigen Verkaufskampagne der Unioner: Es ist zweifelhaft, ob Red Bull der richtige Adressat für den ganzen Unmut ist. Die Firma tut, was ihr im Rahmen der Verbandsregularien erlaubt ist. Das ist legitim. Im Gegenteil: Sie sucht sich einen fußballhistorischen Traditionsort wie Leipzig, mietet eine Arena – die sonst Gefahr gelaufen wäre zur Investruine zu verkommen, und bietet einer immer größeren Anzahl von Fans, was sie vermissen: guten Fußball, sowie die Aussicht auf noch besseren Fußball.

Das Dilemma: die faktisch unbegrenzt vorhandenen monetären Mittel von Red Bull, annullieren die Chancengleichheit des Wettbewerbs. Am deutlichsten wird das gerade jetzt und in näherer Zukunft, in der sich RB Leipzig gegen notorisch klamme Mitbewerber behaupten muss. Selbst für klug agierende Vereine wie Aue, Cottbus, Union und Rostock kann eine falsche Entscheidung, ein unpassender Trainer, ein paar unglückliche Transfers, ein unbedachter Vertrag, Abstieg, Absturz und sogar Ruin bedeuten. Nicht so für RB Leipzig. In dieser Hinsicht dem Terminator gleich, ist RB Leipzig in der Lage sich ständig neu zu materialisieren. Und wird das – auf dem Weg nach oben – wieder und wieder tun. Rückschläge, Fehleinkäufe und Managementfehler werden nicht ausbleiben, sie sind halt nur folgenlos. Über die Entschlossenheit des Dietrich Mateschitz mit RB Leipzig ganz nach oben zu kommen, sollte sich niemand Illusionen machen. Rückblickend wird das so aussehen, als ob Haile Gebrselassie einen Pulk keuchender Hobbyläufer stehen lässt.

Jetzt könnte man auf die Idee kommen und mit den Fingern beispielsweise auf Bayern München deuten: Die haben doch auch so viel mehr Kohle als allen anderen. Stimmt. Es ist aber ein Unterschied, ob sich Ungleichheiten sukzessive entwickelt haben, oder ob sie (wie bei RB Leipzig) praktisch der einzige Treibstoff auf dem Weg nach oben sind. Problematisch ist dennoch beides. Auch durch gute Arbeit redlich erworbene Vorteile, können langweilige Wettbewerbe zur Folge haben. Eine Lösung hierfür sehe ich nicht. Wegen offensichtlicher Undurchführbarkeit scheidet die komplexe, aber hochwirksame Methode des US-Profisports, das 1935 eingeführte Draft-System, aus. Über ein ähnliches Regelsystem zur Vermeidung dauerhafter sportlicher Ungleichheiten verfügt der Fußball nicht. Hat er noch nie. Geld schoss schon immer Tore, egal woher es kam.

Der DFB jedenfalls wird das Projekt RB Leipzig nicht stoppen. Das ist nämlich – ab einem gewissen Zeitpunkt – keine juristische Frage mehr. RB schafft Fakten. Die Zuschauerzahlen bewegen sich eindrucksvoll nach oben (zuweilen freikartenanimiert). Offensichtlich wird das Projekt RB Leipzig angenommen und hat mithin mehr erreicht als der DFB in den 20 Jahren zuvor. Da wurde endlos viel über das Fußballpotential der Stadt gelabert, in der sich der DFB vor 111 Jahren gründete. In erster Linie aber wurde geklagt, dass diese Potentiale – aus vielerlei Gründen – degeneriert danieder liegen. Wie von Red Bull geplant, hat die Gründung von RB Leipzig diese Situation grundlegend geändert. Sicher, niemals werden die Anhänger der Leipziger Traditionsvereine ihren Frieden mit diesem neureichen Beau machen. Verständlich. Allein: das spielt keine nennenswerte Rolle. Stadt und Umland sind groß genug, die WM-Arena stimmungsvoll zu befüllen. Einem Torschrei hört man eben nicht an, ob er aus der Kehle eines Traditions- oder Eventfans stammt. Mit welcher Legitimation will der DFB diesen Leipziger Honeymoon beenden? Es mag sein, dass Red Bull formale Zugeständnisse bei der Konstruktion des Clubs wird machen müssen. Allerdings ist dies reiner Theaterdonner.

