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Rot-Weiß Erfurt vs. VfB Stuttgart II 3:0 / Hoch und weit und erfolgreich

taktik 1Bereits nach drei Minuten wurde deutlich, wie Christian Preußer den ersten Saisonsieg zu erringen gedachte. Auf dem (durch und durch exemplarischen) Foto ist zu sehen, dass es so etwas wie einen Spielaufbau über die zentralen Mittelfeldspieler nicht geben würde, weshalb auch keiner von ihnen im Bildausschnitt zu sehen ist. Die Außenverteidiger stehen unglaublich tief – normalerweise sind sie mindestens an der Mittellinie, meist aber noch höher – positioniert. Auch sie werden an der Überbrückung des Mittelfeldes nicht beteiligt sein. In der Szene wird gleich ein langer Ball folgen, vermutlich geschlagen von Mario Erb, auf den sechs Erfurter Spieler im Angriffsdrittel des VfB-Nachwuchses lauern.

Ich will ehrlich sein, das ist nicht unbedingt der Fußball, den ich schätze. Und hätten wir das Spiel verloren, würde das hier noch sehr viel nachdrücklicher ein Thema sein. Mit dieser taktischen Vorgabe aber gelang dem FC Rot-Weiß Erfurt der dringend benötigte erste Sieg in dieser Saison. Der VfB machte über die gesamte Spieldauer hinweg den Fehler, dass unsere Verteidiger diese Bälle in aller Ruhe nach vorn schlagen konnten, was vor allem bei Mario Erb mit einer erstaunlichen Präzision einherging. Adressat der Bälle war nicht selten Sebastian Szimayer, der via Körpergröße, physischer Präsenz und Zweikampfgeschick eine Reihe dieser Bälle unter Kontrolle bzw. zum Mitspieler bringen konnte. Die Raumaufteilung unserer Offensivspieler war glänzend abgestimmt, sodass viele unklare, abprallende Bälle eine Beute der beiden zentralen Mittelfeldspieler wurden. Man könnte dafür den Begriff Raumdominanz verwenden. Das alles führte selten direkt zu klaren Torgelegenheiten, jedoch gelang es den Erfurtern, permanent Bälle in die Red-Zone zwischen Fünfmeterraum und Sechzehnmeterlinie zu transportieren. Der VfB fand dagegen kein Mittel, Tore waren eine Frage der Zeit. Nur in der Viertelstunde nach der Pause war zu sehen, dass im Team des Stuttgarter Nachwuchses eine Reihe begabter Techniker aufgeboten waren. Drei hochkarätige, gekonnt erspielte Chancen, gab es zu verzeichnen. Dem bereitete Carsten Ich-weiß-wo-das-Tor-steht Kammlott ein jähes Ende. Danach hätte der souveräne Manuel Gräfe abpfeifen können. Das Ding war durch.

Ein Wort zur Diskussion um Sebastian Tyrala. Zunächst denke ich, dass die Taktik vom Samstag nicht in jedem Fall, soll heißen: bei jedem Gegner, zum Erfolg führen wird. Wir werden auf Mannschaften treffen, deren Innenverteidiger geschickter sind, mehr Zweikämpfe gewinnen, es besser als der VfB verstehen, zweite Bälle zu sichern und zu behaupten. Wir werden Sebastian Tyralas Spielintelligenz mithin weiterhin dringend benötigen. Egal, mit welcher Taktik Preußer agieren lässt, unser Spiel wird in dieser Saison von hoher physischer Intensität geprägt sein. Will man Spiele gegen fußballerisch bessere Mannschaften gewinnen, werden gerade die Spieler im zentralen Mittelfeld mehr als der Gegner laufen und viele Zweikämpfe bestreiten müssen. Der körperliche und mentale Verschleiß wird entsprechend hoch sein. Es ist somit unzweifelhaft ein Vorteil, möglicherweise sogar eine Voraussetzung für Erfolg, im zentralen Mittelfeld personelle Optionen im Kader zu haben.

Apropos Optionen im Kader: Gestern wurde Marc Höcher von Roda Kerkrade verpflichtet. Bin mir noch nicht sicher, ob er so ein typisch holländischer Flügelstürmer oder doch eher ein offensiver Mittelfeldspieler ist. Bemerkenswert, dass er über die Jahre eine konstant hohe Zahl von Torvorlagen zu verzeichnen hat. Das werden Kammlott und Szimayer erwartungsvoll zur Kenntnis nehmen. Er hat bei mir schon jetzt einen Bonus, weil er sich lieber auf das Wagnis einer für ihn völlig neuen Liga einlässt, statt seinen Vertrag in der obersten Klasse des Nachbarlandes (immerhin!) auf der Bank abzusitzen.

1. FC Magdeburg vs. FC Rot-Weiß Erfurt 2:1

Am Freitag um 22.18 Uhr sah ich mich genötigt, die Welt via Twitter mit folgender Auskunft zu behelligen:

Tweet fcm

Es war eine unverdiente Niederlage, die die Rot-Weißen in Magdeburg kassierten. Ein bisschen Wehklagen hielt ich deshalb für angemessen.

Trotzdem überwog die Erleichterung. Einfach weil Preußers Mannschaft über weite Abschnitte des Spiels so ziemlich genau den Fußball spielte (oder zumindest versuchte zu spielen), den ich für zielführend halte, will man in dieser höllisch schwierigen Liga erfolgreich sein. (Anmerkung: Für mich ist diese Saison bereits ein Erfolg, wenn möglichst früh erkennbar wird, dass wir nichts mit dem Abstieg zu tun haben werden.)

