Archiv für Juli 29, 2013

RWE vs. HFC 3:0 / Some like it hot

So viel Beifall war lange nicht auf der Haupttribüne des Steigerwaldstadions. Das lag zum einen am starken Spiel der Erfurter Mannschaft, zum anderen waren die Fans des RWE schlichtweg erleichtert, dass ihnen ein Höllenstart wie in die letzte Saison erspart blieb. Zum ersten Mal seit dem Spieljahr 2000/2001 startete der FC Rot-Weiß Erfurt wieder mit zwei Siegen in eine Ligasaison. Dieser Rückgriff auf die Statistik macht allerdings ebenfalls deutlich, dass zu Euphorie kein Anlass besteht, denn am Ende nämlicher Saison stand der RWE auf einem Abstiegsplatz und vermied die Viertklassigkeit nur aufgrund des Lizenzentzuges für den SSV Ulm.

Fit wie ein Turnschuh

Über die Tropenhitze wurde vor dem Spieltag viel diskutiert, vielleicht ein bisschen zu viel für meinen Geschmack, sie sollte am Ende keine entscheidende Rolle spielen. Natürlich dauert die Regeneration der Spieler länger als nach einem Spiel bei «Normaltemperatur». Doch Fußballprofis sind austrainierte Leistungssportler, und hätte man nicht gewusst, dass auf dem Spielfeld über 40 Grad herrschen, dem Spieltempo wäre es nicht zu entnehmen gewesen. Das dritte Tor für den RWE fiel nach der fußballerisch schönsten Kombination des ganzen Spiels – in der letzten Spielminute. Wie bereits in Stuttgart machte der RWE am Ende des Spiels sogar den, im Vergleich zum Gegner, etwas frischeren Eindruck. Dies ebenfalls ein Indiz für die exzellente Vorbereitung unter Walter Kogler.

Das 4-4-2-System funktioniert

Die Systemfrage hatte Walter Kogler eine gute Woche vor Saisonstart entschieden. Er legte sich (vorerst) auf ein 4-4-2 fest. Das kommt Mijo Tunjic sehr zu passe, er profitiert am meisten davon, nicht mehr alleiniger Zielspieler im Sturmzentrum zu sein. Es gestattet ihm, sich häufiger auf die Flügel zu orientieren, mit den Außen das Kombinationsspiel zu suchen, von dort nach innen zu ziehen oder für nachrückende Mittelfeldspieler Räume zu eröffnen, indem er dem strafraumnahen Spiel solcherart mehr Breite verleiht. Am Samstag ist mir überdies aufgefallen, dass er auffallend oft Kopfballduelle gewann, das war in der letzten Saison ebenfalls ein Manko, jedenfalls, wenn man seine körperlichen Vorzüge in dieser Disziplin berücksichtigt. Sollte er diese Form konservieren und gemessen an seinen oft glücklosen Darbietungen in der letzten Saison, ist es kaum übertrieben zu behaupten: Wir begrüßen (diesen) Mijo Tunjic als weiteren Neuzugang beim FC Rot-Weiß Erfurt.

Brandstetter kommt sukzessive besser in Form. Schade, dass sein Schuss nur die Latte traf, denn ein Tor wäre auch ihm zu gönnen gewesen. Ich schreibe jetzt allerdings nicht, dass sein erstes Tor nur eine Frage der Zeit ist, denn als ich dies das letzte Mal getan habe, hat man von dem Spieler nie wieder was gehört (Tobias Ahrens). Klar ist aber: wenn Brandstetter gesund bleibt, werde ich hier noch sehr enthusiastische Dinge über ihn zu berichten wissen.

So wie über Aykut Öztürk, diesem Gott des körpernahen Kleindribblings. Keine Ahnung, wie oft es diese Abfolge jetzt bereits gab: Dribbling Öztürk, Foul an Öztürk. Elfmeter. Pfingsten. Tor. Ich bin mir sicher, dass der HFC-Coach Köhler seine Jungs exakt davor gewarnt hatte. Allein, es nützte nichts. Öztürks enge Ballführung, sein geschicktes Abschirmen des Balls mit dem Körper und die kurzen, minimalistischen Ballberührungen provozieren Abwehrspieler immer wieder das zu tun, was sie besser bleiben ließen: einen Tritt in Richtung des Balles zu riskieren, der aber schon gar nicht mehr an der vermuteten Stelle ist. Nur Aykut Öztürks Standbein ist noch da.

