Stuttgarter Kickers vs. RWE 0:1 / Der Gott der Kleinigkeiten

Gegen Ende des Spiels brachen der mdr-Livestream und das RWE-Radio erschöpft zusammen. Nur der Liveticker kündete verlässlich zeitnah vom Sieg der Rot-Weißen bei den Stuttgarter Kickers. Einem. Eminent. Wichtigen. Sieg. Nahezu alle Mitkonkurrenten um den Klassenerhalt blieben ohne Punkt, sodass der RWE zum ersten Mal in dieser Saison vier Punkte Abstand zum ersten Abstiegsplatz aufweist. Es war alles in einem – ein glücklicher Sieg und einer der Moral, der Triumph mannschaftlicher Geschlossenheit ebenso wie das Resultat einer individuellen Glanzleistung bei einem Standard.

Oft irrt man sich bei der Interpretation von Startformationen. Das folgende Spiel verläuft dann völlig anders, als die Aufstellung es vermuten lässt. Diesmal nicht. Schwartz hatte Stahlbeton angerührt. Mit Tunjic und Öztürk bot er gerade mal zwei dezidierte Offensivspieler auf, das konnte auch durch den Wechsel von Engelhardt zu Möhwald nicht wirklich kompensiert werden. Die Devise lautete: Safety first. Lieber einen Punkt mitnehmen, als die Heimreise mit völlig leeren Händen anzutreten. Und – womöglich das größte Verdienst von Alois Schwartz seit seinem Amtsantritt – auf diese defensive Kompaktheit ist inzwischen Verlass. Spielt Oumari als horizontal agierender Ballvampir vor der Abwehr, hat jede gegnerische Mannschaft immense Probleme Tormöglichkeiten gegen den RWE herauszuarbeiten. Anzahl Chancen der Kickers vor der Pause: Null. Dann verwechselte Joan Oumari während eines Testosteronflashs das Gazi-Stadion mit den Straßen Berlins. Leider nicht zum ersten Mal. Sein Platzverweis ließ für die 2. Halbzeit nicht Gutes vermuten.

Dass es anders kam, hat mit dem titelgebenden Gott der Kleinigkeiten zu tun. Zunächst nutzte Öztürk eine seiner größten Stärken – er schirmte mit dem Körper den Ball sehr geschickt ab, sein Gegenspieler verlor die Geduld und bedrängte ihn zu sehr. Wingenbach erkannte an der rechten Stuttgarter Strafraumgrenze auf Freistoß. Keine Position, aufgrund der man sich allzu große Sorgen machen müsste. Jedenfalls nicht wegen der möglichen Gefahren eines direkt getretenen Freistoßes, dazu war der Ball einfach nicht mittig genug positioniert. Außerdem ist mir nicht mehr erinnerlich, wann der RWE zuletzt einen Freistoß direkt verwandelt hat. Auch der Stuttgarter Keeper rechnete eher mit einer Hereingabe in den Strafraum; die von ihm gebildete Drei-Mann-Mauer wohl ebenfalls. Jedenfalls sprang sie so halbherzig und unkoordiniert in die Luft, dass der von Pfingsten-Reddig getretene Ball mitten durch sie hindurch den Weg ins Tor fand.

Der Rest war ein substanzraubender, hingebungsvoller und kollektiver Kraftakt der zehn auf dem Platz verbliebenen Rot-Weißen. Doch einer ragte heraus. Das Tempo von Philipp Klewins Entwicklung vom Torwart-Notnagel zum Leistungsträger ist ebenso rasant wie erstaunlich. Erst eine Woche zuvor debütierte er gegen Burghausen, hielt dort mit Glanzparaden den Punkt fest, leistete sich aber einige (folgenlose) Fehler beim Herauslaufen. Am Samstag war von solchen Unsicherheiten nicht das Geringste zu sehen. Alles was auf sein Tor kam, ob Schuss, Kopfball oder Flanke wurde von ihm tadellos verarbeitet. In einem für den Verein hochwichtigen Spiel, zeigte der Neunzehnjährige keine Spur von Nervosität. Großartig. Und die Gelegenheit, auf die gute Arbeit aufmerksam zu machen, die René Twardzik seit Jahren mit den Torleuten leistet.

