SV Sandhausen – Rot-Weiß Erfurt 2:1

Die Tabelle lügt nicht! Oder doch? © kicker.de

Wieder eine Führung verspielt und keinen Punkt geholt. Bonjour tristesse, RWE! Wie kaum anders zu erwarten, denken in den Foren die ersten darüber nach, ob nicht ein Trainerwechsel das Mittel der Stunde wäre, um den tabellarischen Sinkflug zu stoppen. Emmerling erreiche die Mannschaft nicht mehr, es würde nicht nach dem Leistungsprinzip aufgestellt, weshalb auch Tom Bertram nicht spielen dürfe und als argumentative Krönung wird eine Rückkehr Julian Humberts in die Startelf gefordert. Julian Humbert! der bei seinen drei Einsätzen in der Oberliga niemandem sonderlich aufgefallen ist, soll für Pfingsten-Reddig ins defensive Mittelfeld rücken.

Nun, in Erfurt haben es defensive Mittelfeldspieler traditionell schwer, was die korrekte Einordnung ihrer Leistungen betrifft. Samil Cinaz wollte auch niemand eine Tränen nachweinen, obwohl er drei Jahre lang einer der überragenden Sechser in der Klasse war. Beim FSV ist er auf dieser Position gesetzt, wohlgemerkt in der 2. Bundesliga. Pfingsten-Reddig ist ein klassischer Box-to-Box-Midfielder, er spielt zwischen den Strafräumen, eröffnet das Spiel vertikal (mit kurzen Pässen), oder verlagert das Spiel auf die Außenpositionen. Und diesen Job erledigt er – meiner Auffassung nach – meistens sehr gut. Er ist der defensivere der beiden Sechser, schon allein weil Zedi sich sehr oft (und nicht selten erfolgreich) in die unmittelbaren Angriffsbemühungen einschaltet. Im Defensivspiel, vor allem bei Ballverlusten, nimmt Emmerling hier ein bewusstes Risiko in Kauf, das nicht eben geringer wird, wenn man bedenkt, dass Manno (nominell im rechten Mittelfeld aufgeboten) bei Angriffen als dritter Stürmer agiert. Wie gesagt, dass ist so gewollt, weil Emmerling die Durchschlagskraft im Angriff stärken will. Das wir, wie in Sandhausen, bei Gegenangriffen manchmal in Unterzahl sind, ist ein strukturelles Problem. Dies aber Nils Pfingsten-Reddig anzulasten ist, mit Verlaub, lächerlich. Emmerling kann dieses System jederzeit ändern, in dem sich zum Beispiel Zedi nicht mehr so weit nach vorn orientiert, oder die rechte Seite defensiver agiert, um auch zentral bei Kontern des Gegners aushelfen zu können (oder beides). Dann muss taktisch aber sichergestellt bleiben, dass die Offensivkraft des RWE erhalten bleibt und genau hier liegt das Problem: sowohl Zedis wuchtige Vorstöße, als auch Mannos Qualitäten als freier Radikaler des RWE-Angriffsspiel sind nicht wirklich verzichtbar. Das ist die Nuss, die Emmerling knacken muss, aber niemand auf dieser Welt weiß das besser als der Trainer des RWE.

Zum Fall Bertram: 28.04.2008, Flutlichtspiel der 2.Bundesliga, Freiburg gegen Fürth. Tom Bertram hat sich in die Anfangsformation der Greuther gespielt. Die Mannschaft von Labaddia hat – wie zumeist – noch alle Chancen in die Erste Bundesliga aufzusteigen. Es sind siebzig Minuten gespielt, Greuth führt 2:1, Bertram macht ein sehr gutes Spiel, als sich laut Kicker folgende Szene zuträgt: Bertram passte leichtsinnig nach hinten, wo sich Schlitte das Leder schnappte, dann mit Übersicht auf Pitroipa flankte, dabei den heranstürmenden Kirschstein überwand. Pitroipa bedankte sich artig und schob zum 2:2 ein. Fürth verlor das Spiel noch, und stieg bekanntlich nicht auf. Tom Bertram absolvierte noch ein Pflichtspiel für Fürth und wurde dann nach Paderborn verkauft. Gar keine Frage, Tom Bertram ist das größte Innenverteidigertalent des RWE seit Thomas Linke. Aber er ist nicht die Antwort auf alle unsere derzeitigen Defensivschwächen. Und er ist immer noch dafür gut, gleichzeitig ein prima Spiel und einen Leichtsinnsfehler zu machen. Ich denke, dass wir drei in etwa gleichwertige Innenverteidiger haben; alle drei werden in dieser Saison noch viele Einsätze bekommen. Es war sinnvoll, Oumari nach seiner Sperre wieder Spielpraxis zu geben, außerdem war dieser Wechsel keinesfalls ursächlich für die Niederlage in Sandhausen.

Die oben gezeigt Grafik sieht vor allem deshalb so jämmerlich aus, weil wir am ersten Spieltag hoch gegen die Westsachsen gewonnen haben. Aber inzwischen wissen wir, wie dieser Sieg (der auch noch klarer ausfiel, als es der Spielverlauf eigentlich hergab) einzuordnen ist: gegen die gewinnen fast alle. Was mich momentan nicht wirklich aufheitert. Im Übrigen sind die Leistungen des RWE eher konstant: zu wenig Tore (schlecht!) aus den vielen Chancen (gut!) gemacht. Und, viel zu viele Gegentore (schlecht!); teils der offensiven Gesamtausrichtung geschuldet, teils durch individuelle Fehler hervorgerufen. Es überwiegt also das Negative und deshalb stehen wir eben auch da wo wir stehen. Es bleibt viel Arbeit für Emmerling und sein Team, allerdings mache ich mir deswegen keine Sorgen. Er ist ein guter Trainer, Fleiß und Akribie sind seine Sache eher als die populistische Geste (wie z.B. ein öffentlich verkündetes Straftraining, oder ähnlicher Blödsinn). Für die Fütterung des Mobs haben wir ja noch den darin bewährten Wilfried Mohren.