Nach der Auswechslung Brandstetters in der 70. Minute stellte Kogler auf ein 4-2-3-1 um. Der ins Spiel gekommene Baumgarten rückte neben Engelhardt auf die Sechserposition und Pfingsten-Reddig gab bis zum Spielende den Zehner. Was er sehr gut machte, nicht von ungefähr ging von ihm die entscheidende Aktion vor dem dritten Tor aus. Seine Beidfüßigkeit kommt ihm auf dieser Position ebenso entgegen wie sein Antizipationstalent – findet er keine sinnvolle vertikale Passoption, versucht er das Spiel zu verlagern oder gänzlich neu aufzubauen. Wilfried Mohren würde hier von einem retardierenden Moment sprechen, man könnte – etwas vulgärer – auch sagen: Pfingsten verzögert das Spiel bis er eine sinnvolle Fortführung entdeckt. In jedem Fall –  keine riskanten Dribblings, Vermeidung unnötiger Ballverluste.

Marginalien und Ausblicke

Der Umzug der Ultras auf die Haupttribüne hat der Stimmung insgesamt gut getan – was hoffentlich auch bei weniger günstigen Spielverläufen und -ausgängen so bleibt. Der neue Stadionsprecher befindet sich noch in der Ausbildung, da sollte ihm der ein oder andere Verhaspler großherzig verziehen werden. Im Grunde ist mir jedoch völlig egal wie die Tore des RWE der Welt verkündet werden – Hauptsache bleibt, sie fallen in hinreichender Anzahl.

Das Pokalfiasko bei Schott Jena hat ja womöglich doch einen kleinen Kollateralnutzen. Es gibt Walter Kogler zwei weitere Wochen Zeit, in Ruhe mit der Mannschaft zu arbeiten. Bis hierher scheint jeder Trainingstag unter seiner Anleitung, dem Team gut getan zu haben.

Stuttgarter Kickers vs. RWE 0:1 / Der ewige Pfingsten

In der 85. Minute zeigte Schiedsrichter Brand auf den Elfmeterpunkt. Marco Engelhardt nutzte die Gelegenheit, am Spielfeldrand einen Schluck aus der Flasche zu nehmen. RWE-Trainer Kogler forderte ihn auf, schnell auf den Platz zurückzukehren. Engelhardt winkte gelassen ab und ließ seinen Coach wissen: «Geht sowieso mit Anstoß weiter». So geschah es dann auch. Ein größeres Kompliment konnte der an diesem Tag beste Erfurter Spieler seinem coolsten Teamkollegen nicht machen: blindes Vertrauen in dessen Treffsicherheit vom Elfmeterpunkt.

Wenn es darauf ankommt ist er Mr. 100 Prozent

Diesen Optimismus bringt man Nils Pfingsten-Reddig völlig zu Recht entgegen. Seine Quote vom Punkt liegt bei deutlich über 90 Prozent, an sich bereits ein herausragender Wert. Noch beeindruckender ist jedoch, dass seine Bilanz bei spielentscheidenden Elfmetern glatte 100 Prozent beträgt und mithin nur als makellos bezeichnet werden darf. Die beiden Elfmeter die er verschoss, vergab er bei jeweils klaren Führungen des RWE, also in Spielsituationen, in denen es nicht wirklich darauf ankam.

Außer einer einzigen (und sehr erwartbaren) Ausnahme – Czichos für Bergmann -, startete Kogler mit derselben personellen und taktischen Formation wie beim Testspiel gegen den 1. FC Magdeburg. Beide Halbzeiten verliefen in etwa gleich – die Kickers kamen engagiert aus der Kabine, erspielten sich eine Feldüberlegenheit, ohne dabei zu klaren Chancen zu kommen; der RWE stabilisierte sich nach jeweils 10 Minuten und war fortan das leicht bessere Team. Dann leistete sich Gerster fünf Minuten vor Schluss im Strafraum eine Anleihe beim Beachvolleyball, was seiner Mannschaft einen Punkt kosten sollte.

Niemand der noch bei Verstand ist, erwartete von diesem ersten Saisonspiel der Rot-Weißen fußballerische Brillanz. Alles, was man erwarten konnte, haben sie gezeigt: gutes Verhalten in der Defensive, Laufbereitschaft, taktische Disziplin, Konzentration. Spielerisch wird es besser werden, wenn auch in vergleichsweise homöopathischen Dosen, zeitweilige Stagnation und gelegentliche Rückschritte sind dabei hochwahrscheinlich. Umso wichtiger wird sein, dass während dieses «work in progress» Punkte geholt werden. Das würde im Umfeld des Vereins für die nötige Unaufgeregtheit sorgen. Geduld also ist die erste RWE-Fanpflicht in dieser Saison. (Erinnert mich bei Gelegenheit daran.)

