Tag Archiv für Brückner

„… wäre … nutzbar gewesen.“

Dieses Finale des Thüringer Landespokals war für den FC Rot-Weiß Erfurt in jeder Hinsicht verkorkst. Angefangen bei den Umständen, unter denen es stattfand. Dazu ist vieles gesagt und geschrieben worden, auf dessen nochmalige Erwähnung ich hier verzichten werde. Auf einen Aspekt allerdings möchte ich doch eingehen, weil er mir symptomatisch für den wurschtigen Umgang mit Wahrheit und Öffentlichkeit erscheint. Anlässlich der Pressekonferenz vor dem Finale äußerte sich der Sachgebietsleiter Spielbetrieb des TFV, Joachim Zeng, zum Austragungsort (ab etwa Minute 25:00). Dabei fiel der folgende Satz, bezogen auf das Steigerwaldstadion: «Das Stadion ist gesperrt, aus bautechnischen Gründen – wegen der Tribüne.» Danach leichte Heiterkeit beim anwesenden Hochadel des Thüringer Fußballs, weil – etwas skurril – die Pressekonferenz inmitten der gesperrten Tribüne stattfand. Aber gut, eine Pressekonferenz ist kein Fußballspiel. Ich wollte es dennoch etwas genauer wissen und fragte via Kontaktformular beim Stadionbetreiber, dem Erfurter Sportbetrieb, an. Und erhielt folgende Antwort:Mail Erfurter Sportbetrieb

Dass dieses Statement überhaupt nicht mit der Aussage von Herrn Zeng in Einklang zu bringen ist, liegt auf der Hand.

Nur eine weitere von vielen Dilettantismen im Vorfeld des Spiels. Das geht schon bei dem Gummiparagrafen los, der den Spielort bzw. die Vergabe nicht eindeutig bestimmt und reichlich Platz für Verbandswillkür (und/oder Trägheit, und/oder Unfähigkeit) lässt. Und endet nicht bei der offenkundigen Tatsache, dass man sich erst viel zu spät mit der Planung des Finals befasste. Am 27. April gewann Jena sein Halbfinale gegen Wacker Nordhausen. Seit diesem Tag hätte der TFV die Gelegenheit gehabt, den doch sehr wahrscheinlichen Fall genau dieser Finalpaarung vernünftig vorzubereiten. Aber nein, es wurde in der Folge nahezu alles getan, die Animositäten vieler Fußballfans, natürlich gerade hier in Erfurt, weiter zu ertüchtigen.

Der Thüringer Fußballverband ist das eine, die Leistung unserer Mannschaft in Jena etwas völlig anderes. Da ich nicht damit rechnete, dass wir den Kontrahenten aus den Schuhen spielen würden, war ich mit der 1. Halbzeit halbwegs zufrieden. Wir hatten zwar nur eine klare Torchance, die war allerdings hochkarätig und überdies brillant von Brückner vorbereitet. Wir ließen in der Defensive kaum etwas zu, die Mannschaft wirkte durchaus konzentriert, präsent und entschlossen. Zu diesem Zeitpunkt vertraute ich noch auf die übliche Steigerung nach der Pause. Allein, die blieb aus. Nun passierte etwas, was in keinem Spiel nach der Winterpause zu sehen war: Stefan Krämers Mannschaft baute konditionell rapide ab. Die Wechselwirkung war eindeutig, angeführt vom überragenden Eckardt verlagerte sich das Spielgeschehen immer näher in Richtung unseres Tores. Im Grunde brachte das 1:0 bereits die Entscheidung. Unser physisch angeschlagenes Team besaß nichts mehr, was es gegen die Niederlage mobilisieren konnte.

Dies ist in mehr als nur in einer Hinsicht ein kleines Drama. Es wäre wohl zu schön gewesen, um in Erfurt wahr zu werden. Der Klassenerhalt wurde – was niemand, inklusive der sportlichen Protagonisten zu hoffen wagte – souverän erreicht. Die Mannschaft bleibt im Kern erhalten. Eine neue, zeitgemäße Spielstätte wird im August offiziell übergeben. Aber erneut hat ein einziges Spiel das Verhältnis zwischen Spielern und Trainern auf der einen und den Fans auf der anderen Seite beschädigt.

Fraglos, die Zeit (die EM, der Sommer) wird die offenen Wunden heilen. Fraglos aber auch, der zarte Honeymoon zwischen Anhängerschaft und Krämers Mannschaft hat einen Schaden genommen, den man nicht schnell reparieren kann. Womöglich ist dies das größte Übel von allen.

