Tag Archiv für Brandstetter

Rot-Weiß Erfurt vs. Burghausen 1:1 / Ich. Bin. Nicht. Enttäuscht.

Die Erwartungshaltung um den wichtigsten Fußballklub der Thüringer Landeshauptstadt treibt zuweilen bizarre Blüten. Da schreibt einer bei Facebook (abgedruckt in der TA): «Landeshauptstadt gegen Dorf, es ist eine Schande.» Das würde als singulärer Blödsinn hier unerwähnt bleiben, wenn es nicht (zumindest teilweise) den Tenor der Meinungsbildung nach dem Spiel am Samstag wiedergeben würde. Der große FC Rot-Weiß Erfurt, Tabellendritter, ist nicht in der Lage, das kleine Wacker Burghausen, Tabellenletzter, aus dem Steigerwaldstadion zu schießen. Nun, die Wirklichkeit sieht etwas anders aus. Burghausen war in den letzten beiden Spielzeiten Sechster und Achter der Abschlusstabelle und ist mithin eine etablierte Größe in der dritten deutschen Profiliga. Beide Teams mussten vor der Saison Leistungsträger abgeben und ihren Etat deutlich reduzieren. Der RWE kam deutlich besser aus dem Saison-Startblock, da aber gerade einmal zehn Prozent der Spiele absolviert sind, handelt es sich nicht um einen Sprint, sondern um ein Langstreckenrennen, bei dem die Platzierung nach 400 Metern ja auch nicht mehr als einen Fingerzeig auf das finale Resultat liefert. Zudem hatte sich Burghausen in den ersten drei Saisonspielen schrittweise gesteigert, gegen Leipzig verlor man nur recht unglücklich in der Nachspielzeit. Es gibt keinen Grund dieses Unentschieden gleich wieder als Riesen-Enttäuschung rhetorisch in Szene zu setzen. Nach der Wolke 7 des Saisonstarts herrscht jetzt Liga-Alltag. So what?

Tunjic fehlte an allen Ecken und Enden

Walter Kogler gab Morten Nielsen eine Chance in der Startelf. Er ersetzte den rot-gesperrten Mijo Tunjic und konnte in dieser Rolle nicht überzeugen. Ich kann nicht wirklich beurteilen, ob Nielsen mit dieser Leistung bereits sein Potenzial erschöpft hat, denke aber, dass dies nicht der Fall ist. Zu seinen Gunsten sollte berücksichtigt werden, dass das sein erster Startelf-Einsatz seit Monaten war und er von Verletzungen immer wieder an einem stringenten Formaufbau gehindert wurde. Es wäre übertrieben zu behaupten, dass sich die beiden Buddys Brandstetter und Tunjic inzwischen blind verstehen, aber ihr Spiel wirkte schon ziemlich passabel aufeinander abgestimmt. Das konnte man vom Sturmduo Nielsen-Brandstetter kaum erwarten und dementsprechend sah das dann auch aus. Jedoch bot Brandstetter alles andere als eine schlechte Partie und auch Öztürk zeigt sich in der ersten Halbzeit gewohnt quirlig und für seine Gegenspieler schlecht ausrechenbar. Beide tendierten jedoch dazu, den Ball zu lange zu halten, was einige im Ansatz Erfolg versprechende Angriffe des RWE jäh und unnötig beendete. Aber, neben seiner offensiven Durchschlagskraft gingen dem Spiel der Rot-Weißen auch Tunjics Fleiß und Geschick beim Stören gegnerischer Angriffe ab. Bei einer 4-4-2-Formation ist eine unerlässliche Grundbedingung, dass die beiden Angreifer in der Lage sind, die zahlenmäßige Unterlegenheit des eigenen Mittelfelds gegen ein 4-2-3-1 des Gegners zu neutralisieren. Das gelang mit zunehmender Spieldauer immer weniger und sorgte dafür, dass die überdies ballsicheren Burghäuser in der entscheidenden Zone des Platzes die Hoheit über das Geschehen errangen. Nur gut, dass sie nicht in der Lage waren, diese Mittelfelddominanz mit besseren Zuspielen in die Spitze noch gefährlicher für die Abwehr des RWE werden zu lassen, als dies ohnehin schon der Fall war.

Das war kein gutes Spiel des FC Rot-Weiß Erfurt, jeder weiß das, weil jeder es sehen konnte. Es war ein völlig normales Spiel einer Liga, in der sich die Qualität der eingesetzten Spieler nur vergleichsweise wenig unterscheidet und es somit von Kleinigkeiten abhängig ist, ob ich ein Spiel gewinne oder verliere. Und der Gott der kleinen Dinge entschied sich an diesem Samstag eben für ein völlig leistungsgerechtes Unentschieden.