Sorgen bereitet mir die Möglichkeit, dass die Resultate auch in den kommenden Spielen nicht stimmen. Oder genauer gesagt, besorgt mich vor allem die Resonanz darauf. Man benötigt nicht viel Phantasie, um sich die Reaktionen (wohl vor allem auf der Haupttribüne) vorstellen zu können, sollte beispielsweise gegen Münster (sprich im nächsten Heimspiel) verloren werden. Ich kann nur hoffen, dass unser gemeinhin so besonnener Präsident dann die Nerven behält. Sicher bin ich mir da nicht.

„Damned United“ von David Peace & der Mythos Brian Clough

Vermutlich gibt es keinen Himmel. Wenn es aber einen gibt, dann wird Brian Clough derzeit stets einen Blick auf die Tabelle der zweiten englischen Liga haben. Fast alle Vereine für die er als Stürmer auflief (251 Tore in 274 Spielen, sic!), oder als Trainer arbeitete sind dort versammelt. Es wird ihm gefallen, dass sein Sohn Nigel als Trainer von Derby County momentan sogar auf einem Play-Off-Platz für die Premier League steht. Aber er wird ihm von da oben auch zurufen, warum zum Teufel er nur Dritter und nicht Erster ist.

Jetzt ist ein Buch in deutscher Übersetzung erschienen, das in England sagenhafte 500.000 Mal verkauft wurde und bei dem sich enthusiastische Zustimmung wie abgrundtiefe Ablehnung in etwa die öffentliche Waage hielten. Es handelt sich um David Peace Roman „Damned United“ (Übersetzung: Thomas Lötz).

Mit einer wertenden Beurteilung des Buches muss man sich nicht lange aufhalten: es ist brillant. Der unglaublichste Roman, der je über Fußball geschrieben wurde, befand der Independent. Vermutlich stimmt das, allerdings ist die Konkurrenz in diesem Wettbewerb überschaubar.

Damned United hat zwei parallele, alternierend angeordnete und jeweils chronologisch verlaufende Handlungen. Beide haben einen Protagonisten: Brian Howard Clough. Das erste Kapitel beginnt mit der Ankunft Brian Cloughs an der Elland Road, dieser legendären Heimstätte des Leeds United Football Club. Es ist der 31.Juli 1974, der erste Arbeitstag des neuen Managers. Leeds United, aktueller englischer Fußballmeister, der beste englische Fußballklub der letzten zehn Jahre. Die Mannschaft Don Revies, der nach verpasster WM-Qualifikation das englische Nationalteam übernommen hatte. Das Buch endet 44 Tage später, mit der Entlassung Brian Cloughs.

Die zweite Handlung setzt 15 Jahre zuvor ein und beschreibt den Weg der Brian Clough zur Elland Road geführt hat: die Jahre als überragender Stürmer der zweiten Liga, das frühe Karriereende als Folge eines brutalen Fouls. Die Zurücksetzungen: nur zweimal für England gespielt, kein Tor geschossen, nie für ein großes Turnier nominiert. Die Anfänge als Trainer von Hartlepool United, die überraschende Chance beim Traditionsverein Derby County. Der zähe Beginn dort, dann der rasante Aufstieg bis hin zum Gewinn der englischen Meisterschaft 1972 und dem Halbfinale des Cups der Landesmeister 1973. Die dauerhaft schwierige Beziehung zu seinem kongenialen Freund und Co-Trainer Peter Taylor. Die dauerhaft ungetrübte Beziehung zum Alkohol.

Das alles ist glänzend komponiert, ohne gekünstelt zu wirken. Peace, zu dessen Lieblingsautoren Heiner Müller und James Ellroy gehören, bedient sich in diesem Buch einer sehr moderaten Variante seines expressiven Stils. Das tut der Lesbarkeit gut und dem Leser wohl. Man kann sich darauf verlassen, dass alle Details, jedes Spielergebnis, jede Tabellenplatzierung, jede öffentliche Äußerung der handelnden Personen belegt sind. Aber es handelt sich um einen Roman, nicht um einen Wikipedia-Artikel. Allen Fakten fügt David Peace Fiktives hinzu. So wird es zu Literatur. Hier indes liegt auch das Risiko des Scheiterns. Nicht eine einzige der vielen Introspektionen die Peace Brian Clough in den Kopf legt, wird genauso gedacht worden sein. Jedoch – alles ist plausibel. So könnte es gewesen sein. All dies könnte Brian Clough tatsächlich gedacht haben. Mehr noch: auch wenn es gar keinen Brian Clough gegeben hätte, kein Leeds United und keine Elland Road, dann wäre dies ein glänzend geschriebener Roman, der eben von Fußball handelt.

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RWE – BURGHAUSEN 3:3

Nur scheinbar eine Spätsommeridylle: Augenblicke später fällt der Anschlusstreffer zum 3:2

Es waren fast siebzig Minuten gespielt, als Weidlich und Rauw an der rechten Außenlinie einen Angriff von Wacker stoppen. Doch statt den Ball in Richtung Marathontor zu entsorgen, versuchten sie mit spielerischen Mitteln den Konter einzuleiten. An sich löblich, aber hier leider die falsche Entscheidung: Rauw passt auf Manno, der legt zurück zu Pfingsten. Die Situation gerät außer Kontrolle, weil Pfingsten unter Druck kommt und einen Fehlpass ins zentrale Mittelfeld spielt. Senesie (im Bild oben noch unbeteiligter Zuschauer) läuft zentral aufs Tor, wird bedient und nutzt seine Chance erstklassig. Für Bertram kaum zu verteidigen, da sein Innenverteidiger-Kollege (Rauw) noch nicht wieder eingerückt ist und der linke Außenverteidiger (Ströhl) sich zu zögerlich in die Mitte orientiert.