Einige lose Gedanken zur Situation des FC Rot-Weiß Erfurt

Befänden wir uns in einem Filmdrama, wäre jetzt der Zeitpunkt, an dem ein Mitglied der Familie dem Priester zuflüstert: «Danke für Ihr Kommen Hochwürden, aber Sie können erst mal wieder nach Hause gehen.» Der Patient Rot-Weiß Erfurt befindet sich nach wie vor in einem kritischen Zustand, aber die Letzte Ölung kann getrost verschoben werden.

Das verdankt sich in nicht geringem Umfang dem neuen Trainer des Vereins, Stefan Krämer. Er hat es in vergleichsweise kurzer Zeit verstanden, eine erschreckend hinfällige Mannschaft zu revitalisieren. Ich will damit nicht sagen, dass der Kampf gegen den Abstieg bereits gewonnen sei, allerdings deutet vieles darauf hin, dass wir uns in der nächsten Saison, dann in einem neuen Stadion, auf ein weiteres Jahr Dritte Liga freuen dürfen.

Was sind die Gründe für die sportliche Schubumkehr? Ich denke zunächst, dass Stefan Krämer ein außergewöhnlich talentierter Kommunikator ist. Quasi alles, was er seit seiner Berufung sagte (in Interviews, Pressekonferenzen, etc.), war geeignet, die öffentliche Meinung für sich und seine Arbeit einzunehmen. In der auf Weltniveau agierenden Unmut-Fabrik namens Erfurter Fußball eine Leistung, von nicht zu unterschätzendem Wert.

In der Spielidee sehe ich gar keine so grundlegenden Unterschiede zu unseren ersten Saisonspielen unter Christian Preußer. (Man erinnere sich an die unglückliche Niederlage in Magdeburg.) Auch Preußer wollte schnell vertikal spielen lassen, Räume verdichten, forderte Pressing und Gegenpressing von seiner Mannschaft. Zumindest war das die initiale Spielidee. Die aber in einer Mühle aus halb garen taktischen Änderungen, individuellen Defiziten der verfügbaren Spieler (vor allem in der Offensive) und immer größer werdendem Druck bis zur Unkenntlichkeit zermahlen wurde.

Mit anderen Worten: Stefan Krämer ist es bis hierher offensichtlich gelungen, Theorie und Praxis des Fußballs in Einklang zu bringen. (Hier lag wohl das größte Defizit seines Vorgängers.) Und nichts im Fußball ist erfolgsfördernder als Erfolg. Die Mannschaft glaubt dem Trainer, weil sich mit ihm Erfolge einstellen. Dazu benötigt es allerdings immer einen Anteil Glück. Die Spiele gegen Würzburg und Dresden hätten wir bei gleicher Leistung ebenso gut verlieren können. Daher sollten wir uns bei allem Optimismus nach wie vor Zurückhaltung auferlegen. Die Liga ist so unglaublich leistungsdicht, jedes Nachlassen der eigenen Konzentration, jede Pechsträhne (Verletzungen, Schiedsrichterentscheidungen, Chancenverwertung) haben das Potenzial, die Tore zur Hölle (aka Regionalliga) erneut weit aufzustoßen.

Die Fairness gebietet es, die Winterverpflichtungen von Daniel Brückner und Samir Benamar als gleichfalls essenziell für die Leistungssteigerung der Mannschaft zu notieren. Beides Spieler, die – mit unterschiedlichen Fertigkeiten ausgestattet – deutlich über Liganiveau agieren. Zumindest an guten Tagen. Daniel Brückner ist vielleicht nicht mehr so dominant in der Offensive wie in seiner ersten Zeit in Erfurt. (Als die Rechtsverteidiger der Gegner reihenweise zur Halbzeit ausgewechselt wurden.) Aber seine große Ruhe am Ball, seine Passsicherheit und die inzwischen hinzugekommenen defensiven Fähigkeiten machen ihn zu dem Spieler, der uns vorher fehlte. Gleiches trifft auf Benamar zu: technisch brillant, schnell und – im besten Sinn – unberechenbar.

Es ist bei Weitem nicht alles gut im Fußballspiel des FC Rot-Weiß Erfurt. Niemand weiß das besser als Stefan Krämer und er hat keinerlei Scheu es zuzugeben. Standards, Raumaufteilung, Umkehr- und Aufbauspiel – mit den nach wie vor vorhandenen Defiziten lassen sich ganze Schwarzbücher über Fußballtaktik füllen. Aber ihr kennt ja den alten Witz: Man muss nicht schneller sein als der Löwe. Für diese Saison genügt es, einfach nur schneller zu sein als drei andere Teilnehmer der Drittliga-Safari. Diesbezüglich darf man optimistisch sein, dass wir den Priester nicht so schnell erneut rufen müssen.

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