Hier zu eigensinnig: Drexler übersieht Tunjic / Quelle und alle Rechte: www.fototifosi.de
Es ist nie eine besonders kluge Idee, eigene Niederlagen an der Schiedsrichterleistung festzumachen. Man kann das Resultat ohnehin nicht mehr revidieren, vor allem aber lenkt es von eigenen Fehlern ab. Und auf die sollte sich konzentrieren, wer im nächsten Spiel mehr Erfolg haben will.
Wie die Preisboxer: mit offenem Visier
Beide Mannschaften begannen das Spiel wie zwei in die Jahre gekommene Rummelboxer: Mit heruntergelassener Deckung – im Vertrauen darauf, dass der eigene Punch stärker ist als der des Gegners. Im Resultat erlebten wir ein Drittligaspiel mit einer großen Anzahl Tormöglichkeiten auf beiden Seiten. Wobei vor allem Morabit, Drexler und Möhwald (mit einigen großartigen Pässen und Flanken) dafür sorgten, dass der RWE eine Stunde lange die gefährlichere Mannschaft war. Drexler hatte in den letzten Spielen der Vorsaison fast alles verwandelt, was ihm vor die Füße fiel; dazu benötigt man auch ein wenig Glück. Glück, das ihm an diesem Samstagnachmittag in Wiesbaden in einigen Szenen fehlte. Tunjic – das war schon gegen den BVB zu sehen – benötigt weiterhin Spielpraxis unter Wettkampfbedingungen, um sich in das Angriffspiel des RWE einzufügen. Es sei daran erinnert, dass Reichwein erst im fünften Ligaspiel sein erstes Tor erzielte. Öztürk wirkt nicht völlig austrainiert, aber wenn die äußere Anmutung das alleinige Kriterium wäre, dann hätte es Ailton niemals auch nur in die Nähe eines Bundesligastadions schaffen dürfen. Soll heißen: auch ihm muss fairerweise noch Zeit eingeräumt werden, bevor man sich ein Urteil über sein Potenzial erlauben sollte. An Engagement, Laufbereitschaft, etc. fehlte es beiden nicht.
Naives Abwehrverhalten ermöglichte Wiesbaden viele Chancen
Konstatieren wir also eine gute Leistung des RWE in der Offensive. Natürlich hätte die Mannschaft – aufgrund der zahlreich herausgespielten Chancen – dieses Spiel gewinnen können. Wohlgemerkt: können, keinesfalls müssen. Dazu war die Abwehrleistung des Teams zu schlecht, weshalb Wiesbaden bereits in der 1. Halbzeit zu einigen hochkarätigen Chancen kam. Viele dieser Möglichkeiten kamen verblüffend (und beängstigend) einfach zustande: Ein Ball wird aus dem zentralen Mittelfeld auf einen der Flügel gespielt (teilweise durch einen simplen Flachpass, weil die Passwege offen sind), dort befindet sich der RWE-Außenverteidiger in einer für ihn schwierig zu verteidigenden Eins-gegen-Eins-Situation. Da die offensiven Außenbahnspieler gefühlte Lichtjahre vom Spielgeschehen entfernt sind, entschließt sich ein Innenverteidiger zu helfen. Das ist im Grunde richtig, aber nur dann, wenn beide der folgenden Bedingungen erfüllt sind: Er kann mit hoher Wahrscheinlichkeit die Eingabe nach innen verhindern und er muss sicher sein, dass Mitspieler seine Aufgabe in der Abwehrzentrale übernehmen; sprich Zugriff auf die nachrückenden gegnerischen Angreifer haben. Fast lehrbuchhaft schief geht das bei einer Situation in der ersten Halbzeit, die Sponsel gerade noch so mit einem großartigen Reflex auf der Linie klären kann. Da es diesen Spiel- und Chancenaufbau des SVWW häufiger gab, muss man leider davon sprechen, dass in diesem ersten Saisonspiel die Balance zwischen Offensiv- und Defensivverhalten grundsätzlich unausgewogen war. Auch wenn (oder besser: gerade weil) Drexler und Möhwald ihre Stärken in der Offensive haben, müssen sie bereit und in der Lage sein, sich bei Ballverlusten sofort aggressiv nach hinten zu bewegen.