Was sonst noch in der Liga geschah

Die meisten Begegnungen bewegten sich ergebnis- und leistungsmäßig im Rahmen des Erwartbaren. Die große Ausnahme, natürlich: Der klare Sieg des VfL Osnabrück in Chemnitz. Dabei war der VfL den Hausherren in quasi alle Belangen deutlich überlegen, sodass man nicht mal behaupten kann, dass dieser Sieg den ein oder anderen Treffer zu hoch ausgefallen wäre. Eher ist das Gegenteil der Fall. Aber, dies war das erste Spiel und es ist mithin zu früh, alle Saisonprognosen bereits jetzt über den Haufen zu werfen. Bemerkenswert fand ich auch den Auftritt von Holstein Kiel in Rostock. Die Kieler sind eine gut eingespielte, taktische versierte, kompakte Mannschaft – schwer zu schlagen. Und eben gar nicht, wenn einem – wie den Rostockern – die dafür notwendigen spielerischen Mittel so völlig abgehen.

Seien wir froh, dass Werder Bremer in den Steigerwald kommt

Ich kann die – von Teilen der Anhängerschaft – vorgetragene Quengelei am Freundschaftsspiel gegen Werder Bremen nicht mal im Ansatz nachvollziehen. Wir haben die Lizenz zwar erhalten, jedoch kann der Verein auch weiterhin jeden verdammten Euro gut gebrauchen. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass Walter Kogler ziemlich genau einzuschätzen weiß, wie lange er seine erste Elf – die zwei Tage später gegen den HFC antritt – auf dem Platz belässt. Für die Reservespieler Ergänzungsspieler (DFB-Wohlfühldeutsch) ist es ohnehin eine gute Gelegenheit, sich gegen einen im Wortsinn erstklassigen Kontrahenten zu beweisen. Ich jedenfalls freue mich auf einen hoffentlich stimmungsvollen Fußballabend im Steigerwaldstadion. Und auf diesen Wahnsinnigen, namens Arnautović.

RWE vs. 1. FC Magdeburg 0:1 / Letzter Test vor Saisonbeginn

Hier ein paar Eindrücke vom Spiel gegen Magdeburg: Walter Kogler machte seine Ansage wahr und ließ ein 4-4-2-System spielen, zum ersten Mal sogar von Anfang an mit zwei Stürmern (Tunjic und Brandstetter). Die größte Überraschung in der Aufstellung des RWE-Coaches bot allerdings Johannes Bergmann auf der linken Position der Viererkette, was durchaus naheliegend ist, da Bergmann ein Linksfuß ist, und auch wieder nicht, weil er diese Position meines Wissens noch nie gespielt hat. Das machte sich beispielsweise bei seinem Stellungsfehler vor dem 0:1 durchaus bemerkbar.

Laurito und Kleineheismann in der Innenverteidigung wirkten wach und in den meisten Szenen solide, mit mehrheitlich brauchbaren Anspielen im Spielaufbau. Beide Außenverteidiger hatten die Lizenz sich situativ nach vorne zu orientieren. Odak nahm das gerne in Anspruch, gute Partie von ihm, vom sehr gut trennten ihn nur die verbesserungswürdige Qualität seiner Hereingaben.

Die beiden Sechser (Pfingsten und Engelhardt) holten sich wechselweise die Bälle im Spielaufbau hinten ab, standen in der Regel auch vertikal gut gestaffelt. Dass es bei ihnen keine klare Zuordnung gibt (z.B. Pfingsten immer offensiver als Engelhardt), sehe ich als Vorteil, da es den zentralen Spielaufbau etwas weniger ausrechenbar macht. Defensiv agierte allerdings Engelhardt tiefer als Pfingsten. Sind die Räume vor ihm kompakt geschlossen, sortiert er sich sogar teilweise in die Viererabwehrkette ein.

Dann wird es etwas asynchron, was sicher den verschiedenen Talenten der beiden offensiven Außenbahnspieler geschuldet ist. Öztürk verschob sehr weit nach vorn, praktisch auf eine Höhe mit den beiden Stürmern. Wird er mit einem guten Pass in Szene gesetzt, kann er so seine immensen Stärken im eins gegen eins ausspielen, die er, bis zu seiner Auswechslung (die hoffentlich eine reine Vorsichtsnahme war), eindrucksvoll demonstrierte. Ihn bekamen die Magdeburger Verteidigern nie in den Griff. Möhwald auf rechts agiert deutlich tiefer, weil er das Spiel lieber vor sich hat und weil er mit Odak einen passstarken Außenverteidiger hinter sich weiß, und sie in dieser Konstellation die Strafraumnäherung eher mit Kombinationen anstreben. Gut bei Möhwald war, dass er – wann immer sinnvoll und möglich – in den Strafraum drang und dort den Abschluss suchte. Verbesserungswürdig ist sein Spiel ohne Ball, exemplarisch sei hier eine Szene aus der zweiten Halbzeit erwähnt, Tunjic hat auf dem rechten Flügel den Ball, wird gedoppelt, Möhwald läuft vor ihm in den Strafraum, statt an die Außenlinie, um auf diese Weise einen der beiden Verteidiger von Tunjic wegzuziehen. Angriff zu Ende.

