Stuttgarter Kickers vs. RWE 0:1 / Der ewige Pfingsten

In der 85. Minute zeigte Schiedsrichter Brand auf den Elfmeterpunkt. Marco Engelhardt nutzte die Gelegenheit, am Spielfeldrand einen Schluck aus der Flasche zu nehmen. RWE-Trainer Kogler forderte ihn auf, schnell auf den Platz zurückzukehren. Engelhardt winkte gelassen ab und ließ seinen Coach wissen: «Geht sowieso mit Anstoß weiter». So geschah es dann auch. Ein größeres Kompliment konnte der an diesem Tag beste Erfurter Spieler seinem coolsten Teamkollegen nicht machen: blindes Vertrauen in dessen Treffsicherheit vom Elfmeterpunkt.

Wenn es darauf ankommt ist er Mr. 100 Prozent

Diesen Optimismus bringt man Nils Pfingsten-Reddig völlig zu Recht entgegen. Seine Quote vom Punkt liegt bei deutlich über 90 Prozent, an sich bereits ein herausragender Wert. Noch beeindruckender ist jedoch, dass seine Bilanz bei spielentscheidenden Elfmetern glatte 100 Prozent beträgt und mithin nur als makellos bezeichnet werden darf. Die beiden Elfmeter die er verschoss, vergab er bei jeweils klaren Führungen des RWE, also in Spielsituationen, in denen es nicht wirklich darauf ankam.

Außer einer einzigen (und sehr erwartbaren) Ausnahme – Czichos für Bergmann -, startete Kogler mit derselben personellen und taktischen Formation wie beim Testspiel gegen den 1. FC Magdeburg. Beide Halbzeiten verliefen in etwa gleich – die Kickers kamen engagiert aus der Kabine, erspielten sich eine Feldüberlegenheit, ohne dabei zu klaren Chancen zu kommen; der RWE stabilisierte sich nach jeweils 10 Minuten und war fortan das leicht bessere Team. Dann leistete sich Gerster fünf Minuten vor Schluss im Strafraum eine Anleihe beim Beachvolleyball, was seiner Mannschaft einen Punkt kosten sollte.

Niemand der noch bei Verstand ist, erwartete von diesem ersten Saisonspiel der Rot-Weißen fußballerische Brillanz. Alles, was man erwarten konnte, haben sie gezeigt: gutes Verhalten in der Defensive, Laufbereitschaft, taktische Disziplin, Konzentration. Spielerisch wird es besser werden, wenn auch in vergleichsweise homöopathischen Dosen, zeitweilige Stagnation und gelegentliche Rückschritte sind dabei hochwahrscheinlich. Umso wichtiger wird sein, dass während dieses «work in progress» Punkte geholt werden. Das würde im Umfeld des Vereins für die nötige Unaufgeregtheit sorgen. Geduld also ist die erste RWE-Fanpflicht in dieser Saison. (Erinnert mich bei Gelegenheit daran.)

Was sonst noch in der Liga geschah

Die meisten Begegnungen bewegten sich ergebnis- und leistungsmäßig im Rahmen des Erwartbaren. Die große Ausnahme, natürlich: Der klare Sieg des VfL Osnabrück in Chemnitz. Dabei war der VfL den Hausherren in quasi alle Belangen deutlich überlegen, sodass man nicht mal behaupten kann, dass dieser Sieg den ein oder anderen Treffer zu hoch ausgefallen wäre. Eher ist das Gegenteil der Fall. Aber, dies war das erste Spiel und es ist mithin zu früh, alle Saisonprognosen bereits jetzt über den Haufen zu werfen. Bemerkenswert fand ich auch den Auftritt von Holstein Kiel in Rostock. Die Kieler sind eine gut eingespielte, taktische versierte, kompakte Mannschaft – schwer zu schlagen. Und eben gar nicht, wenn einem – wie den Rostockern – die dafür notwendigen spielerischen Mittel so völlig abgehen.