RB Leipzig ist keine Übermannschaft

Unser nächster Gegner ist – wie der RWE – nach vier Spielen noch ohne Niederlage, hat aber – anders als der RWE – zu Hause noch nicht gewonnen, was doch so ein bisschen die Stimmung eintrübt. Diese statistische Gemengelage entspricht im Großen und Ganzen dem Eindruck, den ich vom Spiel des Aufsteigers habe: Taktisch sehr diszipliniert, mithin schwer zu besiegen. Fußballerisch aber erstaunlich selten in der Lage Druck auf gut abgestimmt verteidigende und körperlich robuste Gegner auszuüben. Was manchmal nicht so ins Gewicht fällt, da sie mit Daniel Frahn einen Stürmer besitzen, der Spiele über brillante Einzelaktionen entscheiden kann. Auffällig ist, dass relativ häufig lange Bälle auf die Angreifer gespielt werden. Und, dass im Mittelfeld viele sogenannte «zweite Bälle» gewonnen werden. Das verleiht dem Spiel von RB Konstanz sieht aber selten gefällig aus. Ein großes Manko von RB ist die Anfälligkeit bei gegnerischen Standards. Dazu muss man aber a.) erst mal welche in Tornähe bekommen und b.) selbst eine gewisse Überlegenheit in dieser Disziplin vorweisen.

Mit Öztürk, Brandstetter und Tunjic fehlen dem RWE in Leipzig seine drei gefährlichsten Offensivakteure. Das ist unerfreulich. Wir sollten trotzdem guten Mutes nach Leipzig fahren. Gestern hat Duisburg bewiesen, dass dort nicht exklusiv für Spitzenteams wie Münster etwas zu holen ist. In Anbetracht des Komplettausfalls unseres Sturms wird es gravierende Änderungen in der RWE-Formation geben müssen. Es könnte sein, dass wir zum ersten Mal in dieser Saison ein System mit nur einem nominellen Stürmer sehen werden. Ich denke, dass Strangl und Göbel recht gute Chancen für die Startelf haben, mir persönlich würde allerdings auch die Variante Engelhardt und Baumgarten auf den Sechserpositionen und Pfingsten zentral im offensiven Mittelfeld davor plausibel erscheinen. Wer der (möglicherweise) einzige Stürmer sein wird, ist derzeit völlig offen. Was mich für Stolze einnimmt, ist seine Schnelligkeit und seine Aggressivität beim Anlaufen des ballführenden Aufbauspielers der gegnerischen Mannschaft.

Münster vs. Rot-Weiß Erfurt 3:3 / Kein Preußen-Monster

Es herrschte Enttäuschung im Lager der Rot-Weißen, nach einem Punktgewinn bei einer der spielstärksten Mannschaften der 3. Liga. Muss man mehr über den Verlauf dieses Spiels und der bisherigen Saison sagen? Man muss nicht, aber man kann.

Die Abwehr funktioniert

Die Innenverteidiger Laurito und Kleineheismann erfüllen alle Hoffnungen, die der Verein bei ihrer Verpflichtung in sie setzte. Bis auf den Stellungsfehler Lauritos vor dem 1:1 blieben sie erneut fehlerlos. Die Ruhe seiner Vorderleute wirkt sich offensichtlich positiv auf Philipp Klewin aus, es ist nichts mehr zu spüren von der rätselhaften Unruhe, die seinen Aktionen bei dem ein oder anderen Vorbereitungsspiel innewohnte. Außenverteidiger haben es schwer, wenn der Gegner Preußen Münster heißt. Wie vielleicht kein anderes Team der Liga versteht es Dotchevs Elf, enge Spielsituationen im Mittelfeldzentrum durch Spielverlagerungen auf die Flügel aufzulösen. Piossek und Grote sind schnell, technisch stark und halten permanent die Außenpositionen. Im Angesicht dieser großen Stärke der Münsteraner haben Czichos und Odak keinen schlechten Job gemacht, zumal sie nicht durchweg optimal von den beiden offensiven Außenbahnspielern unterstützt wurden, was Czichos einmal auch sehr lautstark in Richtung Öztürk kundtat.

