Nein, ein Pfeifkonzert habe ich am Ende des Spiels nicht vernommen. Anschwellenden Unmut schon. Vereinzelte Pfiffe. Zu denen kann ich nur feststellen: Das ist ein freies Land, jeder darf sich nach seiner Fasson blamieren.
Es war das erste Heimspiel der Saison, wir haben es nicht verloren, einen Punkt verbucht. Das Spiel der Mannschaft bot durchaus Anlass zu Besorgnis und Kritik. Pfiffe halte ich jedoch für absurd. Hier einige lose Gedanken zum Spiel:
Im Stadion und in den Foren angeregt diskutiert (bzw. kritisiert) wurde die Leistung der beiden offensiven Außenspieler Eichmeier und Bichler. Fakt ist, dass wir auf diesen Positionen Qualität verloren haben. Andreas Wiegel hat zwar eine sehr gemischte Saison abgeliefert, gehört aber generell einer inzwischen raren Spezies an. Ein «richtiger» Außenstürmer, robust, dribbel- und tempostark, dem mehrere Optionen zu Gebote stehen. Er kann sowohl zur Grundlinie starten und flanken als auch zentral abschließen. Weshalb er auch kein Problem hatte, von einem Zweitligisten verpflichtet zu werden. Auf der linken Seite spielte in der vergangenen Saison oft Okan Aydin. Der ist ein komplett anderer Spielertyp, überdies kein Linksfuß, mithin ein sogenannter inverser Winger. Er zog meist von der linken Seite ins Angriffszentrum. Nach Möhwalds Weggang soll er nun dessen Rolle im zentralen offensiven Mittelfeld übernehmen. Beide Positionen mussten also neu vergeben werden. Einen Spieler wie Wiegel haben wir nicht mehr im Kader, demzufolge ist auch die Option der Tempodribblings obsolet. Dies bedeutet, dass quasi alle Angriffe auf den Flügeln durch Passspiel erzeugt werden müssen. Da man Pässe in der Regel nicht mit sich selbst spielt, bedarf dies der Unterstützung der Mitspieler. Wobei es dabei – wenn man auf einen Gegner in der defensiven Grundordnung trifft – meist nicht ausreicht, wenn der Außenverteidiger nachrückt. Da man für Raumgewinn Überzahl erzeugen sollte, ist es notwendig, dass entweder einer der Sechser sich am Flügelspiel beteiligt oder der ballferne offensive Außenspieler ebenfalls auf diese Seite wechselt. Terminus technicus: Überladen einer Angriffsseite. Das klingt nicht nur einigermaßen komplex, das ist es tatsächlich auch. Vor allem weil bei allem Angriffsdrang beachtet werden sollte, dass man bei einem Ballverlust (plus fehlgeschlagenem Gegenpressing) nicht völlig ohne defensive Absicherung bleiben darf. Beim Überladen einer Seite durch den zweiten Außen geht zudem die Option einer Spielverlagerung auf die andere Seite verloren, weshalb man diese Variante ziemlich selten sieht. Dem Spiel kommt schlichtweg Breite abhanden.
Intensiv diskutiert wird auch die Zwei-Stürmer-Problematik. Oder besser, das angebliche Fehlen eines zweiten Stürmers. Ein Evergreen in Erfurt. Hierzu ist festzustellen, dass so gut wie keine Mannschaft mehr mit zwei «klassischen» Strafraumstürmern agiert. Das ist irgendwann Mitte der Nullerjahre aus dem Repertoire verschwunden. Sogar Mannschaften, die nominell ein 4-4-2 aufbieten, wie zum Beispiel Favres Gladbacher der vergangenen Saison, spielen dieses System sogar ohne «echten, richtigen» Mittelstürmer. Sowohl Kruse als auch Raffael sind quasi freie Radikale. Sie ziehen sich teilweise bis an die Mittellinie zurück, um bereits beim Aufbau eines Angriffs in die Ballzirkulation eingebunden werden zu können. Selbst wenn Preußer Kammlott und Uzan gemeinsam spielen ließe, müssten beide gestaffelt agieren und sich in rückwärtige Räume fallen lassen, um angespielt werden zu können. Soll heißen: Das Spiel sehe keinen Jota anders aus, nur weil der eine (Aydin) als offensiver Mittelfeldspieler und der andere (Uzan) als Stürmer bei transfermarkt.de firmiert. Zurzeit hat – aus Sicht des Trainers – Aydin auf dieser Position Vorteile. Diese Sicht kann sich ändern.
Es existiert eine Korrelation von exakt 0,0 zwischen der Anzahl der nominellen Stürmer und der Qualität des Offensivspiels einer Mannschaft.
Insgesamt fand ich das Spiel der Rot-Weißen so miserabel nicht. Ich will aber auch nicht zwingend unterhalten werden, wenn ich ins Stadion (oder dem was von ihm übrig ist) gehe. Die Mannschaft erspielte sich in der zweiten Hälfte der 1. Halbzeit deutliche Vorteile und Chancen, die leider – wie bereits in Magdeburg – ungenutzt blieben. Dann wurde Wiesbaden besser, Erfurt kam mit der (notwendigen) taktischen Umstellung nach der Roten Karte nicht zurecht. Mut macht auf jeden Fall die Qualität der Defensivarbeit – aus dem Spiel heraus wurde sehr wenig zugelassen und bei den wenigen Standards der Wiesbadener war man konzentriert.
Daran lässt sich anknüpfen. Aber das allein wird in Dresden nicht genügen. Um dort zu bestehen, braucht es zwingend eine Steigerung im Angriffsspiel, und zwar in allen Punkten: Abstimmung, Passgenauigkeit, Effizienz. Es liegt viel Arbeit vor Christian Preußer und seinen Spielern.