Fußball ist ein komplexes Spiel. Taktisch machen die Spieler hier nichts falsch. Durch die extrem offensive Grundkonstellation die Emmerling auf der rechten Seite spielen lässt, muss ein Innenverteidiger (in dem Fall Rauw) herausrücken, um Weidlich zu unterstützen. Manno lässt sich zurückfallen (quasi von Rechtsaußen) um anspielbar zu sein, Pfingsten-Reddig ist sowieso schon zur Stelle, um den Gegenangriff einzuleiten. Alles perfekt, bis der Ball bei einem Burghauser landet.

Fußball ist ein einfaches Spiel. Bei dieser Situation vor dem zweiten Gegentreffer führt der RWE 3:1, es sind noch zwanzig Minuten zu spielen. Bis dahin war es das beste Saisonspiel der Erfurter. Neun Minuten zuvor hatte Manno (nach toller Vorarbeit von Pfingsten und vor allem von Weidlich) ein wunderbares Tor erzielt. Niemand hätte sich beschwert, wenn Weidlich den Ball einfach mal ins Seitenaus drischt. Aber sie alle wollten gute Jungs sein.

Eine Niederlage nach einem schlechten Spiel, bei dem man dem Gegner klar unterlegen war, ist bitter. Ein Unentschieden nach einem wirklich guten Spiel, das man schon zur Halbzeit mit drei zu null im Sack haben muss, ist schlimmer. Mir jedenfalls hat es gestern den Tag versaut.

Ich musste an das unselige 3:4 in Ahlen denken, das uns in der letzten Saison alle Aufstiegshoffnungen und die Teilnahme am DFB-Pokal ruinierte. Auch da hatte der RWE zweimal mit zwei Toren vorne gelegen, um sich – wie die zartfühligen Fußballlehrer von heute so gerne sagen – am Ende nicht selbst zu belohnen. Ich musste an die letzte Regionalliga-Saison denken, als wir 70 Tore erzielten und man mit Kohlmann, Rockenbach, Cinaz, Brückner, Bunjaku und Kumbela Spieler beieinander hatte, mit denen es schwierig war, nicht in die 2.Liga aufzusteigen. Daran, dass das Steigerwald-Stadion insgesamt ein Ort ist, der für dauerhafte Euphorien ungeeignet scheint. Vielleicht gehöre ich deshalb zu denen, die einen Stadionneubau an anderer Stelle bevorzugt hätten.

Genug der düsteren Gedanken. Ein paar Anmerkungen zur Taktik. Emmerling ließ auch gestern ein sehr offensiv angelegtes 4-4-2 System spielen. Bei Angriffen mutierte es sofort zu einem 4-3-3. Wann immer der RWE nach vorn spielte, orientierte sich Manno auf die Linie der beiden anderen Stürmer. Das bot ein hübsch asymmetrisches Bild, weil Caillas auf der linken Seite – eher klassisch – in Höhe der Mittellinie auf die Zuspiele wartete. Trotzdem klappte die Abstimmung mit Weidlich nach hinten über weite Strecken des Spiels gut, weil Manno einen immensen läuferischen Aufwand betrieb, um die Defensive adäquat zu unterstützen. In anderen Situationen rückte ein Innenverteidiger nach außen, um Weidlich zu helfen. Im Vergleich zum Spiel gegen Wiesbaden funktionierte unsere rechte Seite exzellent. Man kann auch schlecht das Tor zum 3:1 toll finden und sich im gleichen Atemzug über Lücken in der Defensive beschweren. Bei vielen Offensivaktionen wird die Reihe der Stürmer durch Zedi komplettiert, der dann zu dem wuchtigen zentralen Angreifer wird, den wir sonst nicht haben.

Emmerling ist seiner Spielidee der letzten Saison treu geblieben: schnelles, vertikales und durchaus riskantes Spiel nach vorn, getragen von Offensivallroundern und situationsbezogen unterstützt vom zentralen Mittelfeld und den beiden Außenverteidigern. Die Variante mit Weidlich und Manno auf der rechten Seite macht das ganze dann noch etwas offensiver als im letzten Jahr.

Der RWE hat es gestern leider verpasst, die etwas langweilige Komfortposition im Mittelfeld zu konsolidieren. Derzeit (und angesichts der beiden Auswärtsspiele) muss man eher nach unten schauen. Trotzdem, die Mannschaft hat ein gutes Potential für die 3.Liga und ist in der Lage gegen jeden zu gewinnen. Sie kann überaus attraktiven Angriffsfußball spielen. Allerdings muss es gelingen, die individuellen Fehler deutlich zu reduzieren. Sonst kann es noch richtig ungemütlich werden. Im deutschen Drittliga-Herbst und darüber hinaus.

REGENSBURG – RWE 2:2 / RANDBEMERKUNGEN

Elfmeter & Rote Karte: Morabit wird von Hofmann gelegt

Nach dreizehn Minuten 0:2 hinten, bis zur Halbzeit den Ausgleich erkämpft, erspielt, erzwungen. In Anbetracht der bisher auswärts gezeigten Leistungen eine mehr als respektable Leistung des RWE. Zum Spielverlauf selbst ist bereits alles gesagt und geschrieben, dabei will ich es belassen.

Ein Wort zu Smail Morabit: Wenn das so weiter geht, werden bereits in der Winterpause die ersten Kaufwilligen am Steinhaus in der Arnstädter Straße vorsprechen. Es gibt faktisch keinen Spielertyp im modernen Fußball der begehrter ist, als ein technisch versierter, torgefährlicher Offensivallrounder. Ist uns mit ihm (ähm, uns meint in dem Fall Stefan Emmerling) tatsächlich ein ähnlicher Coup gelungen, wie seinerzeit bei den Verpflichtungen von Brückner und Bunjaku? Die Älteren werden sich erinnern. Anhängern und Mannschaft des RWE wäre das zu wünschen. Sollte es wirklich Begehrlichkeiten von anderen Clubs geben, wird der Verein dies situationsbezogen entscheiden müssen. Das ist das Schicksal des RWE und daran wird sich auch in Zukunft – vermutlich und leider – wenig ändern.

