Meine Instinkte scheinen sich nicht mehr vor einem Abstieg des FC Rot-Weiß Erfurt zu fürchten. Anders kann ich mir nicht erklären, warum der wichtige Punktgewinn in Babelsberg bei mir mehr Verdruss als Erleichterung hervorrief. „Sei doch froh, wieder ein Armzug mehr zum rettenden Ufer hin“, warb mein präfrontaler Cortex um Vernunft. Vergeblich – wie so häufig. Ich war enttäuscht und wusste gleichzeitig, dass diese Emotion ungerecht und irgendwie auch blödsinnig war. Ich habe hier ja selbst oft genug geschrieben, dass wir in dieser Saison von der Mannschaft keine fußballerischen Delikatessen zu erwarten haben. Bockwurst statt Foie gras, so lautet nun mal das frugale Menü dieser Spielzeit.
Vielleicht lag es ja auch an der Aufstellung von Alois Schwartz. Meinem Erwarten zuwider verzichtete er auf einen dritten zentralen Mittelfeldspieler. Oumari verblieb in der Innenverteidigung und Kopilas auf der Bank. Die Analyse der Babelsberger Offensiv(un)fähigkeiten erwies sich als richtig. Auch in dieser offensiver angelegten Formation hatte der RWE die Babelsberger Angriffsbemühungen über die gesamte Spielzeit unter Kontrolle. Das Gegentor – nach einem Standard – entkräftet diese Aussage nicht. Nach dem Spiel gegen Aachen war ich zudem zuversichtlich, was eine weitere Steigerung des rot-weißen Offensivspiels betrifft. Dieser Optimismus war unbegründet. Leider. Dabei hätte es gar nicht besser laufen können. Der RWE geht – glücklich – in Führung. Babelsberg darf dieses Spiel nicht verlieren, erhöht in der zweiten Halbzeit den Druck (oder versucht es zumindest), Räume so groß wie das Dekolleté von Barbara Schöneberger tun sich auf und der RWE mach daraus: Nichts! Oder, besser, weil richtiger und fairer: fast nichts. Ein ums andere Mal werden die Konter nur halbherzig oder ungenau (nicht) zu Ende gespielt. Den Beweis zu erbringen, dass Mijo Tunjic kein Konterstürmer ist, dazu hätte es dieses Spiels nicht auch noch bedurft. Allein – Morabit, Möhwald und Öztürk machten es nicht viel besser, gleiches trifft auf die meist nicht wirklich geglückte Spieleröffnung von Engelhardt und Pfingsten-Reddig zu. Völlig konträr verhält es sich mit der Einordnung der defensiven Leistung der gesamten Mannschaft – die war über weite Strecken der Spielzeit erneut tadellos.
Wir werden – sehr wahrscheinlich – auch in der nächsten Saison Drittligafußball in Erfurt sehen, womöglich sogar erleben. Dies verdankt sich in erster Linie einer Entscheidung, die Alois Schwartz relativ schnell nach seiner Verpflichtung getroffen haben muss und die in etwas abgewandelter Form einer alten Sport-Weisheit folgt: Der Angriff gewinnt Spiele, die Defensive vermeidet den Abstieg. In die Umsetzung dieser Erkenntnis hat der Cheftrainer des RWE viel Arbeit investiert. Dazu nur eine Statistik: Nach 14 Spielen der Hinrunde hatte der RWE bereits 27 Gegentore zu verzeichnen, nach ebenso vielen Spielen der Rückrunde sind es ganze 14. Ausschlaggebend dafür sind drei Faktoren:
- Das Defensivverhalten der Mannschaften wurde im Verbund verbessert. Dies betrifft sowohl die Laufbereitschaft der Angreifer als auch deren taktisches Verhalten beim Pressing. Was am Anfang der Saison noch häufig unabgestimmt aussah, wirkt jetzt homogen und ist sehr effektiv. Sobald der RWE in der Hälfte des Gegners aggressiv presst, haben ausnahmslos alle Mannschaften der 3. Liga Probleme einen strukturierten Spielaufbau zu initiieren.
- Vor allem gegen offensivstarke Mannschaften war es sinnvoll, einen dritten zentralen Mittelfeldspieler zu installieren. Diese Position wurde zumeist von Oumari besetzt, der sie in der Regel so ausgestaltete, dass er bei eigenem Spielaufbau deutlich tiefer als Engelhardt und Pfingsten agierte, quasi als deren Absicherung. Sobald der RWE tief in der eigenen Hälfte stand, reiht sich Oumari stabilisierend in die Viererkette ein. Marco Engelhardt interpretierte es ähnlich, vielleicht einen Tick offensiver. Diese Taktik ging nur einmal völlig schief, im verlorenen Heimspiel gegen Saarbrücken, als sich Maik Baumgarten auf der Position (noch) überfordert zeigte.
- Die nach Saisonbeginn getätigten Verpflichtungen von Möckel und Kopilas erwiesen sich schnell als Gewinn. Bei aller – berechtigten – Kritik an der Transferpolitik des Vereins sollte dies nicht unerwähnt bleiben. Beide sind grundsolide Innenverteidiger, die nur wenige Fehler machen und gerade bei hohen Bällen für deutlich mehr Sicherheit sorgen, als dies noch am Anfang der Saison der Fall war.
Die Arbeit von Alois Schwartz sieht man sowohl dem Spiel der Mannschaft als auch der Tabelle an. Viel positiver kann die Bilanz eines Trainers kaum ausfallen, der eine Mannschaft übernommen hat, die desaströs in die Saison gestartet war. Da werde ich damit leben müssen, dass sich mein Unterbewusstsein besseren, schöneren, eleganteren Fußball wünscht. Fuck off, Freud!
Und nun geht’s raus und gewinnt endlich diesen verdammten Pokal.