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Rot-Weiß Erfurt vs. Elversberg 2:0 / Ich liebe Arbeitssiege

Geduld will bei dem Werke sein, ließ schon Goethe die Nachwelt wissen. Es hätte gestern weit weniger davon benötigt, wenn Schiedsrichter Badstübner dem RWE nach Foul an Öztürk in der ersten Halbzeit einen Elfmeter nicht verweigert hätte. Und damit die Fortsetzung des inzwischen schon legendären Klassikers Oztürk-Foul-Elfmeter-Pfingsten-Tor verhinderte. Oder wenn die Rot-Weißen eine ihrer Chancen, die Größte durch Brandstetter nach tollem Pass von Pfingsten, nutzen. So aber dauerte es 75 Minuten, bis die Elversberger endgültig und spielentscheidend die Übersicht verloren und es für irgendwie überflüssig erachteten, Möhwald beim Freistoß von Pfingsten zu decken. Dieses Führungstor lag von den ersten Minuten an, in der – Wilfried Mohren würde schreiben – bratwurstgeschwängerten Luft des Steigerwaldstadions. Dass Kevin Möhwald es erzielte, hat mich zusätzlich erfreut, weil er aus einer sehr guten Mannschaft noch einen (seinen) schwarzen Haarschopf breit, herausragte. Momentan drängt weniger die Frage, ob Möhwald im zentralen Mittelfeld spielt, sondern wen Kogler neben ihn platziert. Ich stelle es mir nicht vergnügungsteuerpflichtig vor, beispielsweise Pfingsten-Reddig zu erklären, dass er nach einer gleichfalls prima Leistung (mit vielen klugen Pässen) wieder für Engelhardt Platz machen muss. Einerseits. Andererseits sind das genau jene Sorgen, die eine Mannschaft braucht. Allemal besser als langfristig verpachtete Stammplätze. Hatten wir ebenfalls schon, ist gar nicht so lange her. Es sei mal der Name Bernd Rauw exemplarisch genannt.

Stabiles System mit immer größerer Fluidität

Andere wollen in den letzten Spielen ein 4-1-3-2 beim RWE ausgemacht haben, für mich war es in allen bisherigen Spielen, so auch gestern, ein deutlich erkennbares 4-4-2 mit Doppelsechs. Defensiv ohnehin: die beiden Stürmer versuchen den Spielaufbau des Gegners, in der Regel mittels passivem Pressing, zu unterbinden. Hinter ihnen verschieben zwei Viererketten. Situativ (wenn der aufbauende Gegner Probleme mit der Ballkontrolle hat) wird aus dem passiven ein aktives Pressing, die Stürmer und mindestens zwei nachrückende Mittelfeldspieler attackieren aggressiv den Gegner, um einen Ballverlust zu provozieren. In diesen Situationen geht quasi ein Ruck durch die Mannschaft, weil auch die Abwehrkette nach vorne schieben muss, um die Räume im Mittelfeld möglichst klein zu halten, sollte das Pressing fehlschlagen. Insgesamt ist dies, gerade in dieser Liga, ein sehr probates taktisches Rezept, weil die aufbauende Mannschaft auf diese Weise oft zu langen Bällen gezwungen wird.

Eines der gravierenden Defizite eines 4-4-2 (mit Doppelsechs) ist die numerische Unterzahl im offensiven Mittelfeld bei eigenem Spielaufbau. Die wird noch dadurch verstärkt, wenn sich einer der 6er bei der Spieleröffnung auf Höhe der beiden Innenverteidiger fallen lässt. Er kann sich dann nämlich schlecht selbst anspielen. Interessant ist jetzt, dass dies nicht Koglers präferierte Spieleröffnung darstellt. Die beiden 6er postieren sich zunächst relativ hoch und es wird entweder über einen halblangen hohen oder über einen flachen Ball versucht, sie ins Spiel zu bringen. Variante zwei ist, dass das Spiel des RWE über die Außen bis mindestens zur Spielfeldmitte getragen wird. Erst wenn all das keine Option ist, lässt sich einer der 6er nach hinten fallen, um den Spielaufbau zu unterstützen. Maßgabe ist stets, lang und hoch geschlagene Bälle auf die Stürmer zu vermeiden. (Die es natürlich trotzdem gibt, weil auch die anderen Mannschaften aggressiven Druck auszuüben in der Lage sind.)

Im Angriff wird versucht, variabel und somit für den Gegner wenig ausrechenbar zu spielen. Gestern tauschten Göbel und Öztürk manchmal minutenlang die Seiten. Außerdem orientiert sich Göbel ohnehin häufig in den Halbraum auf Öztürks Seite. Diese asynchrone Überladung des linken Flügels soll Öztürks Stärke im Dribbling mittels Überzahl und damit einhergehender Passoptionen zusätzlich aufwerten. Ein Vorbild dafür sind sicherlich die Bayern, die diese Variante mit Ribery und Robben perfekt beherrschen.

