RWE vs. BVB 0:4 / Früher war mehr Freundschaftsspiel

Wer die (für Erfurter Verhältnisse) recht teuren Eintrittskarten für das gestrige Spiel erworben hatte und mit einem sorglos-sommerlichen Fußball-Halligalli rechnete, musste enttäuscht das Steigerwaldstadion verlassen. Was wir stattdessen sahen, war eine intensive Trainingseinheit beider Mannschaften, mit musikalischem Rahmenprogramm, Luftballons und unter der wohlmeinenden Teilnahme von 15.500 Zuschauern.

Allein: verwundern konnte das nicht wirklich. Gerade mal drei Tage vor dem Ligastart des RWE war klar, dass Emmerling mit der Elf beginnen würde, die sich im Laufe der Vorbereitung als seine erste Wahl herauskristallisiert hatte. Und, dass diese Mannschaft nicht mit naivem Hurra-Fußball gegen den Deutschen Meister ins Spiel gehen würde. Es kam auf andere Dinge an: Abstimmung, Raumaufteilung, Defensivverhalten usw. usf. – all diese klitzekleinen, unspektakulären Dinge also, die ein Freundschaftsspiel nicht eben attraktiver machen, aber unerlässlich sind, will man in der Meisterschaft erfolgreich sein. Davon liest man in den heutigen Spielberichten erstaunlich wenig. Aber, ich will mich nicht beklagen, dafür gibt es ja Blogs wie diesen.

Ohne Steinschleuder: David gegen Goliath

Es kann vielleicht nicht schaden, kurz inne zu halten und sich vor Augen zu führen, gegen wen genau der RWE gestern keine Chance hatte. Selbst der Rechtsverteidiger des BVB, Oliver Kirch, weithin unbekannt und die Nummer 20 der BVB-Tabelle weist mit einem Marktwert von einer Million Euro noch immer einen doppelt so hohen Wert auf, wie der höchst taxierte Spieler des RWE (Smail Morabit, 500.000 EUR, Quelle: transfermarkt.de). Gegen eine Mannschaft, die von ihren individuellen fußballerischen Fähigkeiten her, auch in der Breite, derart gut aufgestellt ist, hat ein Drittligist im Normalfall keine Chance. Es sei denn, diese Mannschaft spielte überheblich, fahrlässig und sorglos. Dann hieße ihr Trainer aber vermutlich nicht Jürgen Klopp. Einer der Hauptkritikpunkte in den heutigen Artikeln lautet, dass sich der RWE keine Tormöglichkeiten gegen den BVB herausgespielt habe. Da kann ich nur sagen: Willkommen im Club. Diese Erfahrung teilt der RWE mit vielen Vereinen der 1. Bundesliga.

All das bedacht, habe ich kein schlechtes Spiel des RWE gesehen. Ernsthaft bewerten kann man allerdings nur die ersten knapp 60 Minuten, danach verhinderte die üppige Wechselei eine sinnvolle Analyse.

Offene Baustellen: Kopfbälle und die rechte Abwehrseite

Fangen wir mit dem Negativen an: Gesehen habe ich ihn nicht, aber ich bin sicher, dass Peter Vollmann, Trainer des SV Wehen Wiesbaden, auf der Tribüne des SWS saß. Er wird sich daran erinnert haben, dass seine Mannschaft im letzten Punktspiel (0:1 für den RWE) nur wenige Möglichkeiten hatte. Allein bei hohen Flanken in den Erfurter Strafraum (z.B. nach Ecken) zeigte sich die Hintermannschaft des RWE massiv anfällig. Daran hat sich, wahrscheinlich zur Erbauung Vollmanns, bis zum gestrigen Tag nichts geändert. Dass Tommy Kind beim dritten Treffer gegen einen Hirten wie Santana keine Chance hat – geschenkt. Aber Tom Bertram darf zumindest versuchen, Schieber bei seinem Kopfball zu stören. Etwas Hoffnung schenkt mir der Umstand, dass es zumeist keine Zuordnungsprobleme sind, die dem Gegner die Kopfballchancen ermöglichen, sondern individuelle Konzentrationsmängel. Das muss sich ändern. Schnell ändern.