Jede Bezirksligamannschaft weiß: Die Mauer muss hochspringen
Leider war dies nicht alles, was es zu beanstanden gab. Das Verhalten bei Standards bildet anscheinend ein saisonübergreifendes Dilemma. Diesmal kam noch eine weitere Spezialdisziplin hinzu: der direkte Freistoß. Zlatko Janjic ist Rechtsfuß. Er war der einzige Spieler des SVWW der sich zur Ausführung des Freistoßes aufstellte. Position des Balles und die Rechtsfüßigkeit des Ausführenden ließen es sehr wahrscheinlich werden, dass er den Ball direkt aufs Tor schießen würde – über die Mauer, in die vom Torwart entfernte Ecke. So kam es dann auch. Hier stellen sich jetzt zwei Fragen: Warum stehen in unserer Mauer nicht ausschließlich großgewachsene Spieler? Und zweitens: Egal wie groß die Spieler sind, warum unternehmen sie nicht einmal den Versuch, durch Hochspringen den Ball zu erwischen? Fußballspiele werden um so eher durch Kleinigkeiten entschieden, je ebenbürtiger sich die Kontrahenten sind. Jedes Detail spielt eine Rolle. Nicht alle können zu jedem Zeitpunkt kontrolliert oder gar beeinflusst werden, bei Standards ist genau das aber der Fall: Hier kann ich mein eigenes Verhalten zu 100 Prozent steuern. Deshalb ist es unbegreiflich, wie es zu so einem Dilettantismus kommen konnte. Mein Gott: Die Mauer jeder Bezirksligamannschaft springt bei einem direkten Freistoß hoch.
Der RWE hat im letzten Jahr zweimal von einer „Doppelbestrafung“ profitiert
Last but least – ein Wort zum Elfmeter. Der RWE hat von ähnlichen Situationen in der letzten Saison zweimal profitiert. In Regensburg (nach einem Foul an Morabit) und in Chemnitz (nach einem Foul an Drexler). Selbst der DFB ist unglücklich mit dieser Doppelbestrafung, muss sich aber an die Regeln der FIFA halten. Gleiches gilt natürlich ebenfalls für den Schiedsrichter auf dem Platz. Wenn man sich die Szene ein paar Mal anschaut, wird deutlich, dass Oumari den Ball auch ohne Foul hätte bekommen können. Allerdings rutscht er ihm durch. Kann passieren – ist jetzt aber nicht direkt die Schuld des Schiedsrichters. Der bewertet alles Folgende völlig korrekt und im Einklang mit den Regeln seines Verbandes.
Im Übrigen wollen wir hoffen, dass es bei den bereits jetzt bekannten Konsequenzen dieses Spiels bleibt und Rolf Töpperwien ein paar Bier zu viel hatte, als er das zu sehen glaubte.
Jetzt kommt unter der Woche West Ham United – und das ist gut so. Eine weitere Möglichkeit die Mannschaft gegen sehr ernsthafte Konkurrenz weiter voran zu bringen. Da Morabit geschont werden soll, habe ich einen Vorschlag für die Aufstellung: Drexler spielt hinter Tunjic in der Angriffsmitte, dafür bekommt Göbel auf der linken Seite mal eine seriöse Chance von Anfang an. Außerdem könnte Emmerling die Gelegenheit nutzen und Jovanovic auf der rechten Abwehrseite testen, hier herrscht nach der Roten Karte für Oumari ohnehin Handlungsbedarf, da Rauw und Bertram im Spiel gegen Heidenheim die Innenverteidigung bilden werden.
„Den muss man nicht geben, aber ich habe mich auch nicht dagegen gewehrt“, kommentierte der dreifache Torschütze später schmunzelnd den Pfiff des Unparteiischen, …