Auf die spielentscheidende und kontrovers diskutierte Elfmetersituation will ich dann doch kurz eingehen. Verbunden mit einer Kollegenschelte. Es gibt da ja das Webportal „liga3-online.de“. Das kommt dem Namen und der äußeren Anmutung nach sehr neutral daher. Das täuscht und ist pure Scheinobjektivität. Mir ist schon ein paar Mal aufgefallen, dass die Redaktion fast ausschließlich über ihre sogenannten Herzensvereine berichtet und das nicht sonderlich ausgewogen. Der Herzensverein des Redakteurs Tobias Braun ist der SSV Jahn Regenburg. Braun hielt es für nötig, einen seperaten Artikel über die Rote Karte gegen Michael Hofmann zu verfassen. Darin heißt es: „Eine Notbremse war das nicht, denn es standen hinter Hofmann noch zwei (sic!) weitere Jahnspieler, der Routinier war also nicht letzter Mann, was er bei einer Notbremse sein müsste.“ Das ist, mit Verlaub, Bullshit. Zum einen stand, wie jeder oben sehen kann, tatsächlich noch ein Regensburger Spieler hinter Hofmann. Es hätten aber auch drei sein können und es wäre trotzdem nur eins: irrelevant. Es ist eine Fünf-Sekunden-Internet-Mühe, sich der exakten Regel des DFB zu vergewissern. Und die geht so: „Ein Spieler … erhält die Rote Karte und wird des Feldes verwiesen, wenn er eines der folgendes Vergehen begeht: (u.a.) Vereiteln einer offensichtlichen Torchance für einen auf sein Tor zulaufenden Gegenspieler durch ein Vergehen, das mit Freistoß oder Strafstoß zu ahnden ist.“ Morabit umspielt Hofmann, dieser holt ihn von den Beinen  u n d  verhindert damit eine klare Torchance des RWE: Elfmeter und Rote Karte. Aus die Maus.

Klar, man kann über diese amtlich dekretierte Doppelbestrafung geteilter Meinung sein. Der DFB hat zu Anfang diesen Jahres bei der FIFA den Antrag gestellt diese Regel zu ändern. Sprich abzumildern und nur Gelb und Elfmeter als Strafe auszusprechen. Die Begründung von Lutz-Michael Fröhlich: mit dem Elfmeter würde dem Team des Gefoulten die klare Chance quasi zurückgegeben. So kann man das sehen und im vorliegenden Fall wäre es eine stimmige Entscheidung gewesen. Wenn diese Regel in Kraft wäre; was sie nicht ist. Als jemand der über Fußball schreibt, sollte man dies eigentlich wissen. Oder nachschlagen. Oder es eben bleiben lassen. Jedenfalls sollte man nicht mit pseudoobjektiven Nachrichten in dpa-Manier Meinung machen wollen.

Jahn Regensburg – Rot Weiss Erfurt / Vorschau

Jahnstadion, Regensburg

Was haben Schalke 04, der FC St. Pauli und der SSV Jahn Regensburg gemeinsam? Nun, sie sind als Vereine das Resultat der „reinlichen Scheidung“. Einer sportpolitischen Lachnummer der zwanziger Jahre: Die Turnvereine trennten sich von ihren Mannschaftssportabteilungen. Oder so ähnlich. Mehr dazu hier und hier.

Von diesen frühen Turbulenzen zeigt sich der Jahn in dieser Saison glänzend erholt. Wir reisen in die Oberpfalz zum Tabellenführer. In den bisherigen Heimspielen hat Regensburg meist sehr druckvoll begonnen. Darauf muss sich der RWE einstellen. Ihr bestes Saisonspiel absolvierten sie gegen den VfB Stuttgart, die mit einer zwei zu null Niederlage noch prima bedient waren. Die Mannschaft von Markus Weinzierl scheint eine gut dosierte Mischung aus jungen und erfahrenen Spielern zu sein. Nun werden einige vielleicht denken, na ja, die haben ja auch mit Tobias Schweinsteiger einen überragenden Mittelstürmer. Keine Frage, der Bruder des Bayern-Stars ist für Drittliga-Verhältnisse ein richtig guter. Aber er ist ein klassischer Center-Stürmer, er und Marcel Reichwein sind völlig unterschiedliche Stürmertypen. Ein Blick auf die Scorer-Bilanz dieser Saison relativiert die Verhältnisse wieder: Hier steht Schweinsteiger bei sieben Punkten (7 Tore, 0 Vorlagen) und Reichwein bei 5 Punkten (2 Tore, 3 Vorlagen).

Ob sich der Erfolg des ersten Saisonviertels für den Jahn verstetigt wird man sehen, aber – mit einem ähnlich spartanischen Etat wie der RWE ausgestatt – erwartet in Regensburg niemand Wunderdinge.