Kuriose Tore & ein merkwürdiger Spielverlauf

Brandstetter eröffnete das Spektakel mit einer äußerst dynamischen Aktion. Bunjaku und (an guten Tagen) Semmer hießen die letzten Stürmer des RWE, die in der Lage waren so ein Tor zu erzielen. Unmittelbar danach offenbarte der Portugiese Amaury Bischoff warum man ihn zu den besten Spielern der 3. Liga zählt. Er steht jetzt bei 27 Torbeteiligungen in 37 Ligaspielen für Münster. Ein sagenhafter Wert für einen zentralen Mittelfeldspieler. Nach dem Ausgleich drängte Preußen auf die Führung, konnte sich auch eine deutliche Feldüberlegenheit erspielen, kam jedoch nur zu einigen Halbchancen, die sie entweder leichtfertig vergaben oder die von Klewin routiniert abgewehrt wurden.  Das lag vor allem daran, dass Taylor überhaupt nicht ins Spiel fand und Kara kollektiv gut abgeschirmt wurde. Damit war eine wichtige Achse des Münsteraner Spiels neutralisiert.

Nach der Pause gestaltete sich das Spiel wieder offener, der RWE stand nicht mehr so tief wie zu Ende der 1. Halbzeit. Und endlich wurde Tunjics Unermüdlichkeit beim Anlaufen des gegnerischen Torhüters einmal belohnt. Von diesem Tor wird Masuch seinen Enkeln bestimmt kein Wort erzählen.

Was danach folgte, war die stärkste Phase einer Erfurter Mannschaft seit dem grandiosen 3:1-Auswärtssieg in Dresden (Rückserie der Saison 10/11). Münster verfiel in eine Art nudistischer Schockstarre, entblößte die Abwehr und erlaubte dem RWE, Möglichkeit um Möglichkeit zu vergeigen. Daran änderte sich seltsamerweise auch nach dem Feldverweis für Tunjic rein gar nichts. Bis Sebastian Stolze eingewechselt wurde und tat, war er bei den A- und B-Junioren serienweise getan hatte: Großchancen in Zählbares zu veredeln.

Nun schien alles gelaufen. Niemandem drängte sich der Eindruck auf, dass Münster in der Lage sei, noch zwei Tore zu erzielen. Bis Gaetano Manno, der größte Vertragsdesperado der jüngeren deutschen Fußballgeschichte, einen dieser genialischen Manno-Momente hatte und den Ball ebenso überraschend wie unhaltbar in den Winkel zauberte. Zum Elfmeter, der für den Ausgleich sorgte, kann ich nichts sagen. Je öfter ich mir die Szene ansehe, desto weniger vermag ich zu erkennen, ob es ein Foul war und ob die Szene in oder außerhalb des Strafraums stattfand.

Anders verhält es sich bei dem bösartigen Tritt von Grote an den Kopf des am Boden liegenden Möhwald. Das war – ebenso wie die Aktion von Tunjic – eine klare Rote Karte.*

Livestream des WDR technisch wie journalistisch wohltuend

Wegen mir könnte der Westdeutsche Rundfunk alle Spiele des RWE übertragen. Zum einen sah man einen deutlichen Unterschied bei der Bildqualität. Kam einem glatt wie HD vor im Vergleich zu den verpixelten, manchmal an Atari-Spiele gemahnenden und immer mal wieder stockenden Streams des mdr. Zum anderen, und eigentlich noch wichtiger, war der WDR-Kommentator wohltuend objektiv und gut informiert. Völlig undenkbar beispielsweise, dass ein mdr-Reporter umstandslos die (eindrucksvolle) Scorerbilanz von Sebastian Stolze aus der letzter A-Jugendsaison bei dessen Einwechslung parat hätte. Dazu müsste man sich ja auf ein Spiel vorbereiten.

Die Liga – erste Konturen zeichnen sich ab

Einige Mannschaften, von denen man das erwarten konnte, stehen im oberen Drittel der Tabelle, oder werden bald dort stehen: Hier sind ganz eindeutig Heidenheim, Leipzig und Münster zu nennen – die allesamt als Aufstiegskandidaten gehandelt wurden und auf dem Weg sind, dieser Rolle gerecht zu werden. Die größte positive Überraschung bietet derzeit der VfL Osnabrück. Nach einem gewaltigen Umbruch in der Mannschaft durfte man damit nicht wirklich rechnen. Hier wurde wohl der Faktor Trainer bei der Prognose etwas vernachlässigt. Aber wer, wie Maik Walpurgis, mit den Sportfreunden Lotte die Regionalliga West gewinnt und RB Leipzig in der Relegation einen großen Tanz liefert, der muss als Trainer einfach richtig was auf dem Kasten haben. Auch Karsten Baumanns Arbeit in Duisburg ist die Anerkennung nicht zu verweigern. Quasi ohne Vorbereitung in eine Saison zu gehen und dann nach 3 Spielen 6 Punkte auf dem Konto zu haben: alle Achtung. In Halle und Chemnitz sollte man jetzt nicht gleich durchdrehen, dazu besteht keinerlei Anlass. Die bisherigen Leistungen war nicht so schlecht wie es die derzeitige Tabellensituation suggeriert.