Und da wäre noch Mijo Tunjic. Er kann mich noch immer überraschen. Sowieso spielt er auf einem völlig anderen Niveau als in der letzten Saison. Nach eigener Aussage begründet sich das nicht zuletzt mit einer viel besseren Fitness. Aber jetzt fängt er auch noch an die Bälle zu verteilen wie ein Zehner. Kaum Zufall, dass es sein kluger Pass auf Öztürk war, der das Spiel endgültig entschied. Da fiel selbst Brandstetters diesmal eher durchwachsene Leistung kaum negativ ins Gewicht. Für die es sowieso eine plausible Begründung gab – er konnte die Woche über verletzungsbedingt nicht trainieren.

Aus Talenten werden Profis und die Neuen sind ein Gewinn

Nachdem Kevin Möhwald in der letzten Saison Stammspieler wurde, hat zu Beginn der laufenden Spielzeit auch Philipp Klewin diesen Status erreicht. Beide sind inzwischen unangefochtene Leistungsträger. Womit man bei Möhwald rechnen durfte, kommt im Falle unseres Torwarts einer kleinen Sensation gleich. Jeder, der ihn als Jugendspieler sah, wusste, dass dem Verein da ein großes Talent zuwächst. Wie er jedoch nach Sponsels plötzlichem Abgang, mit dem unleugbaren Druck und den großen Erwartungen umgeht plötzlich Stammtorhüter zu sein, davor kann man nur den Hut ziehen. Und es geht weiter. Patrick Göbel stand in den letzten drei Spielen (alle gewonnen) in der Startelf, was an sich bereits darauf hindeutet, dass er seine Sache jeweils recht gut gemacht haben muss. Der Nächste in der Reihe der Eigengewächse, Maik Baumgarten, hat das Pech, dass auf seiner Position im zentralen Mittelfeld Hochkaräter wie Engelhardt, Pfingsten und Möhwald vor ihm rangieren. Trotzdem ist er völlig in den gegenwärtigen Kader eingebunden. Immer wenn Kogler einen Vorsprung absichern will, und das ist erfreulich häufig der Fall, ist er die erste Wahl des Trainers. Kommt ins Spiel und macht abgeklärt seinen Job. Somit haben sich vier der fünf dafür auserkorenen A-Junioren des vorvergangenen Jahrgangs bei den Profis etabliert (nur Tobias Ahrens gelang das nicht). Das ist eine herausragende Quote. Spätestens jetzt ist es hohe Zeit, hier weitere Namen zu nennen. Christian Preußers Berufung zum Co-Trainer war, ist und bleibt ein Segen für diese jungen Spieler. Erkannt zu haben, dass dies auch ein Segen für den Verein Rot-Weiß Erfurt sein kann, ist das Verdienst von Sportvorstand Alfred Hörtnagl.

Das gilt ebenso für die relativ unvermittelten Verpflichtungen von Spielern wie Kreuzer und Wiegel, die beide quasi aus dem Stand Startelf-Format nachgewiesen haben. Beides sind perfekt ausgebildete Spieler (Kreuzer: FC Basel, Wiegel: Schalke 04), beide hatten Berufungen für deutsche Nachwuchsnationalmannschaften und beide sind polyvalent einsetzbar. Soll heißen, sie können ohne Leistungsminderung mehrere Positionen spielen. Klar, muss man ihre weitere Entwicklung abwarten, bevor man ein fundiertes Urteil abgeben kann. Die Idee, die hinter ihrer Verpflichtung steht, finde ich jedoch jetzt bereits bestätigt.

Den Zuschauern wurde gestern kein Spektakel geboten. Das Wort vom Arbeitssieg hatte Konjunktur. Zeit für ein Geständnis: Ich liebe solche Siege. Die eigene Mannschaft ist besser und kontrolliert das Spiel. Spielkontrolle ist für mich beim Fußball das höchste aller Güter. Sie verdeutlicht, dass die Spieler vor allem am Ergebnis orientiert sind und individuelle Interessen zurückstellen. Anders ist sie nicht zu haben. Ich will keinen Zirkus sehen, ich will, dass meine Mannschaft gewinnt. Walter Koglers Team beweist gerade, dass Ergebnisorientierung und ansehnlicher Fußball miteinander gut zu vereinbaren sind, selbst mit den Mitteln des FC Rot-Weiß Erfurt. Dafür haben alle Mitwirkenden meinen Respekt.

PS: Anderes Thema. Die neueste Ausgabe von Ostderby – Magazin für den Fußballosten ist erschienen und kann hier erworben werden. Ich bin mit einer Buchbesprechung vertreten und habe gemeinsam mit Michael Kummer ein Interview mit zwei ausgewiesenen Kennern der überaus turbulenten Leipziger Fußballszene geführt. Das sind aber nur zwei von vielen interessanten Beiträgen.

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