Wunder, Etat, Erwartungshaltungen. Hier unsere Startformation beim 2:0 Auswärtssieg in Regensburg am 10.04.2010 (also vor etwas mehr als einem Jahr): Orlishausen, Malura, Möckel, Hillebrand, Ströhl, Bölstler, Stenzel, Kammlott, Rockenbach da Silva, Hauswald, Lüttmann

Ein einziger dieser Spieler, nämlich Thomas Ströhl, wird am Sonntag wieder auflaufen. Orlishausen, Malura, Möckel, Bölstler, Rockenbach & Kammlott haben den Verein in Richtung 2.Liga verlassen, oder sind dem großen Geld des Dietrich Mateschitz gefolgt (ich verüble es ihnen nicht). Zwischen diesem Sieg und dem Spiel am Sonntag liegt die sportlich erfolgreichste Saison seit dem Aufstieg in die zweite Liga 2004, und das trotz des Verlustes so vieler Leistungsträger in so kurzer Zeit. Je mehr ich darüber nachdenke: was Stefan Emmerling (er nicht allein, aber an herausragender Stelle) da geleistet hat, kommt einem kleinem Wunder sehr nahe. Diese Leistung, lieber Herr Rombach, hätte – während des Disputs der Woche – ein deutlicheres Bekenntnis zu unserem Cheftrainer verdient gehabt.

Gegen Wiesbaden zeigte unsere Abwehr unübersehbare Schwächen. Die Konstellation Weidlich und Manno auf rechts schien sich in der zweiten Halbzeit stabilisiert zu haben und wenn Danso diesen blöden Fehler vor dem 2:2 nicht macht, hätte man über die anfänglichen Abstimmungsprobleme (offensiv & defensiv) hinwegsehen können. Aber gerade auf der rechten Seite hat der RWE mit Jovanovic und Ofosu-Ayeh noch Alternativen. Vielleicht sehen wir die am Sonntag.

Sein erstes richtig schlechtes Spiel machte Rauw. Bei dem routinierten Belgier rechne ich darauf, dass dies ein Ausrutscher bleibt. Die Mannschaft braucht ihn dringend: seine Übersicht, seine Ruhe am Ball (auch unter Druck – nicht so häufig zu finden in der 3.Liga) und seine gescheite Spieleröffnung.

Für alle Anhänger des RWE hoffe ich, dass Rudolf Zedi bald ein Tor erzielt. Im Grunde macht er nichts anders als letzte Saison (8 Tore): er läuft viel, er ist zweikampfstark und er mutiert zu einem wuchtigen Stürmer wenn es die Offensivkonstellation und die Qualität der Flanke zulassen. Allein: er traf bisher nicht. Wir haben keinen Sturmtank a la Tobias Schweinsteiger. Das Spiel ist strukturell auf ein offensivstarkes Mittelfeld hin konzipiert, damit aber auch auf die Tore der Mittelfeldspieler angewiesen. Natürlich weiß das niemand besser als unser Kapitän, was ihn – mein Eindruck – vielleicht ein bisschen zur sehr unter Druck setzt.

Mach Dich locker Rudi! Und den nächsten einfach rein. Ja, wir Schreibtischtäter haben leicht reden, ich weiß.

Last but not least: ich tippe ein 2:2 und meine hellseherischen Fähigkeiten reichen heute sogar für die Torschützen: Zedi & Morabit.

 

 

RWE – Wiesbaden 2:2 / Dumm, Dümmer, Haupttribüne

Verhöhnt & Bedient: Marcel Reichwein nach seiner Auswechslung  / © mdr

Er saß drei Reihen vor mir, hatte zu viel getrunken und offensichtlich einen miesen Tag. Er schrie mich an: „Das ist die schlechteste Erfurter Mannschaft die ich jemals gesehen habe“. Ich widersprach, woraufhin er noch lauter schrie. Ich begriff zum ersten Mal in meinem Leben den wahren Sinn der Redewendung „Schaum vorm Mund haben“. Zu diesem Zeitpunkt stand es 1:1 gegen den SV Wehen Wiesbaden. Einen Verein, den die meisten Trainer der 3. Liga als ihren persönlichen Aufstiegsfavoriten nannten. Einen Verein, der sich vor der Saison mit Spielern im Marktwert von ca. 3.2 Millionen Euro verstärkt hat. Einen Verein der unbedingt nach oben will und der dazu das nötige Geld hat. Es war gerade das erste Tor gegen uns gefallen. Das erste Gegentor überhaupt – im fünften Heimspiel des RWE in dieser Saison. Es war vollkommen absurd.

Ansonsten: ein munteres Spiel von zwei Mannschaften die ihre Stärke an diesem Abend eher in der Offensive hatten. Das Remis am Ende leistungsgerecht. Die Tore des RWE waren sehenswert: Caillas nutzt einen Stellungsfehler der Wiesbadener abgebrüht zum ersten Tor. Das zweite war das Resultat schnellen one-touch-Fußballs: der sehr agile Morabit vollendet überlegt. Beide Tore hat Marcel Reichwein aufgelegt. Er ist viel gelaufen, wie immer seit er für den RWE spielt. Er ist ein Stürmer den Emmerling stets aufstellt, auch weil er sehr gut nach hinten arbeitet. Gerade bei Standardsituationen des Gegners ist es oft Reichwein der den Ball aus unserem Strafraum klärt. So auch gestern. Aber auch was seinen eigentlichen Job als Stürmer betrifft, läßt sich die Bilanz sehen: in der letzten Saison war er der beste Torschütze des RWE (12 Tore), sowie der beste Scorer (plus 9 Vorlagen). Und auch in der laufenden Saison war er bereits an fünf Toren beteiligt. Ich kann Marcel Reichwein absolut nichts vorwerfen. Ich bin froh, dass er für meinen Verein spielt.

Nicht auf vielen Fußballplätzen dieser Welt wird ein Spieler, der zwei Tore vorbereitet bei seiner Auswechslung brutal verhöhnt. In Erfurt schon. Das ist auch mit einer verqueren Anspruchshaltung nicht wirklich zu erklären. Was da aus den Leuten herausbrach ist der pure Hass: dumm, häßlich, beängstigend. Ich glaube, dass dies rein gar nichts mit Sport, mit Fußball, oder mit der Leistung irgendeines Spieler zu tun hat. Ich glaube, dass hier einfach Menschen – die außer Rand und Band sind und zwar in- und außerhalb eines Stadions – eine Gelegenheit nutzen, ihren Frust in die Welt schreien. Das ist nichts Neues im Fußball, wird woanders aber möglicherweise durch die zivilisierenden Kräfte einer funktionierenden Fankultur gemildert. Leider nicht auf der Erfurter Haupttribüne, hier liegt die Frustrationstoleranz nur Nanometer über der Grasnarbe.