Der FC Rot-Weiß Erfurt empfängt am Samstag die bisher punktlosen Burghäuser im Steigerwaldstadion. Als Tabellendritter. Traditionell betrachtet liegen dem RWE derartige Konstellationen nicht sonderlich. Allzu oft hat man in der Vergangenheit bei ähnlichen tabellarischen Voraussetzungen Spiele verloren. Einerseits. Andererseits sind derartige Rückgriffe statistischer Humbug mit schlichtweg null Einfluss auf das bevorstehende Spiel. Es gibt in dieser Liga keine leichten Gegner, jedenfalls nicht für den RWE. Aber es gibt auch keinen ersichtlichen Grund, warum die Mannschaft mit einer ebenso konzentrierten Leistung wie in Münster dieses Spiel nicht gewinnen können sollte.

*Nachtrag: Diese Grote-Möhwald-Situation ließ mir keine Ruhe, auch weil dazu im !com-Forum angeregt diskutiert wurde. Ich bin nach wie vor der Auffassung, dass Grote Möhwald absichtlich tritt, muss aber zugeben, dass diese (meine) Perspektive natürlich nicht die des Schiedsrichters ist (sein kann). Deshalb habe ich mich entschlossen, den Fall der kompetentesten Instanz vorzutragen, die mir einfiel – und das sind ganz eindeutig Collinas Erben. Alex Feuerherdt und Klaas Reese bieten unter diesem Namen einen brillanten Schiedsrichter-Podcast an, stehen aber auch via Twitter Rede und Antwort. Hier ihre Einschätzung des Falls auf Grundlage des mdr-Berichts:

Sehr schwer zu beurteilen. Für einen Platzverweis muss das Gespann sich absolut sicher sein, dass hier Absicht vorlag und nicht nur Ungeschicklichkeit (wobei die Spieler immer geschickter darin werden, solche Aktionen wie eine Ungeschicklichkeit aussehen zu lassen). Und natürlich gilt: In dubio pro reo. Ich betrachte das, wohlgemerkt, aus der Perspektive des Schiedsrichters (bzw. des Assistenten). Und da lässt sich eine Absicht kaum zweifelsfrei feststellen. Die Zeitlupe legt sie nahe, aber einen echten Beweis erbringt auch sie nicht.

RWE vs. HFC 3:0 / Some like it hot

So viel Beifall war lange nicht auf der Haupttribüne des Steigerwaldstadions. Das lag zum einen am starken Spiel der Erfurter Mannschaft, zum anderen waren die Fans des RWE schlichtweg erleichtert, dass ihnen ein Höllenstart wie in die letzte Saison erspart blieb. Zum ersten Mal seit dem Spieljahr 2000/2001 startete der FC Rot-Weiß Erfurt wieder mit zwei Siegen in eine Ligasaison. Dieser Rückgriff auf die Statistik macht allerdings ebenfalls deutlich, dass zu Euphorie kein Anlass besteht, denn am Ende nämlicher Saison stand der RWE auf einem Abstiegsplatz und vermied die Viertklassigkeit nur aufgrund des Lizenzentzuges für den SSV Ulm.

Fit wie ein Turnschuh

Über die Tropenhitze wurde vor dem Spieltag viel diskutiert, vielleicht ein bisschen zu viel für meinen Geschmack, sie sollte am Ende keine entscheidende Rolle spielen. Natürlich dauert die Regeneration der Spieler länger als nach einem Spiel bei «Normaltemperatur». Doch Fußballprofis sind austrainierte Leistungssportler, und hätte man nicht gewusst, dass auf dem Spielfeld über 40 Grad herrschen, dem Spieltempo wäre es nicht zu entnehmen gewesen. Das dritte Tor für den RWE fiel nach der fußballerisch schönsten Kombination des ganzen Spiels – in der letzten Spielminute. Wie bereits in Stuttgart machte der RWE am Ende des Spiels sogar den, im Vergleich zum Gegner, etwas frischeren Eindruck. Dies ebenfalls ein Indiz für die exzellente Vorbereitung unter Walter Kogler.