Was zeichnete unseren Fußball am Freitag aus? Zunächst ist dies auch eine Frage der individuellen Qualität. Einige der Niederlagen des letzten Saisondrittels wären (trotz viel schlechten Fußballs) vermeidbar gewesen, wenn bessere Innenverteidiger zur Verfügung gestanden hätten. Oder, genauer ausgedrückt, wenn die verfügbaren Innenverteidiger in ihrer Normalform gespielt hätten. So aber erwies sich der langfristige Ausfall von Jens Möckel als fatal. Kleineheismann, Laurito und Gohouri schienen in einen seltsamen Wettbewerb eingetreten zu sein: Wer begeht bis zum Saisonende die meisten Fehler? Schlimmer noch, ihre einzige Option zur Eröffnung eines Spiels, schien aus langen, unpräzisen Pässen zu bestehen. Insofern ist die Leistung der beiden zentralen Verteidiger am Freitag hoffentlich richtungweisend. Mario Erb, beweglich, handlungsschnell, stellungssicher, technisch gut; man kann verstehen, dass Preußer über seine Verpflichtung sehr glücklich war. Der andere Neuzugang: Andre Laurito! Endlich wieder in der Form, die er in seiner ersten Saison am Steigerwald hatte. Schade, dass Kammlott seinen grandiosen Vierzig-Meter-Pass nicht einnetzen konnte. Es wäre die Krönung einer formidablen Leistung gewesen.

Das große Übrige bestand aus einer kristallklaren Spielidee. Nach einer Balleroberung wurde viel schneller nach vorn gespielt, als das bisher der Fall war. Dabei gab es (vereinfachend dargestellt) zwei Optionen. Zum einen halblange oder lange, das Mittelfeld mit einem Ball überbrückende, Pässe auf die beiden zentral offensiven Spieler (z.B. Lauritos Ball auf Kammlott). Wobei diese Option nicht um jeden Preis ergriffen werden soll, sondern nur, wenn es eine erkennbare Chance für den Stürmer gibt, den Ball verarbeiten zu können. Zur Erhöhung dieser Chance ließ sich vor allem Kammlott tiefer fallen als letztes Jahr, um auch mit längeren flachen Anspielen bedient werden zu können.

Die zweite Option waren schnelle Passfolgen durch das Mittelfeld. Gelang es, den Ball im Mitteldrittel des Spielfeldes unter Kontrolle zu bringen, schaltete sich der ballnahe Außenverteidiger sofort in den Angriff ein. Je zentraler die Ballkontrolle stattfand, umso höher war die Wahrscheinlichkeit, dass auch der zweite Außenverteidiger als zusätzliche Anspielstation vor- (und eben nicht erst irgendwann nach-) rückte. Mangelnde Breite und zu wenig Dreiecksbildung waren ein großes Problem des Erfurter Angriffsspiels in den vergangenen Jahren. Sie soll durch diese taktische Maßnahme überwunden werden.

Das ist natürlich sehr riskant. Sobald sich mehr Spieler  in die Offensivaktion einschalten, desto höher müssen die (noch verbliebenen) Abwehrspieler aufrücken, damit die Kompaktheit beibehalten wird. Zudem haben sie große Räume zu kontrollieren, sodass sie (und das war mehr als einmal der Fall) recht häufig in die Situation kommen, im Eins-gegen-Eins absicherungslos zu verteidigen. Das ist am Freitag fast durchgehend gut gelungen.

Der von Preußer präferierte Fußball folgt zwei Prämissen: Man schaltet schnell um, weil dies die einzige Möglichkeit darstellt, auf einen defensiv unorganisierten Gegner zu treffen. Und zweitens: Fehlpässe werden in Kauf genommen. Das hohe Aufrücken soll zudem bewirken, dass die Mannschaft sofort ins Gegenpressing gehen kann, weil sie versucht in den entscheidenden Zonen des Platzes Überzahl herzustellen.

Wenn das alles so toll war, warum haben wir dann verloren? Weil Magdeburg die wenigen Chancen die es hatte, effizient nutzte. (Einschließlich der Fehler die RWE machte, damit es überhaupt zu diesen Chancen kam.) Und weil sich die Mannschaft (vor allem zwischen der 50. und 60. Minute) vom Magdeburger Druck desorientieren ließ, viel zu tief stand, ihre eigentliche Spielidee aufgab und folgerichtig den Ausgleich kassierte. Die gute Nachricht: Preußer coachte das aktiv weg. Er wechselte offensiv, sein Team verstand die Signale und schien sich am eigenen Schopf aus der Malaise befreien zu können. Die Magdeburger Überlegenheit war dahin, RWE spielte wieder planvoller nach vorn.

Alles war gut, bis einer der ganz wenigen Fehler der Erfurter Defensive zum Siegtreffer für den FCM führte. Klar kann Klewin den Ball auf die Tribüne dreschen, aber es sei daran erinnert, dass wir nur ein paar Minuten vorher kurz davor standen, die Führung zu erzielen. Magdeburg hatte sich mit dem Unentschieden eigentlich abgefunden, es gab kein Powerplay des Aufsteigers oder dergleichen. Deshalb der Versuch eines konstruktiven Aufbaus, der in die Hose ging.

Fazit: Preußer versucht, mit modernstem Fußball zum Erfolg zu kommen. Das ist riskant. Aber wenn es das Ziel des Vereins ist, mittelfristig eine aufstiegsfähige Mannschaft zu formen, dann ist diese Herangehensweise ohne Alternative. Bei unserem chronisch klammen Etat werden wir uns nie eine Spitzenmannschaft erkaufen können. Diese Variante muss ja auch nicht zum Erfolg führen, wie unser nächster Gegner seit Jahren zum Verdruss seiner Anhänger beweist.

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