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RWE vs. Heidenheim 0:4 / The Dark Night Rises?

Großartige Choreo der Ultras / © www.fototifosi.de (Mit freundlicher Genehmigung)

Nach so einem Spiel, verbleiben drei Optionen darüber zu schreiben: Draufhauen, Positives zusammenkratzen oder eine raffinierte Mischung aus beidem. Das ist alles nicht wirklich zufriedenstellend. Die Wucht dieser deprimierenden Niederlage lässt Worte als das erscheinen, was sie in Wirklichkeit ja auch sind: unzureichende Konstrukte unseres Geistes.

Okay, ich wollte nur auch mal ein bisschen rumjammern. Hilft aber nichts.

Die ersten 120 Sekunden sahen vielversprechend aus, danach wurde es mitten am Tag Nacht im Steigerwaldstadion. Das lag in erster Linie an den erfahrenen Spielern des FC Rot-Weiß Erfurt und nicht an Möhwald, Göbel, Jovanovic oder Czichos. Insofern hat mich Bernd Rauws Interview in der heutigen Ausgabe der Thüringer Allgemeinen ziemlich auf die Palme gebracht. Dort stellt er – nach der mangelnden Erfahrung der jungen Spieler befragt – gönnerhaft fest: «Solche Fehler wie vor dem 2:0 passieren, die Jungs müssen daraus lernen.» Bevor wir zum zweiten Tor kommen, beschäftigen wir uns ganz kurz mit der Entstehung des Ersten: Der RWE hat – in Person von Bernd Rauw – Ballbesitz in der Abwehr. Rauw schlägt einen Alibipass ins Mittelfeldzentrum. Sehr unwahrscheinlich, dass den ein Mitspieler bekommt. Noch unwahrscheinlicher, dass er ihn – angesichts der Überzahl an Heidenheimer Spielern – behaupten hätte können. Prompt kommt der Gegenangriff: Rauw und ein Heidenheimer stoßen unglücklich zusammen. Freistoß. Der Rest ist bekannt. Ein ähnliches Muster vor dem zweiten Tor. Rauw muss vor dem Zuspiel auf Möhwald erkennen, dass dieser – in einer sehr gefährlichen Zone – sofort unter Druck geraten wird. Er erkennt es nicht (oder schlimmer: es ist ihm egal), weshalb er auch an diesem Gegentor eine Mitschuld trägt. Die Spielverlagerung nach links auf den freien Bertram wäre hier die wesentlich sinnvollere Variante gewesen. Also, lieber Bernd Rauw: Bitte erst mal die eigenen Fehler abstellen, bevor man denen der Anderen öffentlich Absolution erteilt.

Tom Bertram. Ich hatte in der Vorsaison schon mal darauf verwiesen, dass es Phasen wie diese in Bertrams Karriere schon öfter mal gab. Unvermittelte Leistungseinbrüche, haarsträubende Fehler, lethargisches Zweikampfverhalten sind ihre charakteristischen Merkmale. Er wird sich das vermutlich selbst nicht erklären können. Umso ratloser stehen wir damit da. Nur eines ist klar: er muss aus diesem Leistungsloch heraus – und zwar: so schnell wie irgend möglich.

Die Auswechslung Göbels zur Halbzeit war gerechtfertigt. In erster Linie, um den Spieler zu schützen. Es war nämlich wie so oft auf der Erfurter Haupttribüne: Diejenigen, die in der letzten Saison vehement nach jungen Spielern verlangten, sind die Ersten, die die Auswechslung dieser Spieler fordern, sobald sie Fehler machen. Vermutlich, weil sie selbst perfekte Geschöpfe des Herrn sind – auch wenn sie nicht so aussehen. Noch eines zu Patrick Göbel: Wir haben jetzt gefühlte Ewigkeiten mit mies ausgeführten Ecken und Freistößen leben müssen. Patrick Göbel kann dieses Defizit – zumindest teilweise – beheben, dies hat er in der A-Jugend-Bundesliga eindrucksvoll nachgewiesen. Er wird das auch in der 3.Liga tun, wenn ihm die dafür notwendige Zeit und Geduld eingeräumt wird. Für Göbel kam Strangl, der hatte sich gegen West Ham durchaus empfohlen, er konnte diese Leistung aber am Samstag leider nicht bestätigen.