Das 4-4-2-System funktioniert

Die Systemfrage hatte Walter Kogler eine gute Woche vor Saisonstart entschieden. Er legte sich (vorerst) auf ein 4-4-2 fest. Das kommt Mijo Tunjic sehr zu passe, er profitiert am meisten davon, nicht mehr alleiniger Zielspieler im Sturmzentrum zu sein. Es gestattet ihm, sich häufiger auf die Flügel zu orientieren, mit den Außen das Kombinationsspiel zu suchen, von dort nach innen zu ziehen oder für nachrückende Mittelfeldspieler Räume zu eröffnen, indem er dem strafraumnahen Spiel solcherart mehr Breite verleiht. Am Samstag ist mir überdies aufgefallen, dass er auffallend oft Kopfballduelle gewann, das war in der letzten Saison ebenfalls ein Manko, jedenfalls, wenn man seine körperlichen Vorzüge in dieser Disziplin berücksichtigt. Sollte er diese Form konservieren und gemessen an seinen oft glücklosen Darbietungen in der letzten Saison, ist es kaum übertrieben zu behaupten: Wir begrüßen (diesen) Mijo Tunjic als weiteren Neuzugang beim FC Rot-Weiß Erfurt.

Brandstetter kommt sukzessive besser in Form. Schade, dass sein Schuss nur die Latte traf, denn ein Tor wäre auch ihm zu gönnen gewesen. Ich schreibe jetzt allerdings nicht, dass sein erstes Tor nur eine Frage der Zeit ist, denn als ich dies das letzte Mal getan habe, hat man von dem Spieler nie wieder was gehört (Tobias Ahrens). Klar ist aber: wenn Brandstetter gesund bleibt, werde ich hier noch sehr enthusiastische Dinge über ihn zu berichten wissen.

So wie über Aykut Öztürk, diesem Gott des körpernahen Kleindribblings. Keine Ahnung, wie oft es diese Abfolge jetzt bereits gab: Dribbling Öztürk, Foul an Öztürk. Elfmeter. Pfingsten. Tor. Ich bin mir sicher, dass der HFC-Coach Köhler seine Jungs exakt davor gewarnt hatte. Allein, es nützte nichts. Öztürks enge Ballführung, sein geschicktes Abschirmen des Balls mit dem Körper und die kurzen, minimalistischen Ballberührungen provozieren Abwehrspieler immer wieder das zu tun, was sie besser bleiben ließen: einen Tritt in Richtung des Balles zu riskieren, der aber schon gar nicht mehr an der vermuteten Stelle ist. Nur Aykut Öztürks Standbein ist noch da.

Nach der Auswechslung Brandstetters in der 70. Minute stellte Kogler auf ein 4-2-3-1 um. Der ins Spiel gekommene Baumgarten rückte neben Engelhardt auf die Sechserposition und Pfingsten-Reddig gab bis zum Spielende den Zehner. Was er sehr gut machte, nicht von ungefähr ging von ihm die entscheidende Aktion vor dem dritten Tor aus. Seine Beidfüßigkeit kommt ihm auf dieser Position ebenso entgegen wie sein Antizipationstalent – findet er keine sinnvolle vertikale Passoption, versucht er das Spiel zu verlagern oder gänzlich neu aufzubauen. Wilfried Mohren würde hier von einem retardierenden Moment sprechen, man könnte – etwas vulgärer – auch sagen: Pfingsten verzögert das Spiel bis er eine sinnvolle Fortführung entdeckt. In jedem Fall –  keine riskanten Dribblings, Vermeidung unnötiger Ballverluste.

Marginalien und Ausblicke

Der Umzug der Ultras auf die Haupttribüne hat der Stimmung insgesamt gut getan – was hoffentlich auch bei weniger günstigen Spielverläufen und -ausgängen so bleibt. Der neue Stadionsprecher befindet sich noch in der Ausbildung, da sollte ihm der ein oder andere Verhaspler großherzig verziehen werden. Im Grunde ist mir jedoch völlig egal wie die Tore des RWE der Welt verkündet werden – Hauptsache bleibt, sie fallen in hinreichender Anzahl.

Das Pokalfiasko bei Schott Jena hat ja womöglich doch einen kleinen Kollateralnutzen. Es gibt Walter Kogler zwei weitere Wochen Zeit, in Ruhe mit der Mannschaft zu arbeiten. Bis hierher scheint jeder Trainingstag unter seiner Anleitung, dem Team gut getan zu haben.

RWE vs. 1. FC Magdeburg 0:1 / Letzter Test vor Saisonbeginn

Hier ein paar Eindrücke vom Spiel gegen Magdeburg: Walter Kogler machte seine Ansage wahr und ließ ein 4-4-2-System spielen, zum ersten Mal sogar von Anfang an mit zwei Stürmern (Tunjic und Brandstetter). Die größte Überraschung in der Aufstellung des RWE-Coaches bot allerdings Johannes Bergmann auf der linken Position der Viererkette, was durchaus naheliegend ist, da Bergmann ein Linksfuß ist, und auch wieder nicht, weil er diese Position meines Wissens noch nie gespielt hat. Das machte sich beispielsweise bei seinem Stellungsfehler vor dem 0:1 durchaus bemerkbar.