Was ich von Winfried Mohrens „Einwurf“ halte, hatte ich hier bereits geschrieben. Es war klar, dass es irgendwann mal zu einer Gegenreaktion des Trainers kommt. Dafür bot sich Emmerling gestern eine erstklassige, wenn auch unschöne, Gelegenheit und die hat er genutzt. Warum sollten die Schlagzeilen im Land nur Jena vorbehalten bleiben. Im Ernst – hier tut Emmerling den Kolumnen unseres Pressesprechers zuviel der Ehre an. Wenn 30 Leute diesen gestelzten Schrott lesen ist das viel – die Reichwein-Basher von gestern gehören mit Sicherheit nicht dazu. Ich hatte aber auch geschrieben, dass ich – abgesehen von seinen Kolumnen – viel von Mohrens Arbeit halte. Der Kompromiss könnte offensichtlicher nicht sein: Wilfried Mohren macht weiter als Pressesprecher, verzichtet aber in Zukunft auf diese Kolumen, die der Verein so nötig hat, wie die Wüste einen Eimer Sand.

Arminia Bielefeld – Rot-Weiss-Erfurt 0:0/ Keine Analyse

Jetzt finden die Aussprachen bereits während des Spiels statt

Dieses Spiel kann in Zukunft als Synonym für Not gegen Elend gelten. So wirklich viel habe ich allerdings nicht mitbekommen: der Ticker konnte nur eingeschränkt berichten (RWE-Homepage offline) und der Übertragungswagen des WDR war defekt, weswegen es nur einen Minibericht gab (vielleicht hatte der MDR auch keine Lust, mehr von dem Schrott zu zeigen). Aber auch diese zwei Minuten waren eher ereignisarm. Auf Stefan Emmerlings nüchterne Analysen kann man sich eigentlich stets verlassen: „Dies war von all unseren bisherigen Auswärtsspielen unser schwächstes, obwohl wir endlich mal einen Punkt holen konnten. Aber die Offensive hatte wieder nicht ihren besten Tag und unsere Standards kamen nicht. Wenn man sieht, dass Bielefeld zweimal Aluminium trifft haben wir sogar noch Glück gehabt“.

Unser schwächstes Auswärtsspiel! Nach null Punkten und null Toren in den bisherigen drei. Der Rest ist Schweigen.

Am Dienstag kommt Wehen ins Steigerwaldstadion. Das Manchester City der 3.Liga hat heute eher unglücklich gegen Regensburg verloren. Spielerisch sah das nach einer deutlichen Steigerung und teilweise beängstigend gut aus. Danach fahren wir nach Regensburg, die bislang eine sensationelle Saison spielen. Nach der heutigen Leistung sollte man nicht allzu optimistisch für diese beiden richtungsweisenden Spiele sein. Aber, wie die Vergangenheit zeigt, tickt dieser Verein so nicht. Ich tippe auf vier Punkte aus beiden Spielen und richtig guten Fußball des RWE. Immer hübsch antizyklisch. So jedenfalls meine Hoffnung, nach zwei Gläsern Bordeaux.

Arminia Bielefeld vs. RWE / Vorschau

Bei bwin gibt es zwei Euro und achtzig Cent für einen Euro, sollte der RWE am Samstag in Bielefeld gewinnen. Erstaunlich wenig, in Anbetracht der Misslichkeit, dass wir das einzige Team in den drei deutschen Profiligen sind, das nicht einmal ein Tor auf Gegners Platz erzielt hat. In einem Anfall von – wie mir inzwischen scheint – grundlosem Optimismus habe ich heute Morgen dennoch zehn Euro auf die Rot-Weißen gesetzt. Irgendwann muss doch mal ein desorientierter gegnerischer Verteidiger den Ball ins eigene Tor abfälschen. Oder, noch unwahrscheinlicher, einer unserer Stürmer auswärts treffen. Irgendwann.

Personell wird es keine Überraschungen geben: Oumari (wegen Tätlichkeit für vier Spiele gesperrt), wird mit beinahe hundertprozentiger Sicherheit durch Tom Bertram ersetzt. Ansonsten wird Emmerling die selben Zehn auf die Alm schicken, die zuletzt gegen Darmstadt aufgelaufen sind. Es ist zu hoffen, dass Morabit nicht nur ein Spiel lang tanzte und sich nach den (übertrieben) positiven Kritiken des Darmstadt-Spiels schon auf dem Weg zum FC Barcelona wähnt. Dann noch die Sache mit dem Rückstand. Bei den bisherigen Auswärtsspielen konnte man die Uhr stellen: um 15.15 Uhr verkündete der (übrigens exquisite) Liveticker des RWE das Führungstor für die Gastgeber – also gegen uns. Ich habe Vertrauen in die rhetorischen Fähigkeiten von Stefan Emmerling und dass es ihm in den zwei Wochen Spielpause gelungen ist den Jungs zu verklickern: es hat schon Mannschaften in der Geschichte dieses Sports gegeben, die danach nicht wie Elementarteilchen im CERN zerfallen sind. Aber im Grunde ist es ja nur die seit Jahrzehnten währende, chronische Bipolarität dieses Klubs, bestehend aus Heimstärke und notorischer Auswärtsschwäche. Gegenwärtig mal wieder exemplarisch in der Tabelle sichtbar: Erster in der Heimtabelle, Letzter in der Auswärtsbilanz. Ich habe aufgegeben über die Gründe nachzudenken, was bleibt ist Fatalismus.