Jetzt soll noch ein Innenverteidiger geholt werden. Das ist ein vernünftiges Unterfangen. Wichtiger wäre allerdings, Drexler und Morabit zu halten. Der Weggang der beiden würde eine – möglicherweise entscheidende – Schwächung der Mannschaft bedeuten, von der ich nicht weiß, wie sie ausgeglichen werden soll. Selbst wenn Paderborn die geforderten 400.000 EUR zu zahlen bereit wäre (was Wilfried Finke durchaus zuzutrauen ist), würde ich Morabit nicht ziehen lassen. Das Risiko, eventuell keinen – auch nur halbwegs adäquaten – Ersatz für ihn zu bekommen ist unkalkulierbar.

Jetzt geht es zum HFC. Die Hallenser hatten einen guten Start in die Liga. Wie schon in der Aufstiegssaison bauen sie auf eine kompakte, kaum zu überwindende Defensive. Wir müssen nicht lange herumreden: Der RWE wird dieses Spiel verlieren, wenn die fast schon atemberaubende Anhäufung individueller und taktischer Fehlleistungen nicht auf ein Normalmaß reduziert werden kann. Es könnte zudem nicht schaden, wenn ein wenig Glück hinzukäme. Da stehen wir also nach zwei Spieltagen, null Punkten und sieben Gegentoren: Wir rufen die Glücksgötter an. Holy shit!

Im Gegensatz zur Performance des RWE auf dem Rasen, fand ich die Choreo der Ultras definitiv bundesligareif. Ohne mich gleich mit allen Zielen einverstanden erklären zu müssen. Sie boten ein inhaltlich wie ästhetisch großartiges Gesamtkunstwerk, das die derzeitige Konstellation im deutschen Fußball treffend kommentiert: Der DFB macht momentan auf harter Hund und stellt sich – recht unreflektiert – gegen eine große, sehr aktive Gruppe von Fans. Die etwas nordkoreanisch anmutende Gesprächsverweigerung des DFB konterten die Erfurter Ultras mit Fantasie und Ironie. Wenigstens ein Sieg an diesem Nachmittag.

RWE vs. West Ham United 0:3 / Schön verloren

Über sehr weite Teile des gestrigen Spiels war der Premier-League-Aufsteiger aus dem Londoner East End der ideale Gegner für den FC Rot-Weiß Erfurt. Individuell naturgemäß stark besetzt, aber doch mit einem angenehmen Schuss britischer Zurückhaltung ging West Ham in die Partie und ließ den RWE Fußball spielen. Anders als eine Woche zuvor gegen den BVB, fand so etwas wie Pressing aufseiten der Engländer nicht wirklich statt. Und die Rot-Weißen waren gewillt und in der Lage diese Einladung anzunehmen.

Aus dem aktuellen Kader rückten Strangl, Jovanovic, Göbel, Öztürk und Rickert in die Startelf. Hinzu gesellte sich Felix Schiller. Der bei Werder Bremen ausgebildete und zuletzt bei Oberhausen aktive 1,89 Meter große Innenverteidiger, erhielt die Chance probeweise vorzuspielen. Der Erkenntnisgewinn in dieser Personalie war begrenzt, da West Ham über große Teile des Spiels offensiv nicht stattfand. Man konnte sehen, dass Schiller auf den ersten 20 Metern nicht der Schnellste ist, was aber bei seiner Körpergröße auch nicht zu erwarten steht. Man sah aber auch, dass er fußballerisch (für einen Innenverteidiger) ein gutes Niveau vorzuweisen hat.