Laurito und Kleineheismann in der Innenverteidigung wirkten wach und in den meisten Szenen solide, mit mehrheitlich brauchbaren Anspielen im Spielaufbau. Beide Außenverteidiger hatten die Lizenz sich situativ nach vorne zu orientieren. Odak nahm das gerne in Anspruch, gute Partie von ihm, vom sehr gut trennten ihn nur die verbesserungswürdige Qualität seiner Hereingaben.

Die beiden Sechser (Pfingsten und Engelhardt) holten sich wechselweise die Bälle im Spielaufbau hinten ab, standen in der Regel auch vertikal gut gestaffelt. Dass es bei ihnen keine klare Zuordnung gibt (z.B. Pfingsten immer offensiver als Engelhardt), sehe ich als Vorteil, da es den zentralen Spielaufbau etwas weniger ausrechenbar macht. Defensiv agierte allerdings Engelhardt tiefer als Pfingsten. Sind die Räume vor ihm kompakt geschlossen, sortiert er sich sogar teilweise in die Viererabwehrkette ein.

Dann wird es etwas asynchron, was sicher den verschiedenen Talenten der beiden offensiven Außenbahnspieler geschuldet ist. Öztürk verschob sehr weit nach vorn, praktisch auf eine Höhe mit den beiden Stürmern. Wird er mit einem guten Pass in Szene gesetzt, kann er so seine immensen Stärken im eins gegen eins ausspielen, die er, bis zu seiner Auswechslung (die hoffentlich eine reine Vorsichtsnahme war), eindrucksvoll demonstrierte. Ihn bekamen die Magdeburger Verteidigern nie in den Griff. Möhwald auf rechts agiert deutlich tiefer, weil er das Spiel lieber vor sich hat und weil er mit Odak einen passstarken Außenverteidiger hinter sich weiß, und sie in dieser Konstellation die Strafraumnäherung eher mit Kombinationen anstreben. Gut bei Möhwald war, dass er – wann immer sinnvoll und möglich – in den Strafraum drang und dort den Abschluss suchte. Verbesserungswürdig ist sein Spiel ohne Ball, exemplarisch sei hier eine Szene aus der zweiten Halbzeit erwähnt, Tunjic hat auf dem rechten Flügel den Ball, wird gedoppelt, Möhwald läuft vor ihm in den Strafraum, statt an die Außenlinie, um auf diese Weise einen der beiden Verteidiger von Tunjic wegzuziehen. Angriff zu Ende.

Solange Öztürk auf dem Platz war, hat mir sogar die Spielweise mit zwei Mittelstürmern gut gefallen. Beide, also Bandstetter und Tunijc, bewegten sich viel: Tunjic sehr oft nach rechts, um Passoptionen mit Möhwald und dem nachrückenden Odak zu öffnen. Brandstetter bot sich als Relaisstation für das zentrale Mittelfeld an, oder rückte in die linke Halbposition in Richtung Öztürk. Überhaupt machte Brandstetter ein überzeugendes Spiel: wenig Ballverluste, gute Ballan- und mitnahmen, stets den Torabschluss suchend. Für alle Offensivspieler gilt, dass die Chancenverwertung mangelhaft war und sie sich in der ein oder anderen Situation schneller vom Ball trennen müssen.

Ein Wort zu Fillinger, der für Öztürk kam: Alibifußball!

Richtig Bauchgrimm verursacht mir die Torwartposition. Klewin wirkte auch gegen Magdeburg hypernervös und leistete sich in der 2. Halbzeit einen Riesenbock, der fast zum 0:2 geführt hätte. Kornetzky scheint mir ein richtiger Obersympath zu sein, aber ob er (momentan) der bessere Torwart ist, vermag ich nicht zu beurteilen.

Und, last but not least, die neueste Version der von mir erwarteten Startaufstellung gegen die Stuttgarter Kickers. Ein 4-4-2 mit zwei Stürmern, vor allem wohl auch deswegen, weil sich personelle Alternativen dazu (Strangl, Fillinger, Derici, Göbel) nicht wirklich anbieten:

Walter Kogler äußert sich zum Spielsystem

In einem Interview auf kicker.de (durchgeführt vom TA-Mitarbeiter Marco Alles) äußert sich Walter Kogler zum ersten Mal ausdrücklich zum zukünftigen Spielsystem des RWE: «Als Basis dient das 4-4-2-System, was sich aber auch als 4-2-3-1 interpretieren lässt. Wichtig ist mir aber, dass sich die beiden Sechser immer wieder mit in die Offensive einschalten und nicht nur als reine Abräumer fungieren.» Bei dieser Vorgabe ihres Chefs werden Pfingsten und Engelhardt kein Bauchweh bekommen, beides sind Spieler, die in der Offensive große Potenziale haben, auch wenn Engelhardt dies, seit er wieder für den RWE kickt, nur sporadisch offenbaren konnte. Was aber oft genug taktische Ursachen hatte.

