Sekunden vor der Entscheidung: Nielsen wartet auf Engelhardt © fototifosi.de
Er ist noch nicht fit genug, um 90 Minuten Drittligafußball spielen zu können. Sobald er es aber ist, werden die Anhänger des FC Rot-Weiß Erfurt noch viel Freude an ihm haben. Die Rede ist von Morten Nielsen, dem dänischen Neuzugang. Woher ich das weiß? Nun, ich weiß es natürlich nicht wirklich. Sagen wir, es ist eher so eine Ahnung. Das geht doch jedem zuweilen so; man sieht einen Spieler und denkt sofort: Das passt! Ist aber schon länger her, dass sich bei einem neuen RWE-Spieler diese Ahnung einstellte. Lässt sich in diesem Fall sogar exakt datieren – auf den 12.07.2011, als Smail Morabit im Testspiel gegen Werder Bremen am Steigerwald debütierte.
Mir hat die Vorbereitung des Siegtreffers durch den Dänen sehr imponiert, vor allem wegen der Dinge, die Morten Nielsen nicht tat. Als er den Ball von Morabit in den Fuß gespielt bekommt, wird er nicht hektisch. Er versucht des Weiteren nicht, nach innen zu ziehen und selbst zu schießen, genauso wenig probiert er es mit einem Alibizuspiel auf die beiden im Strafraum befindlichen, jedoch abgedeckten, Mitspieler. Während in der Szene alle anderen beteiligten Spieler nur auf den Ball starren, hat er den Kopf oben, sieht Engelhardt heranstürmen, verzögert kurz und legt das Spielgerät exakt in den Raum des Spielfeldes, der für den VfL in diesem Moment nicht zu verteidigen ist. Marco Engelhardt vollendet mit einem der spektakulärsten Tore der jüngeren Erfurter Fußballgeschichte. Selten war ein Sieg so verdient und zugleich so überlebensnotwendig – wie die Resultate einiger Konkurrenten um den Ligaverbleib zeigen sollten.
Das alles war um 13.59 Uhr nicht absehbar. Zur Liste der langzeitverletzten, rekonvaleszenten und gesperrten RWE-Spieler gesellte sich kurzfristig noch Dominick Drexlers Name. Ich war nicht amused. Alois Schwartz wohl ebenfalls nicht – er war zu massiven personellen Umbauten seiner Startelf gezwungen. Was er nicht veränderte, war die taktische Grundordnung. Engelhardt übernahm die defensive Position im zentralen Mittelfeld von Oumari – der für den gesperrten Kopilas in die Innverteidigung rückte. Neben Pfingsten-Reddig spielte Baumgarten – und der Youngster machte seine Sache ausgesprochen gut. In welche taktische Notation lässt sich die Formation des RWE eigentlich fassen? Nun ja, der eine sagt so, der andere so. Für transfermarkt.de war es ein 4-2-3-1, für den Kicker ein 4-3-3. Der Kicker hat mehr recht. In der offensiven Ordnung ist es eindeutig ein 4-1-4-1. Engelhardt (oder Oumari) spielen absichernd zwischen den zwei Viererketten. Das erlaubt es Nils Pfingsten-Reddig in der Vorwärtsbewegung viel höher zu agieren (quasi als Mischung aus Achter und Zehner), wovon das Angriffspiel des RWE am Samstag ungemein profitierte. Das verlangt unserem Kapitän jedoch einen enormen läuferischen Aufwand ab, da er sich bei Ballverlusten schnell nach hinten orientieren muss. Dann wird aus dem 4-1-4-1 ein System mit drei Sechsern, eben jenes vom Kicker erkannte 4-3-3. Die Taktiknerds sprechen in solchen Fällen von einer Hybridformation. Fußball hat schon lange aufgehört ein einfaches Spiel zu sein.
Nach der frühen Führung des VfL zeigte sich schnell, dass der RWE im Winter 2013 nicht mehr die Mannschaft des ersten Saisondrittels ist. Von Panik und Ratlosigkeit keine Spur. Stattdessen wurde kämpferisch und fußballerisch alles unternommen, um sofort zurück ins Spiel zu finden. Pfingsten-Reddigs Können und Abgebrühtheit bei Elfmetern beginnt, historische Dimensionen anzunehmen. Bei nächster Gelegenheit mache ich mir mal die Arbeit, die besten Trefferquoten im deutschen Profifußball auszurechen – da ist er von der Spitze nicht mehr sehr weit weg, wenn überhaupt. Wie wichtig es ist, Elfmeter zu variieren, vor allem aber konzentriert zu schießen, konnte man sich am Sonntag bei Blaszczykowskis zweitem Elfmeter anschauen. Der verlässt sich immer darauf, dass er den Torhüter «ausguckt». Wenn dies nicht gelingt – und der Torwart in die richtige Ecke springt, dann hält er ihn oft auch, weil die Qualität des Schusses miserabel ist. Ganz anders bei Pfingsten-Reddig: Kein Keeper der Welt hält diesen Ball – scharf, hoch, platziert in die linke Torwartecke. Ein Weltklasse-Strafstoß.
Wenn der VfL Osnabrück gefährlich vor das von Sponsel gut gehütete Tor des RWE kam, dann war fast immer ein Spieler beteiligt, der bis Juni noch im Trikot der Erfurter auflief – wenn er denn mal auflief. Und den man dann sang- und klanglos aus seinem noch laufenden Vertrag gen Osnabrück ziehen ließ. Gaetano Manno wird in dieser Saison bei der Rangliste von kicker.de als notenbester Stürmer (und insgesamt zweitbester Feldspieler) der 3. Liga geführt. Warum das so ist, konnte am Samstag sehen, wer es sehen wollte. Nach der letzten Saison wurden viele Fehler gemacht, einer der größeren war, sich in der Einschätzung der fußballerischen Wertigkeit eines Gaetano Manno grundsätzlich geirrt zu haben.
Die Absenz von Kopilas merkte man nicht nur der RWE-Abwehr an, seine physische Präsenz fehlte auch bei Standards in der gegnerischen Hälfte, die allesamt von der VfL-Abwehr problemlos entsorgt wurden. Oumari agierte ungewohnt fahrig, Möckel solide, leistete sich allerdings einige Fehler im Spielaufbau. Die größte Baustelle der Mannschaft von Alois Schwartz bleibt die rechte defensive Außenbahn. Ofosu-Ayeh wusste zwar durchaus in der Offensive in einigen Szenen zu gefallen, kam mit Manno aber überhaupt nicht klar, was dessen starke Leistung natürlich noch zusätzlich animierte. Czichos spielte unauffällig, was ich als Kompliment verstanden wissen möchte. Thomas Ströhl ist für mich die größte positive Überraschung der bisherigen Saison. Mit seinem Comeback im Profifußball hatte ich nicht mehr gerechnet. Aber, ich bin ja nicht der Vatikan, hier werden Urteile schon mal nach weniger als tausend Jahren revidiert. Schade, dass er nicht wenigstens eine seiner beiden Großchancen nutzen konnte. Bei der Zweiten (nach kluger Vorarbeit Ofosus) sah man allerdings, dass sein rechter Fuß exklusiv dafür gut ist, nicht umzufallen.
Doch dieser Text soll nicht als gebloggte Krümelkackerei enden. Unterm Strich war es ein großartiger Sieg des RWE über einen starken Gegner. Wenn die Mannschaft sich weiter so entwickelt, dann bleibt uns vielleicht doch ein Zittern bis zum Ende erspart. Und dieser Däne, ihr werdet es erleben, wird daran einen erfreulichen Anteil haben.