Solange Öztürk auf dem Platz war, hat mir sogar die Spielweise mit zwei Mittelstürmern gut gefallen. Beide, also Bandstetter und Tunijc, bewegten sich viel: Tunjic sehr oft nach rechts, um Passoptionen mit Möhwald und dem nachrückenden Odak zu öffnen. Brandstetter bot sich als Relaisstation für das zentrale Mittelfeld an, oder rückte in die linke Halbposition in Richtung Öztürk. Überhaupt machte Brandstetter ein überzeugendes Spiel: wenig Ballverluste, gute Ballan- und mitnahmen, stets den Torabschluss suchend. Für alle Offensivspieler gilt, dass die Chancenverwertung mangelhaft war und sie sich in der ein oder anderen Situation schneller vom Ball trennen müssen.

Ein Wort zu Fillinger, der für Öztürk kam: Alibifußball!

Richtig Bauchgrimm verursacht mir die Torwartposition. Klewin wirkte auch gegen Magdeburg hypernervös und leistete sich in der 2. Halbzeit einen Riesenbock, der fast zum 0:2 geführt hätte. Kornetzky scheint mir ein richtiger Obersympath zu sein, aber ob er (momentan) der bessere Torwart ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Und, last but not least, die neueste Version der von mir erwarteten Startaufstellung gegen die Stuttgarter Kickers. Ein 4-4-2 mit zwei Stürmern, vor allem wohl auch deswegen, weil sich personelle Alternativen dazu (Strangl, Fillinger, Derici, Göbel) nicht wirklich anbieten:

Walter Kogler äußert sich zum Spielsystem

In einem Interview auf kicker.de (durchgeführt vom TA-Mitarbeiter Marco Alles) äußert sich Walter Kogler zum ersten Mal ausdrücklich zum zukünftigen Spielsystem des RWE: «Als Basis dient das 4-4-2-System, was sich aber auch als 4-2-3-1 interpretieren lässt. Wichtig ist mir aber, dass sich die beiden Sechser immer wieder mit in die Offensive einschalten und nicht nur als reine Abräumer fungieren.» Bei dieser Vorgabe ihres Chefs werden Pfingsten und Engelhardt kein Bauchweh bekommen, beides sind Spieler, die in der Offensive große Potenziale haben, auch wenn Engelhardt dies, seit er wieder für den RWE kickt, nur sporadisch offenbaren konnte. Was aber oft genug taktische Ursachen hatte.

Mit dem Interview des RWE-Cheftrainers hat sich meine bislang vertretene These (die hauptsächlich auf Koglers einst in Österreich favorisierten Systemen beruhte), und von einer 4-1-4-1-Formation ausging, erledigt. Ich denke jetzt, dass wir ein Hybridsystem zu erwarten haben, das defensiv ein 4-4-2 und offensiv ein 4-2-3-1 sein wird. Da man im Fußball während des Spiels nicht permanent aus- und einwechseln kann, impliziert diese Annahme ebenfalls, dass ich nicht von zwei nominellen Stürmern in der Anfangsformation ausgehe. Oder genauer: dass ich zwei Stürmer für unwahrscheinlich halte.

Das 4-4-2 ist die Mutter aller zeitgemäßen Spielsysteme, erfunden Ende der 80er Jahre von Arrigo Sacchi während seiner großen Jahre beim AC Mailand. Die Hauptvorteile des 4-4-2 aus meiner Sicht:

  • Einfaches, quasi organisches Verschieben der Mannschaftsteile hin zum Ball
  • Hohe Kompaktheit; alle möglichen Gegnerpositionen können gut gedoppelt werden
  • Mannschaften, die schnell viele neue Spieler integrieren müssen, ist dieses System methodisch am einfachsten zu vermitteln
  • Alle gängigen taktischen Stilmittel, wie aktives und passives Pressing, Gegenpressing nach Ballverlust, schnelles Umkehrspiel, etc. sind mit einem 4-4-2 abbildbar

Ein beispielhaftes 4-4-2-System des RWE in der defensiven Grundordnung:

Das sieht doch wohlgeordnet aus, so auf dem Papier.