Mit dem Interview des RWE-Cheftrainers hat sich meine bislang vertretene These (die hauptsächlich auf Koglers einst in Österreich favorisierten Systemen beruhte), und von einer 4-1-4-1-Formation ausging, erledigt. Ich denke jetzt, dass wir ein Hybridsystem zu erwarten haben, das defensiv ein 4-4-2 und offensiv ein 4-2-3-1 sein wird. Da man im Fußball während des Spiels nicht permanent aus- und einwechseln kann, impliziert diese Annahme ebenfalls, dass ich nicht von zwei nominellen Stürmern in der Anfangsformation ausgehe. Oder genauer: dass ich zwei Stürmer für unwahrscheinlich halte.

Das 4-4-2 ist die Mutter aller zeitgemäßen Spielsysteme, erfunden Ende der 80er Jahre von Arrigo Sacchi während seiner großen Jahre beim AC Mailand. Die Hauptvorteile des 4-4-2 aus meiner Sicht:

  • Einfaches, quasi organisches Verschieben der Mannschaftsteile hin zum Ball
  • Hohe Kompaktheit; alle möglichen Gegnerpositionen können gut gedoppelt werden
  • Mannschaften, die schnell viele neue Spieler integrieren müssen, ist dieses System methodisch am einfachsten zu vermitteln
  • Alle gängigen taktischen Stilmittel, wie aktives und passives Pressing, Gegenpressing nach Ballverlust, schnelles Umkehrspiel, etc. sind mit einem 4-4-2 abbildbar

Ein beispielhaftes 4-4-2-System des RWE in der defensiven Grundordnung:

Das sieht doch wohlgeordnet aus, so auf dem Papier.

Wie erfolgreich und ansehnlich ein 4-4-2 funktionieren kann, hat der SC Freiburg unter Christian Streich in der letzten Saison eindrucksvoll vorgeführt. Die potenziellen Nachteile dieser Formation liegen in der Gefahr der Unverbundenheit der einzelnen Linien, den Lücken, die sich zwangsläufig ergeben, wenn der Abstand der beiden Viererketten zu groß gerät, sowie dem nominellen Fehlen eines zentralen offensiven Spielers/Ballverteilers – was oft dazu führt, dass die Stürmer keine (verwertbaren) Bälle bekommen. Um das zu umgehen, mutiert die 4-4-2-Defensivordnung fast immer zu einem 4-2-3-1-Angriffsystem, wir sprechen dann von einem Hybriden. Man operiert bei eigenem Ballbesitz mit einem Mittelstürmer und kann (und muss) ansonsten ein variables Offensivspiel aufziehen, wobei alle Spieler eine hohe Laufbereitschaft, gutes Passspiel und kluges taktisches Verhalten gleichermaßen auf sich vereinigen sollten. Auch der einzige Stürmer darf nicht einfach auf Zuspiele oder Flanken seiner Teamkollegen hoffen, sondern hat sich permanent zu bewegen, muss im Zweikampf robust auftreten und gleichfalls eine hohe Passqualität eignen. Als Beispiele seien Lewandowski, Mandzukic und Klose genannt. Ein Gegenbeispiel wurde unlängst in die Toskana transferiert.

Wer könnte beim RWE diese Positionen ausfüllen? Tunjic stand in den letzten Spielen immer in der Startelf, deshalb sehe ich ihn Koglers Gunst derzeit vor Brandstetter – auch wenn dieser, meiner Auffassung nach, die Anforderungen an einen modernen Mittelstürmer besser erfüllt. Als zentraler Offensivspieler böte sich Derici an, er ist jedoch offensichtlich nicht fit genug für 90 Minuten Profifußball. Aus diesem Grund glaube ich, dass zunächst Möhwald diese Stelle in Koglers Startelf besetzen wird. Auf der rechten offensiven Außenbahn könnte tatsächlich Patrick Göbel eine Chance gegen die Stuttgarter Kickers erhalten. Indizien: er  stand in den Spielen gegen Brentford und Ingolstadt in der Anfangsformation und erhielt jeweils viele Einsatzminuten. Die offensive Dreierreihe muss sich durch eine hohe Fluidität auszeichnen, ständig die Positionen wechseln, mit den nachrückenden Sechsern und Außenverteidigern Passdreiecke schaffen, um Überzahlsituationen am Ball erzeugen zu können.