Vermutlich in der nächsten Saison wird Rot-Weiß Erfurt in der 3.Liga auf RB Leipzig treffen. Vielleicht werden wir sie besiegen. Aufhalten werden wir sie nicht.

Danke, Philipp!

Hitzfeld meint er sei falsch beraten, Völler ist wieder mal außer sich, Bild zündelt gekonnt und SPON findet, dass es eh wurscht ist.

Ich denke, dass wir Philipp Lahm luzide Einblicke in die Welt unseres Lieblingssports verdanken werden. Jedenfalls lassen das, die soeben vorab publizierten „Stellen“ erhoffen. Wohlgemerkt, Rudi Völler mag ich richtig gut leiden, Felix Magaths Erfolge respektiere ich einfach und Jürgen Klinsmann hat den DFB gerockt – zum beiderseitigen Vorteil. Louis van Gaal ist ein selbstgerechter und beratungsresitenter Egomane, klar,  das konnte man allerdings auch vor seiner Verpflichtung wissen. Aber auch ein Könner vor dem Herrn – oder wie anders lässt sich erklären, dass es ihm gelang, den Bayern innerhalb von 6 Monaten eine sehr erfolgreiche Variante seiner Fußballschule anzutrainieren.

Philipp Lahm beschreibt und kritisiert die Zusammenarbeit mit diesen Trainern. Und Rudi Völler tut so, als hätte er damit die Omerta verletzt: das tut man nicht, lautet der Imperativ der Zunft. Warum eigentlich nicht? Wir alle haben uns gefragt, warum die DFB-Auswahl bei der letzten EM so grottig kickte. Dafür liefert Lahm eine brauchbare Antwort: die Mannschaft war heillos zerstritten. Ich spekuliere jetzt mal und behaupte, dass genau darin auch der Grund zu finden ist, warum Jogi Löw in den Fällen Frings und Ballack derart hartleibig agierte.

Felix Magath ist der Chuck Norris des deutschen Fußballs. So lesen sich die bisher bekannten Auszüge über Deutschlands erfolgreichsten Trainer. Was Lahm hier beschreibt ist nicht wirklich ehrenrührig für Magath. Er hat aus seiner Einstellung zu heutigen Profifußballern nie einen Hehl gemacht: man muss sie nicht mögen, ja nicht einmal respektieren, um mit ihnen Erfolg zu haben. Das sich Magaths Methoden verschleißen, legt schon ein Blick auf seinen beruflichen Werdegang als Trainer nahe. So what?

Na ja, etwas erstaunlicher ist dann doch die Sache mit Klinsmann. Doch nur ein dauerlächelnder kalifornischer Fitness-Guru, ohne rechte Kenntnisse der komplexen Zusammenhänge des heutigen Fußballs? Aber auch das, seien wir ehrlich, haben wir immer schon ein bißchen vermutet. Nur Motivation allein, langt halt nicht.

Wir leben in einer offenen Gesellschaft, jedenfalls proklamieren wir das gerne. Es ist nicht so recht einsehbar, warum der Fußball davon suspendiert sein sollte und – hier durch Völler und Hitzfeld, andere werden folgen – ein Fußballer dafür kritisiert wird, dass er tut, was in anderen Bereichen der Gesellschaft stets und ständig eingefordert wird. Es ist auch nicht so, dass die Debatte nur einen reinen Unterhaltungswert aufweist, das auch, natürlich. Aber Lahms Äußerungen sind durchaus geeignet, Aufklärung über die Binnenverhältnisse moderner Profiteams zu geben. Jenseits der notorischen Wir-Haben-Uns-Alle-Lieb-Statements.

Deshalb: well done, Philipp!

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