Wie erfolgreich und ansehnlich ein 4-4-2 funktionieren kann, hat der SC Freiburg unter Christian Streich in der letzten Saison eindrucksvoll vorgeführt. Die potenziellen Nachteile dieser Formation liegen in der Gefahr der Unverbundenheit der einzelnen Linien, den Lücken, die sich zwangsläufig ergeben, wenn der Abstand der beiden Viererketten zu groß gerät, sowie dem nominellen Fehlen eines zentralen offensiven Spielers/Ballverteilers – was oft dazu führt, dass die Stürmer keine (verwertbaren) Bälle bekommen. Um das zu umgehen, mutiert die 4-4-2-Defensivordnung fast immer zu einem 4-2-3-1-Angriffsystem, wir sprechen dann von einem Hybriden. Man operiert bei eigenem Ballbesitz mit einem Mittelstürmer und kann (und muss) ansonsten ein variables Offensivspiel aufziehen, wobei alle Spieler eine hohe Laufbereitschaft, gutes Passspiel und kluges taktisches Verhalten gleichermaßen auf sich vereinigen sollten. Auch der einzige Stürmer darf nicht einfach auf Zuspiele oder Flanken seiner Teamkollegen hoffen, sondern hat sich permanent zu bewegen, muss im Zweikampf robust auftreten und gleichfalls eine hohe Passqualität eignen. Als Beispiele seien Lewandowski, Mandzukic und Klose genannt. Ein Gegenbeispiel wurde unlängst in die Toskana transferiert.

Wer könnte beim RWE diese Positionen ausfüllen? Tunjic stand in den letzten Spielen immer in der Startelf, deshalb sehe ich ihn Koglers Gunst derzeit vor Brandstetter – auch wenn dieser, meiner Auffassung nach, die Anforderungen an einen modernen Mittelstürmer besser erfüllt. Als zentraler Offensivspieler böte sich Derici an, er ist jedoch offensichtlich nicht fit genug für 90 Minuten Profifußball. Aus diesem Grund glaube ich, dass zunächst Möhwald diese Stelle in Koglers Startelf besetzen wird. Auf der rechten offensiven Außenbahn könnte tatsächlich Patrick Göbel eine Chance gegen die Stuttgarter Kickers erhalten. Indizien: er  stand in den Spielen gegen Brentford und Ingolstadt in der Anfangsformation und erhielt jeweils viele Einsatzminuten. Die offensive Dreierreihe muss sich durch eine hohe Fluidität auszeichnen, ständig die Positionen wechseln, mit den nachrückenden Sechsern und Außenverteidigern Passdreiecke schaffen, um Überzahlsituationen am Ball erzeugen zu können.

Hier die von mir momentan erwartete Startelf gegen die Stuttgarter Kickers (4-2-3-1)

Womöglich aber überrascht uns das Trainerteam ja noch mit einer ganz anderen Variante. Christian Preußer hatte in der letzten A-Jugend-Saison aus der Not eine Tugend gemacht. Er verfügte über zwei sehr gute Mittelstürmer (Nietfeld und Stolze), aber keinen herausragenden Zehner. Deshalb ließ er beide Mittelstürmer spielen, man konnte hier völlig zu Recht von einem 4-4-2 auch in der Offensive sprechen. Beide bewegten sich sehr variabel, nahmen wechselweise die zentrale Sturmposition ein oder ließen sich in die Halbräume fallen. In den besten Spielen der Saison (vor der Winterpause) war zudem Felix Robrecht in bestechender Form. Er spielte als zentraler Mittelfeldspieler (mehr Achter als Sechser) grandiose, öffnende Pässe auf die beiden Stürmer. Nun, ich glaube nicht, dass Robrecht (der wohl zudem verletzt ist) und Stolze in der Startelf des 1. Spieltages stehen werden, aber ein derartiges System würde ich zum jetzigem Zeitpunkt nicht (mehr) kategorisch ausschließen. Dann aber besetzt mit Brandstetter und Nietfeld.

Es bleibt spannend. Mal sehen, was uns das Spiel gegen den FCM an weiteren Erkenntnissen beschert.

Spiel gegen Brentford, diverse Interviews & Erfurt liebt den Fußball nicht

Die einen fanden Laurito besser als Kleineheismann, andere sahen Odak offensiver als Czichos und wieder andere waren exakt der gegenteiligen Auffassung. Einig war man sich darin, dass aus Mijo Tunjic in der Sommerpause kein Claudio Pizarro geworden ist und Philipp Klewin zuweilen ganz schön nervös seinen Strafraum nicht beherrschte. Die TLZ vermeldet als Neuigkeit eine Systemänderung hin zu einem 4-1-4-1, was ich bereits vor mehr zwei Wochen als sehr wahrscheinliches Koglersches System prognostiziert hatte. Von einer Systemänderung kann überdies nicht wirklich die Rede sein, da es auch unter Schwartz in der Rückrunde des Öfteren ein 4-1-4-1 gab, meist mit Oumari auf der 6er-Position, einmal auch mit Engelhardt (bei einem weiteren zur Halbzeit abgebrochenen Versuch mit Baumgarten).