Hier die von mir momentan erwartete Startelf gegen die Stuttgarter Kickers (4-2-3-1)

Womöglich aber überrascht uns das Trainerteam ja noch mit einer ganz anderen Variante. Christian Preußer hatte in der letzten A-Jugend-Saison aus der Not eine Tugend gemacht. Er verfügte über zwei sehr gute Mittelstürmer (Nietfeld und Stolze), aber keinen herausragenden Zehner. Deshalb ließ er beide Mittelstürmer spielen, man konnte hier völlig zu Recht von einem 4-4-2 auch in der Offensive sprechen. Beide bewegten sich sehr variabel, nahmen wechselweise die zentrale Sturmposition ein oder ließen sich in die Halbräume fallen. In den besten Spielen der Saison (vor der Winterpause) war zudem Felix Robrecht in bestechender Form. Er spielte als zentraler Mittelfeldspieler (mehr Achter als Sechser) grandiose, öffnende Pässe auf die beiden Stürmer. Nun, ich glaube nicht, dass Robrecht (der wohl zudem verletzt ist) und Stolze in der Startelf des 1. Spieltages stehen werden, aber ein derartiges System würde ich zum jetzigem Zeitpunkt nicht (mehr) kategorisch ausschließen. Dann aber besetzt mit Brandstetter und Nietfeld.

Es bleibt spannend. Mal sehen, was uns das Spiel gegen den FCM an weiteren Erkenntnissen beschert.

Näherung an die Startelf gegen die Stuttgarter Kickers / V1.1

Ich hatte ja versprochen, dass ich je nach Nachrichtenlage, Vorbereitungsspielen, Pressemeldungen und sonstigem Gedöns hier ab und an über die aus meiner Sicht wahrscheinlichste Startformation des RWE am ersten Spieltag spekuliere.

Nun, es haben sich harte Fakten auf einer Position ergeben: Andreas Sponsel verlässt den Verein, um in Bayreuth Sport zu studieren und nebenbei noch ein bisschen in der fünften Liga zu kicken. Über die Verdienste von Andreas Sponsel ist in den letzten Tagen alles geschrieben worden, jegliches davon ist richtig. Ich kann seine Entscheidung gut nachvollziehen, schließlich ist Ex-Fußballprofi kein Beruf, auch wenn das einige bemitleidenswerte Gestalten a la Helmer, Strunz und Basler anders sehen. Über den Zeitpunkt der Entscheidung lässt sich diskutieren, aber dem Verein bleiben noch knappe drei Wochen um einen Ersatz für Sponsel aufzutreiben – wobei ich natürlich hoffe, dass die Verpflichtung möglichst zeitnah geschieht. Ich traue mir momentan kein Urteil darüber zu, ob Klewin bereits die Stabilität aufweist, um als Stammtorhüter in eine Profisaison zu starten. Bis zur Verpflichtung eines neuen Torwarts gehe ich einfach mal davon aus. Den heute verpflichteten Okan Derici werde ich mir gegen Brentford anschauen. Mit einigen Erwartungen.

Abgesehen von der Personalie Sponsel bleibe ich vorerst bei der Version 1.0 meiner Startelf-Annäherung.

Evtl. Startelf des RWE 1. Spieltag Saison 13/14 – Version 1.1 / 01.07.2013

Mit dem grünen Pfeil werden Änderungen zur vorhergehenden Version gekennzeichnet, in diesem Fall also nur Klewin gegen Sponsel. Große Unsicherheit bezüglich einer Personalie wird durch den Kegel angezeigt. Wobei sich in der Abwehr die von Anfang an vermutete Formation stabilisiert, darauf weisen die Testspielaufstellungen gegen Baunatal und Schweinfurt hin. Hier ist wohl allein die Frage: Kleineheismann oder Möckel. Engelhardt, Pfingsten-Reddig und Möhwald halte ich ebenfalls für gesetzt. Auf den beiden offensiven Außenbahnen scheinen sich momentan Strangl, Öztürk und Fillinger einem Wettbewerb um die Gunst von Walter Kogler zu liefern. Gleichermaßen macht die Mittelstürmer-Entscheidung zwischen Brandstetter und Tunjic den Eindruck völliger Offenheit. Von dem bevorstehenden Spiel gegen Brentford verspreche ich mir vor allem eindeutige Hinweise auf das von Kogler bevorzugte Spielsystem. 4-1-4-1, 4-2-3-1, oder vielleicht doch ein 4-4-2 – am Samstagabend wissen wir mehr.

Bis dahin – bleibt mir gewogen.

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