«Geht der Ball auf die Außen, verschieben sich die beiden Viererketten samt der beiden Stürmer davor durch das Bewegen der Außenspieler zwischen den Linien zu mehreren asymmetrischen Dreierreihen, die ein wahres Netz voller Drei- und Vierecke spinnen. Beeindruckend dabei die Selbstverständlichkeit, mit der diese Formationsverschiebungen so schnell, unkompliziert und fehlerlos ablaufen.» So beschrieb der grandiose Taktikblog spielverlagerung.de Defensivtaktik und -leistung von Borussia Mönchengladbach gegen die Münchner Bayern anlässlich des 3:1 Erfolges zum Rückrundenauftakt. Da man das prägnanter nicht zusammenfassen kann und es auf die Defensivleistung des VfR Aalen übertragbar ist, soll dies am Anfang dieses kurzen Spielberichtes stehen.
Aalen hat am Dienstagabend eine beeindruckende Vorstellung im Steigerwaldstadion geliefert. Auch ohne das völlig unnötige frühe Gegentor wäre ein Punktgewinn gegen das Team von Trainer Ralf Hasenhüttl eine komplizierte Aufgabe für den RWE geworden. Mit diesem Gegentor wurde es eine Mission Impossible. Engelhardt und Caillas standen beim Angriff der Aalener taktisch richtig, der Aalener Angreifer war – wie es sein soll – gedoppelt. Es war eine Situation an der Außenlinie wie sie in jedem Spiel dutzendfach vorkommt und fast immer zugunsten der beiden verteidigenden Spieler ausgeht. Aber beide gingen nicht giftig genug in den Zweikampf: zuerst wurde Caillas überlaufen, dann Engelhardt. Dennoch, den entscheidenden Fehler macht Olivier Caillas – statt sich nach eigenem Zweikampfverlust sofort wieder hinter Engelhardt zu bewegen um zur Stelle zu sein, sollte sein Mitspieler ebenfalls überlaufen werden, trabt er dem Spielgeschehen hinterher und kann nicht mehr eingreifen als der Aalener frei zur Grundlinie durchläuft. Das ist ein Tor bei dem Trainer ausflippen, manchen merkt man das sogleich an (Klopp, Magath), andere – wie Stefan Emmerling – leiden eher innerlich unter solchen Fehlleistungen.
Ganz anders die Aalener. Wie die Gladbacher Borussia gegen die Bayern, gelang es ihnen fast immer Überzahlsituationen bei Ballbesitz des RWE herzustellen. Anders als Engelhardt und Caillas (beim Gegentor) standen sie zudem durchweg eng an ihren Gegenspielern und versuchten diese bereits bei der Ballannahme aggressiv (aber zumeist mit fairen Mitteln) zu stören. Gelang es einem Erfurter Spieler am ersten Aalener vorbei zu kommen, war sofort ein weiterer verteidigender Spieler zu Stelle. Ganz besonderer Aufmerksamkeit «erfreuten» sich Pfingsten-Reddig und Morabit, beide wurden auch schon mal getrippelt um das Aufbauspiel des RWE (Pfingsten) bzw. die strafraumnahe Ballzirkulation (Morabit) zu unterbinden. Daran beteiligt war ausnahmslos die gesamte Mannschaft der Aalener. Der erste Pressingblock wurde durch die Stürmer aufgebaut; gelang es dem RWE eine Reihe zu überwinden verharrten die überspielten Aalener nicht in ihrer Position, sondern versuchten Passwege bzw. Räume aufs Neue zuzustellen. Das war Anschauungsunterricht in Sachen zeitgemäßer Fußballtaktik, ermöglicht durch eine ebenfalls herausragende physische Verfassung der Schwaben.
Die gute Nachricht des Abends: Der RWE erspielte sich trotzdem sehr gute Möglichkeiten und ein Remis wäre durchaus möglich gewesen. Natürlich stehen auf der anderen Seite die Aalener Konterchancen zu Buche, es hätte zur Halbzeit gut und gerne 2:4 stehen können. Das der Sieg der Aalener letztlich verdient war, wird wohl kaum jemand ernsthaft in Abrede stellen.
Für die Anhänger des RWE kein Grund den Kopf hängen zu lassen. Gegen die Mannschaft der Stunde (möglicherweise sogar der Saison) knapp zu verlieren ist keine Schande und am Samstag bietet sich in Wiesbaden die Gelegenheit in der Tabelle wieder Boden gut zu machen. Erinnert sei an Dynamo Dresden, das am 31. Spieltag der letzten Saison gegen den RWE zu Hause überhaupt keine Chance hatte (1:3) und am Ende dennoch aufstieg. Zugegeben – die Wahrscheinlichkeit eines Erfurter Fußballwunders sinkt mit jedem Punktverlust, aber in Anbetracht der großen Ausgeglichenheit der Liga sollte man die Hoffnungen erst aufgeben, wenn der Abstand zum Relegationsplatz deutlichere Dimensionen angenommen hat als das momentan der Fall ist.