Zeit für die Statistik. Allein: es gibt keine. Bielefeld gegen Erfurt ist – mangels Masse – ein ungeschriebenes Kapitel deutscher Fußballgeschichte, woraus man schließen könnte, dass beide Vereine nicht eben zu den ganz Großen des deutschen Fußballs gehören.

Ich war acht Jahre, als ich zum ersten Mal von den Ostwestfalen hörte. In der Bundesligakonferenz der ARD tauchte damals ein neuer, magischer Ort auf: die Bielefelder Alm. Auf Jahre hielt ich Bielefeld für einen Verein aus Bayern, bei dem fesche Mädels im Dirndl die Eintrittskarten verkaufen und auf dessen Rasen in der Woche Kühe weiden. Aber noch etwas erregte mein Interesse, der Name: Arminia. Ich fragte meinen Großvater, der mich großväterlich verschwörerisch zur Seite nahm und erklärte, dies sei die weibliche Form von Arminius. Eines deutschen Helden, der im Teuteburger Wald vor langer Zeit die Römer besiegte. Er sagte noch, dass früher auch bei uns Vereine solche Namen trugen, bis – jetzt blickte mein Großvater sehr ernst – die Kommunisten diesen und andere Namen verboten hatten, um den Vereinen die hässlichen Namen ihrer Kombinate (CarlZeiss Jena) und LPGs (Rotes Banner Trinwillershagen) zu geben. Erfurt hätte da noch richtig Glück gehabt, meinte Großvater. Na ja, dann kam der Bundesligaskandal und die ARD schaltete für lange Zeit nicht mehr auf die Bielefelder Alm. Und inzwischen ist es ganz vorbei mit diesem schönen Namen. Ich bin kein großer Romantiker, aber mir bleibt es unbegreiflich wie man gewachsene Traditionsräume (nichts anderes sind Stadien und ihre Namen) derart leichtfertig verscherbeln kann, um ein paar Jahre später doch wieder vor dem Ruin zu stehen.

Genug der Remineszenz: hoffen wir auf den ersten Auswärtssieg des RWE – dann eben in der SchüCo-Arena.

Bodo mit dem Glaskinn

Wäre Bodo Ramelow ein Boxer, man könnte sagen: er hat einen harten Punch, aber auch ein Glaskinn. Vom Punch ist derzeit nicht viel zu merken, vom Glaskinn umso mehr. Der Vorwurf einer TA-Kampagne ist schon deswegen absurd, weil Ramelow ausgiebig Gelegenheit erhält zur Sache zu schreiben. Und zwar nicht irgendwo, sondern gleichumfänglich neben dem Artikel des TA-Chefredakteurs Paul-Josef Raue.

Leider nimmt Bodo Ramelow diese Chance nicht wahr, sondern verschwendet die Geduld seiner Leser mit redundanten Attacken gegen einen obskuren Leserbriefschreiber, dessen Suada für jedes „normal organisierte Gehirn“ (Rudolf Virchow) in toto bedeutungslos ist, weil offensichtlich Hass allein die Feder führte. Die TA hat jedes Recht der Welt eine solche Zuschrift abzudrucken. Ob  sie damit gut beraten war, ist eine andere Frage. Ich denke: eher nicht. Hier sollte Herr Raue darüber nachdenken, ob er es für möglich hält, dass so ein Elaborat (schon in moderaterer Form) in der FAZ erscheinen könnte. Und ebenso darüber, dass die Kriterien einer Qualitätszeitung auch auf der Leserbriefseite nach unten nicht zur Gänze offen sei sein sollten. Keine Frage, hier muss nicht jeder schreiben können wie Thomas Mann, aber pure Bösartigkeit sollte dann auch nicht genügen um gedruckt zu werden.

Noch etwas unverständlicher ist mir Ramelows Angriff auf den TA-Redakteur Martin Debes. Der hatte im Grunde nur seiner Ratlosigkeit darüber Ausdruck verliehen, dass Bodo Ramelow sich einstweilen als Oppositionsführer in Erfurt einrichtet, während vor der Berliner Partei-Zentrale die Macht auf der Straße liegt. Nur will sie niemand, offenbar auch Bodo Ramelow nicht. Dann muss er allerdings damit leben, dass seine Partei – unter den jetzigen, heillos überforderten Vorsitzendendarstellern – von der Antisemitismus-Debatte, über ihre Haltung zur innerdeutschen Grenze bis hin zum Castro-Brief kein Minenfeld auslässt. Artikel wie der von Martin Debes erscheinen täglich zu Hunderten in deutschen Zeitungen, ohne das Politiker darüber in öffentliche Wehklage fallen.

Tja, dann noch das SPIEGEL-Interview. Wer mit dem Teufel essen will, sollte einen langen Löffel mitbringen. Dass Jan Fleischhauer wenig Sympathie für die LINKE erübrigt, konnte man wissen. Darüber hat er ein sehr erfolgreiches Buch geschrieben. Die Redakteure des SPIEGEL sind traditionell nicht zimperlich im Umgang mit Interviewgästen. Tausende Gesprächspartner haben das ertragen. Es ist das historische „Verdienst“ von Bodo Ramelow der Erste zu sein, der ein Interview mit dem SPIEGEL aus Verärgerung über die gestellten Fragen abbricht.

Bodo Ramelow ist ein politisches Talent. Zumindest hielt ich ihn dafür. Das schreibt jemand, der den Linken politisch ablehnend gegenüber steht. Allerdings würde auch ein Fan von Schalke 04 zugeben, dass Mario Götze richtig gut kicken kann. Da unser Land momentan mit politischen Begabungen nicht gesegnet ist, bedauere ich die Selbstdemontage des Bodo Ramelow. Politik lebt von öffentlicher Rede und Gegenrede, von Diskurs, von Streit und ja, auch von der verknappenden Wucht der Polemik. Das schlägt Wunden, tut weh, gehört aber zu einer lebendigen Demokratie.