Mehr als die Unterschiede sind mir die Gemeinsamkeiten zur letztsaisonalen taktischen Formation aufgefallen. Da wäre in erster Linie die mangelnde Breite des Angriffsspiels des RWE zu nennen. Die Außenbahnspieler auf den ballfernen Positionen bewegen sich nicht in den freien Raum zur Seitenlinie hin, sondern orientieren sich zur Platzmitte. Bei Schwartz war das Absicht, in seinem System wurde bereits bei der eigenen Offensivbewegung einem möglichen Ballverlust vorgebaut. Bewegen sich die Außenbahnspieler eng zu ihren zentralen Mitspielern, ist es für den Gegner schwer, sich durch diese kompakte Formation mittels schnellem Umschaltspiel einen Vorteil zu erkontern.

Das Hauptmanko dieser Komprimierung liegt in den eingeschränkten Optionen des Offensivspiels. Der Gegner kann seine Reihen kompakt verschieben und sich dabei exklusiv auf die Platzmitte und die ballnahe Seite konzentrieren. In diesem Spielfeldviertel bewegen sich dann mindestens sechs Spieler jeder Mannschaft, was außergewöhnliche Präzision bei Weiterleitung und Verarbeitung des Balles zwingend voraussetzt, um in Strafraumnähe zu gelangen. Eine überraschende Spielverlagerung – über die Spielmitte eingeleitet – steht nicht zu Gebote. Ob das von Kogler so gewollt war, oder ob die Mannschaft nur in alte Gewohnheiten verfallen ist, will ich nach diesem einem Spiel nicht beurteilen.

Ansonsten werden viele Interviews gegeben. Der Trainer lobt die Spieler sowie die Trainingsbedingungen in Weißensee. Die Mannschaft lobt via Pfingsten-Reddig den Trainer zurück («Spricht viel mit uns», «Wir trainieren fast nur mit Ball»). Rene Müller tadelt die Stadt Erfurt und Rolf Rombach findet, dass er (zum Teil) recht hat.

Nun, was den akuten Honeymoon zwischen Mannschaft und Trainer betrifft: Ich will nicht hoffen, dass hier zutrifft, was Harald Schmidt mal über die gegenseitigen Sympathiebekundungen bei Fernsehproduktionen äußerte: «Wenn alle sagen wie lieb sie sich haben, wird die Show garantiert nach drei Folgen abgesetzt.» Es ist wirklich schön zu hören, dass die Pheromonreaktionen zwischen Mannschaft und Trainer stimmen, aber was ich in erster Linie sehen will und erwarte, ist eine sukzessive Verbesserung der fußballerischen Qualität des Teams. Ich schreibe auch deshalb über Fußball, weil es ein so grundhaft ehrlicher Sport ist und man im Angesicht der Leistung auf dem Spielfeld meist getrost alles in die Tonne treten kann, was einem vorher erzählt wurde. Denn: Am Ende liegt die Wahrheit auf dem Platz. Und nur dort.

Erfurt will den Fußball nicht. Behauptet Rene Müller in seiner vorsaisonalen Analyse der Aussichten der «Ostklubs» in der BILD. Immerhin genug, dass die Stadt das Risiko eines Stadionneubaus nicht scheut, möchte man erwidern. Aber er hat natürlich recht, unser Aufstiegstrainer im Ruhestand. Die Stadt Erfurt und viele ihrer Bewohner pflegen ein, zurückhaltend formuliert, gespaltenes und nicht in jedem Fall sinngesättigtes Verhältnis zu ihrem größten und bei weitem bekanntesten Sportverein. Dieser soll erfolgreich spielen, dabei aber möglichst keine Ansprüche stellen. Er soll seine Stadionmiete pünktlich überweisen, zahlende Fans stellen jedoch in jeder Beziehung eine Zumutung dar. Ein seit 20 Jahren offenes Verkehrsproblem mit einer Einfahrtsstraße sollte als Vehikel dafür herhalten, den Stadionbau zu unterbinden. Ausgerechnet von jener Partei als Argument benutzt, die 16 Jahre fast exklusiv die Macht an der Gera innehatte und in dieser Zeit weder Stadion noch Zufahrtsstraße grundhaft renoviert bekam.