Seien wir froh, dass Werder Bremer in den Steigerwald kommt

Ich kann die – von Teilen der Anhängerschaft – vorgetragene Quengelei am Freundschaftsspiel gegen Werder Bremen nicht mal im Ansatz nachvollziehen. Wir haben die Lizenz zwar erhalten, jedoch kann der Verein auch weiterhin jeden verdammten Euro gut gebrauchen. Ebenfalls ist davon auszugehen, dass Walter Kogler ziemlich genau einzuschätzen weiß, wie lange er seine erste Elf – die zwei Tage später gegen den HFC antritt – auf dem Platz belässt. Für die Reservespieler Ergänzungsspieler (DFB-Wohlfühldeutsch) ist es ohnehin eine gute Gelegenheit, sich gegen einen im Wortsinn erstklassigen Kontrahenten zu beweisen. Ich jedenfalls freue mich auf einen hoffentlich stimmungsvollen Fußballabend im Steigerwaldstadion. Und auf diesen Wahnsinnigen, namens Arnautović.

6 comments

  1. Michael sagt:

    ‚Engelhardt winkte gelassen ab und ließ seinen Coach wissen: «Geht sowieso mit Anstoß weiter».‘ War dem wirklich so?
    ‚Ich kann die – von Teilen der Anhängerschaft – vorgetragene Quengelei am Freundschaftsspiel gegen Werder Bremen nicht mal im Ansatz nachvollziehen.‘ Quengelei? Bloß weil man den Zeitpunkt in Frage stellt? Der ist auch für mich unglücklich gewählt und eher kontraproduktiv.

  2. Zu Engelhardt: „Als der Schiedsrichter gepfiffen hat, bin ich direkt zur Außenlinie gelaufen, um etwas zu trinken und mich abzukühlen. Zwar wollte der Trainer mich wieder in die richtige Position schicken, aber ich habe ihm gesagt: Es gibt eh Anstoß.“ So wird Marco Engelhardt heute von der Thüringer Allgemeinen zitiert. Also, ich denke: Ja, es war so.

    Zum Spiel gegen Bremen: Du, ihr, könnt ja Eure Meinung haben. Nur, ich kann sie eben nicht nachvollziehen und gestatte mir eine andere.

    Wo ist der Unterschied zwischen 90 Minuten Trainingsbelastung und 45 oder 60 Minuten in einem Freundschaftsspiel? Was ist dagegen einzuwänden, dass eine signifikante Anzahl von Reservespielern Spielpraxis erhalten – woran es ihnen sonst ermangelt. Und noch was: der Termin wurde nicht „gewählt“, jedenfalls nicht vom RWE. Bremen kommt zu diesem Termin oder halt gar nicht. Um die klammen Kassen des Vereins weißt Du ebenso gut wie ich, weshalb die Einnahmen eben wichtig sind.

  3. Michael sagt:

    Ich gestatte Dir alles. Aber es gleich ‚Quengelei‘ zu nennen finde ich persönlich übertrieben.
    Zwischen einem Freundschaftsspiel gegen einen Erstligisten und Training ist für mich ein gewaltiger Unterschied was die Belastung angeht. Fände es am Dienstag statt würde ich auch nichts sagen, aber am Donnerstag? Und dann nur ein Tag zur Regeneration? Ich persönlich finde das sehr wenig. Das es hoffentlich etwas Geld bringt weiß jeder und das wir es brauchen auch. Sportlich finde ich es trotzdem nicht gut.

    PS: Niemand möchte Dich angreifen. Du gibst Dir immer sehr viel Mühe mit allem und ich lese es auch immer sehr gern. Aber zu jeder Sache gibt es eben auch andere Meinungen.

  4. Hallo Michael,
    wie gesagt, ich habe kein Problem mit anderen Meinungen (werden ja auch alle sofort veröffentlicht) und an dieser Stelle können wir diese konkrete Meinungsdifferenz einfach mal konstatieren. Gibt schlimmeres.

    Ansonsten freue ich mich natürlich, dass Du den Blog regelmäßig liest. Vielen Dank dafür und bleib mir gewogen.

    Gruß,
    Fedor

  5. Papa sagt:

    Wir sind einer Meinung und zwar zu 100pro. Schön geschrieben.

  6. Michael sagt:

    Ich bleibe allen gewogen, die eine eigene Meinung haben und diese in einem ordentlichen Ton vertreten – nicht wahr, Papa? ;o) Mach nur weiter so – ich werde es auch tun. Und nun euch allen einen schönen, sonnigen Tag!

    Gruß Micha

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