Wer sich, wie Bodo Ramelow, davon suspendieren möchte und sofort böse Mächte am Werke wähnt, nur weil einem die Meinung eines Journalisten nicht genehm ist, verwirkt einstweilen seine Ansprüche auf die erste politische Reihe.

Wilfried Mohren – der Hegel des Thüringer Beckens

Er hat es wieder getan. Im Stillen hatte ich die Hoffnung, dass er sich in Zukunft auf seinen Job als Pressesprecher beschränken würde. Ich hätte es besser wissen müssen. Wer ihm schon mal persönlich begegnet ist, ahnt schnell, wie tief die Kränkung sein muss, die mit dem Verlust seiner Machtposition beim MDR und der Demütigung vorbestraft zu sein einhergeht. Da wird nichts unversucht gelassen, den Gegenüber von der eigenen Großartigkeit zu überzeugen. Schwadronieren inklusive.

Ich fand es gut, dass Rolf Rombach ihm die Chance als Pressesprecher beim RWE zu arbeiten bot. Und als Pressesprecher finde ich ihn nach wie vor respektabel, er kann eine Pressekonferenz souverän, witzig und verbindlich leiten. An diesem Teil seiner Arbeit habe ich nicht das Mindeste auszusetzen.

Wären da nicht diese Kolumnen, die unter dem Titel „Mohrens Einwurf“ sporadisch auf der Webseite des RWE publiziert werden. Über ihren Inhalt lässt sich streiten, aber das liegt ja im Wesen dieser journalistischen Form. Ich finde es nie besonders sinnvoll, das schlechte Spiel einer Mannschaft einzelnen Spielern anzulasten. Das ist mir zu simpel und zu populistisch. Aber geschenkt, weil Geschmackssache. Bemerkenswert ist „Mohrens Einwurf“ vor allem wegen des Stils. Um es deutlich zu sagen: verquaster kann man über Fußball kaum schreiben.

Hier ein paar Beispiele aus seinem neuesten Erguss: Mohren – Deutsch, Deutsch – Mohren.

Am Saum des gegnerischen Strafraums endete in allen Spielen unsere Kraft, verhauchte jede Idee zur Gänze. Die Quelle aller Bemühungen war praktisch schon versiegt, sobald die Kreidestreifen sichtbar wurden.

So klingt Mohrendeutsch, wenn das Angriffsspiel des RWE kritisiert wird.

Indizien einer höheren Qualität, die wir trotz der Niederlagen in Babelsberg und Stuttgart, oder auch daheim beim 0-0 gegen Osnabrück noch offenbarten, konnten sich in Aalen nicht einmal mehr ansatzweise kristallisieren.

Gemeint ist: die Leistungen der Mannschaft wurden von Spiel zu Spiel schlechter.

Ein Stürmer, quasi wie im fußballerischen Zölibat. Einer, der sogar den erbötigsten Möglichkeiten zu entsagen wußte.

Soll heißen: Marcel Reichwein trifft das Tor nicht (mehr).

Natürlich tat der Junge einem leid, wenn er nach der x-ten vergebenen Chance mit herabhängenden Schultern, fast wie eine der traurigen Figuren des Renaissance-Künstlers Sandro Botticelli wirkend, verloren dastand.

Vorgeblich ist hier ebenfalls Reichwein Subjekt des Satzes. Aber eigentlich will uns Wilfried Mohren aufs Neue mit seiner humanistischen Bildung beeindrucken.

Olivier (Caillas, Ergänzug des Autors), ein Darstellungsvirtuose, den es beständig drängt bis ins Kleinste und Feinste mimisch zu sein  und dem seine Vollkommenheit in diesem Laster inzwischen sogar eine Art zweifelhafte Duldung eingetragen hat, braucht aber den Freiraum, die ganze Linie abzustreifen.

Ich habe nicht die geringste Ahnung was Mohren damit sagen möchte. Soll bei „die ganze Linie abzustreifen“ etwa das Hoeneßsche Verdikt vom „verschnupften Herrn Daum“ subtil anklingen?

An guten Tagen, wenn er nicht wieder zu sehr von einem gelegentlich aufflammenden späten Knabentrotz bemächtigt wird, entströmt dabei oft sehenswerte Ballkunst seinen Beinen …

Mein Lieblingssatz! Wieder zu Caillas. Erinnert mich an Thomas Mann und seine homoerotische Pein, obwohl der Knabe in diesem Fall ein 33-Jähriger Profifußballer ist.

Wenn wir zunächst bei dem Geschehen auf dem Rasen bleiben, so haben mir die Tätlichkeiten von Joan Oumari und Domink Drexler, die dem Schiedsrichter entgangen sind, überhaupt nicht gefallen.  Einem am Boden liegenden Gegner auf den Unterschenkel zu steigen, oder ihm den Ellenbogen in das Gesicht zu rammen, ist absolut nicht akzeptierbar … Wer solche Rohheit auf dem Feld anbietet, muß sich nicht wundern, wenn auch auf den Rängen  die Hemmschwelle für anständiges Benehmen sinkt.

Damit wissen wir jetzt auch wer den Mob angestachelt und die Steigerwald-Riots zu verantworten hat. Im Ernst: Was glaubt Wilfried Mohren eigentlich, wie intakt bei dieser Vergangenheit seine Glaubwürdigkeit als moralisches Gewissen des Vereins ist?

Schlußendlich habe ich mir noch den Spaß gemacht, den Mohrenschen Text einer Stil-Analyse zu unterziehen, dafür bietet sich dieses Hilfsmittel der FAZ an. Ich hätte, ohne zu zögern, kleinere Beträge auf folgendes Resultat gesetzt: Wilfried Mohren schreibt wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Dessen systematische Unverständlichkeit bereits Karl Popper filigran zerlegte und über den Richard David Precht meint: Er war ein lausiger Stilist.

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