Aber zurück zu Wichtigerem. Hat sich an meiner Einschätzung bezüglich der zu erwartenden Startelf gegen die Stuttgarter Kickers etwas geändert? Klare Antwort: nein. Eher haben sich einige Zweifel erledigt. Ich denke, dass Kleineheismann leichte aber deutlich wahrnehmbare Vorteile gegenüber Möckel hat. Wobei Kogler zweifellos recht zu geben ist, wenn er die Auffassung äußert, dass es unabdingbar ist, mit drei in etwas gleich starken Innenverteidigern in die Saison zu starten. Das ist das Minimum. Göbel hat mich gegen Brentford nicht überzeugt. Es bleibt dabei: er eignet einen überragenden rechten Fuß, hat aber nach wie vor Probleme in der Ballbehauptung und Handlungsschnelligkeit bei gegnerischem Pressing, die umso mehr auffallen je offensiver er aufgeboten wird. Tunjic bekommt wie stets Bestnoten in puncto Engagement, Laufarbeit und Pressing, war allerdings leider wenig überzeugend bei seinen Angriffsaktionen. Das Tunjic-Dilemma: Er ist als offensiver zentraler Zielspieler ungeeignet, weil er zu viele Bälle nicht schnell und gut genug verarbeitet, mithin zu viele Fehlpässe spielt; während seine Haupttugenden – Durchsetzungsfähigkeit und Geschicklichkeit in unmittelbarer Tornähe – mangels geeigneter Flanken von außen (siehe oben) nicht adäquat zum Tragen kommen. Schade, dass Derici nicht zum Einsatz kam, ich vermute aber, dass die bekannt gewordenen konditionellen Defizite sich ohnehin nicht bis zum Auftaktspiel restlos verflüchtigen, er also bis auf Weiteres eine Option auf der Bank bleiben wird. Ach ja, die Torhüterposition könnte noch zu einem Fragezeichen werden, doch ich hoffe inständig (für ihn, für uns), dass Klewin seine Nerven in den nächsten beiden Spielen (Ingolstadt, Magdeburg) besser im Griff hat. Mach dich locker, Philipp!

Evtl. Startelf des RWE am 1. Spieltag Saison 13/14 – Version 2.0 / 08.07.2013

FC Rot-Weiß Erfurt vs. Brentford FC / Vorschau

Am Sonnabend stehen sich zu einem Vorbereitungsspiel in Weißensee zwei Fußballklubs gegenüber, die mehr gemeinsam haben als die traditionellen Farben ihrer Trikots. Die Glanzzeiten beider Vereine liegen Jahrzehnte zurück. Den letzten Titel des RWE gab es 1955 zu feiern; noch schwieriger dürfte es sein, beim FC Brentford Zeitzeugen für die großen 30er Jahre des Klubs zu finden. Zu dieser Zeit spielten die Westlondoner in der höchsten englischen Spielklasse und schlugen sich mit Platzierungen im vorderen Mittelfeld äußerst respektabel. Weit verblüffender sind jedoch die aktuellen Parallelen. Sowohl Brentford als auch der RWE setzen alles daran, der momentanen Drittklassigkeit zu entkommen. Nach Jahren mittelmäßigen Abschneidens in der League 1 (Vermarktungsenglisch für 3. Liga) stand Brentford in der abgelaufenen Saison ganz kurz davor, dies Wirklichkeit werden zu lassen. Am vorletzten Spieltag der regulären Saison vergab man eine realistische Chance auf die direkte Aufstiegsmöglichkeit durch ein 1:1 beim bereits feststehenden Absteiger Hartlepool United. Brentford musste in die Aufstiegs-Play-Offs und verlor das Finalspiel gegen Yeovil Town vor 42.000 Zuschauern in Wembley mit 1:2. Entscheidende Spiele zu verlieren, dies dürfte den Anhängern des RWE aus den letzten Jahren bestens (oder schlechtestens) vertraut sein. Auch beim FC Brentford lässt der Zuschauerzuspruch im heimischen, altehrwürdigen Griffin Park (vermutlich mehr alt als würdig) das Management des Klubs nicht frohlocken. Nur zum letzten Heimspiel gegen die Doncaster Rovers (als man nur noch eine recht vage direkte Aufstiegschance hatte), kamen mehr als 10.000 Zuschauer zu einem Heimspiel. Das führt uns zur nächsten Gemeinsamkeit: beide Vereine sehen es als unerlässlich für eine erfolgreiche (oder überhaupt eine) Zukunft an, dass ihre geschichtsträchtigen aber unzeitgemäßen Stadien durch neue Spielstätten ersetzt werden. Bei diesem Punkt enden an dieser Stelle allerdings die Gemeinsamkeiten. Während der FC Brentford (oder sein Eigentümer) gezwungen ist ein neues Stadion selbst zu finanzieren (und sich damit schwer tut), befindet sich der RWE in einer vergleichsweise komfortablen Situation, da der Bau der neuen Arena zu 100% aus diversen öffentlichen (sprich steuerfinanzierten) Quellen bestritten wird. Beim FC Brentford rechnet niemand mit der Fertigstellung vor 2017, in Erfurt hoffen alle auf die Jahresmitte 2015.