Strangl, Jovanovic und Göbel gehören zu den klaren Gewinnern der gestrigen Begegnung. Strangl spielte agil, laufstark und aggressiv und wies seine Drittligatauglichkeit eindrucksvoll nach. Bei subtropischen Temperaturen war das auch konditionell eine bemerkenswerte Vorstellung. Jovanovic begann auf der rechten Abwehrseite und man sah endlich, weshalb er vor einem Jahr verpflichtet wurde. An Tagen wie gestern ist er ein äußerst spielstarker, offensiv denkender Außenverteidiger, an dem wir noch unsere Freude haben könnten – wenn seine Entwicklung so weitergeht. In der zweiten Halbzeit rückte er neben Engelhardt auf die Sechserposition und deutete hier ebenfalls seine technische Begabung mehrmals an. Er zog einige Mal mit dem Ball am Fuß in Richtung Tor der Engländer. Das sah gut aus, brachte allerdings nichts Nennenswertes ein. Ich sehe ihn eher und eindeutig lieber auf der rechten Außenbahn.

Patrick Göbel war nicht anzumerken, dass er noch vor einem Vierteljahr im Erfurter Gebreite seine Pflichtspiele vor 50 Zuschauern austrug. Mit seiner ersten Aktion vernaschte er einen Premier-League-Verteidiger und im Grunde ging es das ganze Spiel so weiter. Unbekümmert, laufstark und – ganz wichtig – stets darauf bedacht, auch die taktischen Vorgaben Emmerlings in der Defensive keineswegs zu vernachlässigen. Schade, dass er nicht mit einem Tor für seine Leistung belohnt wurde. Ihm hatten wir auch zu verdanken, dass wir wieder mal einen gefährlichen, direkt ausgeführten Freistoß des RWE sahen (gefährlich für den Gegner). Überdies  ermöglichte eine von ihm getretene Ecke Jovanovic diese eigentlich 100%ige Kopfballchance in der 2.Halbzeit. Man kann, soll und darf von Patrick Göbel keine Wunderdinge erwarten. Nach dem Spiel gestern sehe ich in ihm aber eine vielversprechende Option für den Einsatz auf beiden offensiven Außenbahnen.

Möhwald harmonierte in der ersten Halbzeit eindrucksvoll mit Pfingsten-Reddig im zentralen Mittelfeld. Auf dieser Position kann er eine seiner ganz großen Stärken noch besser ins Spiel bringen: gefühlvolle, genaue Pässe in den Rücken der Abwehr. Überhaupt: Sein Spiel auf der Sechs ist für einen 19-Jährigen verblüffend: Immer anspielbereit, große Ruhe am Ball, entscheidet fast immer richtig ob die Spielsituation einen vertikalen Pass erlaubt oder eine Spielverlagerung sinnvoller ist. Ich will es mal so formulieren: Große Formschwankungen dürfen sich Engelhardt und Pfingsten-Reddig im weiteren Saisonverlauf nicht erlauben.

Manche mögen es anders sehen: Allein der beherzte und fußballerisch gelungene Auftritt der beiden Jungs war gestern sehenswert und überdies von einigem Erkenntnisgewinn.

Verloren wurde das Spiel dennoch, weil, wie bereits in Wiesbaden, zahlreiche Tormöglichkeiten ungenutzt blieben. Dazu kamen die üblichen Aussetzer im Abwehrverhalten, die von West Ham abgebrüht genutzt wurden. Das ist eine unselige Kombination. Bei aller Freude am ansehnlichen Fußball des RWE: So wird kein Spiel gewonnen – nicht gegen West Ham und nicht in der Liga. Aber, das kann sich bereits am Samstag gegen Heidenheim ändern. Mich stimmt nach wie vor optimistisch, dass die Mannschaft in der Lage ist, sich viele gute Chancen herauszuspielen. Tore (und Punkte) sollten dann eigentlich mit einer gewissen Zwangsläufigkeit folgen. Sollten … Noch ganz schön viel Konjunktiv derzeit, ich weiß.

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