Jetzt liegen drei Heimspiele vor dem FC Rot-Weiß Erfurt und seinen Fans. Der Frühling kann beginnen – meteorologisch wie fußballerisch. Wir haben in jeder Hinsicht genug gefroren.

7 comments

  1. Ben sagt:

    Nicht das Testosteron war schuld – eher die schauspielerische Leistung des Gegenspielers! Ich finde man kann Oumari in der Situation einfach nichts vorwerfen! Im Fussball gibt es leider zu viele Handlampen – das hat mit „Männer“sport nichts mehr zu tun (auch unsere Mannschaft kann sowas leider auch).
    Deshalb ist aus meiner Sicht der Satz zu Oumari völlig falsch. Er hat in der Vergangheit (auch diese Saison) sicherlich seine Fehltritte gehabt. Aber die Polemik ist an dieser Stelle unangebracht!

  2. Toller Spielbericht. Wer Lust hat, kann auch gern auf meiner Seite noch ein paar geistige Ergüsse lesen. :v

    https://www.facebook.com/pages/DiscoverFitfulde/271226496311413?ref=tn_tnmn

  3. Icke sagt:

    Nicht zu fassen was „Möchtegern-Zidane“ Oumari der Mannschaft in dieser Saison schon für Bärendienste erwiesen hat. Als wenn seine Rot-Sammlung und die folglichen Sperren noch nicht genug wären, kam und kommt noch ein eklatanter Leistungsabfall gegenüber der vorherigen Saison hinzu. Das das nicht (mehr) mit rechten Dingen zugehen kann, sollte langsam jeden klar geworden sein. Die neuerliche Sperre sollte das Signal für seinen neuen „Stammplatz“ sein! Was wir jetzt brauchen sind Spieler vom Geiste eines Philipp Klewin o.ä., denen der Klassenerhalt eine Herzensangelegenheit ist!

  4. „Spielt Oumari als horizontal agierender BALLVAMPIR vor der Abwehr, hat jede gegnerische Mannschaft immense Probleme Tormöglichkeiten gegen den RWE herauszuarbeiten.“
    Also Ballvampir ist ja wohl das Wort des Jahres!

  5. Rene sagt:

    Ströhl beim 3:0 Heimsieg gegen Dynamo Dresden müsste das letzte Freistoßtor erziehlt haben?

  6. Fedor sagt:

    @Rene – Stimmt, da hatte Ströhl einen Freistoß direkt verwandelt. Hatte ich völlig verdrängt. Vielen Dank für den Tipp.

    @Ben – Also grundsätzlich gebe ich Dir ja recht, mir wird auch viel zu schnell nach Roten Karten bzw. Doppelgelb verlangt. Vor allem beim Sky-Chefkommentator Marcel Reif würden manche Spiele mit sechs gegen sechs zu Ende gehen, so niedrieg ist da die Hemmschwelle. Aber in diesem Fall sehe ich es etwas anders. Wir beide hätten Oumari gewiss nicht vom Platz gestellt, aber er muss damit rechnen, dass genau dies passiert, wenn er wie ein wilder Stier (mit den Hörnern vorneg) an den Kickers-Spieler herangeht, diesem die Gelegenheit für seine Einlage gebend. Eine Sekunde davor und eine nach danach weiß er das auch, nur ist ihm just in diesem Moment die Sicherung durchgebrannt.

    @Icke Den „eklatanten Leistungsabfall“ zur Vorsaison vermag ich nicht zu erkennen. Auf der Position vor der Abwehr spielt er sehr gut – diese Entscheidung von Schwartz hat sich ungemein stabilisierend auf die Defensivqualität des RWE-Spiels ausgewirkt. Da ist er auch nicht ohne Weiteres zu ersetzen, wie das misslungene Experiment mit Baumgarten gegen Saarbrücken gezeigt hat. Nur seine Disziplinlosigkeiten sind kolossal nervend.

  7. Ben sagt:

    wie gesagt. Ich find nur die Polemik nicht angebracht. Man muss auf dem Kerl nicht bei jeder Karte rumhacken und es mit seiner Berliner Herkunft begründen. Er muss da nicht so hingehen, andererseits hat er auch einfach nix gemacht!

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