Der Star des FC Brentford steht selbst nur neben dem Platz und sein Name lautet Uwe Rösler. Ich muss gestehen, dass ich Röslers aktive Zeit als Fußballer nur schlecht erinnere. Jedenfalls den Teil davon, der in Deutschland stattfand. Umso Erstaunlicheres geschah, als er 1994 zu Manchester City wechselte, sofort entscheidend an der Vermeidung des Abstiegs beteiligt war und über die Stationen Stammspieler, Torgarant, Publikumsliebling zu einem Vereinsmythos avancierte, offiziell beglaubigt durch die Aufnahme in die Manchester City Hall of Fame im Jahre 2009. Seit 2011 arbeitet er als Manager (sprich Trainer) des FC Brentford, sein Vertrag wurde Anfang 2013 um weitere zwei Jahre verlängert. Nach dem Willen des Managements soll er den Verein in eine sportlich lichtere Zukunft führen. Man setzt auf Kontinuität, selbst wenn es nach dem knappen Scheitern im Aufstiegsrennen viele lange Gesichter beim FC Brentford gab. Rösler allerdings stellt dort niemand in Frage.

Als kleines Schmankerl zur Einstimmung auf das Spiel berichtet Wilfried Mohren davon, dass dereinst sogar Rod Stewart für The Bees gespielt hätte. Das ist eine Geschichte, die seit Langem erzählt wird. Aber sie ist nur ein Mythos, wie Rod Stewart in seiner Autobiographie 2012 zugab. Richtig ist wahrscheinlich, dass er ein oder zwei Wochen in einem Nachwuchsteam mittrainierte (doch selbst dafür finden sich keine Belege mehr), er bestritt jedoch definitiv kein einziges offizielles Spiel für die Westlondoner.

Wie auch immer, ich freue mich jedenfalls sehr auf dieses Spiel und erhoffe mir davon vor allem Aufschluss über das von Kogler favorisierte Spielsystem. Und darüber, ob wir mit Okan Derici vielleicht doch einen zweiten Özil verpflichtet haben. Oder wenigstens einen zweiten Calhanoglu.

Näherung an die Startelf gegen die Stuttgarter Kickers / V1.1

Ich hatte ja versprochen, dass ich je nach Nachrichtenlage, Vorbereitungsspielen, Pressemeldungen und sonstigem Gedöns hier ab und an über die aus meiner Sicht wahrscheinlichste Startformation des RWE am ersten Spieltag spekuliere.

Nun, es haben sich harte Fakten auf einer Position ergeben: Andreas Sponsel verlässt den Verein, um in Bayreuth Sport zu studieren und nebenbei noch ein bisschen in der fünften Liga zu kicken. Über die Verdienste von Andreas Sponsel ist in den letzten Tagen alles geschrieben worden, jegliches davon ist richtig. Ich kann seine Entscheidung gut nachvollziehen, schließlich ist Ex-Fußballprofi kein Beruf, auch wenn das einige bemitleidenswerte Gestalten a la Helmer, Strunz und Basler anders sehen. Über den Zeitpunkt der Entscheidung lässt sich diskutieren, aber dem Verein bleiben noch knappe drei Wochen um einen Ersatz für Sponsel aufzutreiben – wobei ich natürlich hoffe, dass die Verpflichtung möglichst zeitnah geschieht. Ich traue mir momentan kein Urteil darüber zu, ob Klewin bereits die Stabilität aufweist, um als Stammtorhüter in eine Profisaison zu starten. Bis zur Verpflichtung eines neuen Torwarts gehe ich einfach mal davon aus. Den heute verpflichteten Okan Derici werde ich mir gegen Brentford anschauen. Mit einigen Erwartungen.

Abgesehen von der Personalie Sponsel bleibe ich vorerst bei der Version 1.0 meiner Startelf-Annäherung.

Evtl. Startelf des RWE 1. Spieltag Saison 13/14 – Version 1.1 / 01.07.2013

Mit dem grünen Pfeil werden Änderungen zur vorhergehenden Version gekennzeichnet, in diesem Fall also nur Klewin gegen Sponsel. Große Unsicherheit bezüglich einer Personalie wird durch den Kegel angezeigt. Wobei sich in der Abwehr die von Anfang an vermutete Formation stabilisiert, darauf weisen die Testspielaufstellungen gegen Baunatal und Schweinfurt hin. Hier ist wohl allein die Frage: Kleineheismann oder Möckel. Engelhardt, Pfingsten-Reddig und Möhwald halte ich ebenfalls für gesetzt. Auf den beiden offensiven Außenbahnen scheinen sich momentan Strangl, Öztürk und Fillinger einem Wettbewerb um die Gunst von Walter Kogler zu liefern. Gleichermaßen macht die Mittelstürmer-Entscheidung zwischen Brandstetter und Tunjic den Eindruck völliger Offenheit. Von dem bevorstehenden Spiel gegen Brentford verspreche ich mir vor allem eindeutige Hinweise auf das von Kogler bevorzugte Spielsystem. 4-1-4-1, 4-2-3-1, oder vielleicht doch ein 4-4-2 – am Samstagabend wissen wir mehr.

Bis dahin – bleibt mir gewogen.

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