Neue Saison, gleiche Baustelle: Rauw ist sicherlich rechts in der Viererkette derzeit die beste personelle Alternative, optimal sieht jedoch anders aus. Er spielt als Innenverteidiger deutlich stärker und hat zudem (noch immer) den Drang sehr oft in die Platzmitte zu ziehen. Das sorgte schon in der letzten Saison für so manches taktische Problem (keine Anspielstation auf rechts, unnötiges Herausrücken eines Innenverteidigers bei Ballverlust).

Starkes Spiel von Engelhardt und Möhwald

Die positiven Erkenntnisse überwiegen jedoch: Der BVB erzielte nur einen herauskombinierten Treffer und erspielte sich auch ansonsten nicht reihenweise hochkarätige Chancen. Das erklärt sich mit der wirklich guten Raumaufteilung zwischen der Viererkette und dem Mittelfeld sowie dem aggressiven Zweikampfverhalten des RWE. Czichos auf der linken Seite sah vielversprechend aus. Ein kompakter, technisch und taktisch grundsolide ausgebildeter Spieler. Marco Engelhardt war überaus präsent, wenn ich richtig gehört habe, auch verbal. Er wirkt deutlich fitter, antrittsschneller und körperlich robuster als noch in der letzten Saison. Kevin Möhwald hat ein richtig gutes Spiel gemacht. Was mir bei ihm am meisten imponiert ist sein Mut, wann immer es die Spielsituation hergibt, einen vertikalen Ball zu spielen. Und seine Fähigkeit, dies sehr oft mir nur einem Ballkontakt zu tun. Seine taktische Polyvalenz hat er in der letzten Saison bereits nachgewiesen, als er einmal neben Morabit stürmte (vs. Heidenheim) und im Spiel darauf (vs. Offenbach) neben Engelhardt als Sechser spielte. Gehört unbedingt in die Startelf.

Dann gab es noch taktisch Bemerkenswertes: In seiner letzten Kolumne (und mit der ihm eigenen Zurückhaltung) hat der weltberühmte Taktikpapst Wilfried Mohren, dass von Emmerling bevorzugte 4-4-2 als unvariabel eingestuft. Nun, dann müssten die gestrigen taktischen Rochaden unserer Angreifer für ihn Grund genug gewesen sein, um sich daran zu delektieren (um mal im Stil des Meisters die Feder zu führen): Tunjic war als vorderste Spitze der einzige Fixpunkt, hinter ihm ging es fluide wie im Swingerklub zu. Die ersten zehn Minuten spielte Möhwald zweite Spitze, Drexler links und Morabit rechts. Dann tauschten Drexler und Möhwald, danach Drexler und Morabit. Ich bin neugierig, ob sie diese Volatilität auch in Wiesbaden fortsetzen werden. Meinen Segen haben sie. Die Spieler haben die fußballerischen Voraussetzungen dafür und es reduziert die Ausrechenbarkeit des Offensivspiels enorm. Entscheidend wird jedoch sein, dass sie bei Ballverlusten taktisch abgestimmt und mit der nötigen Aggressivität reagieren. Anderenfalls kann man vorne gar nicht so viele Tore schießen, wie man hinten bekommt. Das wissen sie aber. Hoffe ich.

Es wird schwierig am Samstag in Wiesbaden. Das unterscheidet dieses erste Saisonspiel allerdings in nichts von den 37 folgenden Begegnungen. Ich denke, die Mannschaft ist gut vorbereitet. Ob das reicht, werden wir sehen.

Die 3. Liga stellt sich vor

Das großartige FCSBlog 2.0 hatte eine prima Idee und stellt seit dieser Woche und in loser Folge Blogs vor, die sich mit Vereinen der 3. Liga befassen. Nach dem blog5 aus Bielefeld ist heute stellungsfehler.de an der Reihe. Mit so einem Einlauf am Ende der Saison könnten wir leben!

Vielen Dank nach Saarbrücken.

EM 2012: Von Maulhelden, Führungsspielern und redseligen Veteranen

Sie haben es wieder getan. Diese Spanier. Gewinnen die Europameisterschaft – ohne Testosteron-Monster in der Mannschaft, bei weitgehendem Verzicht auf einen Mittelstürmer und ohne inbrünstiges Intonieren ihres Hymnentextes (mangels Masse). Ein Waterloo für die Talking Heads des deutschen Sportboulevards. Einige Anmerkungen meinerseits:

  • Gewinner: Mehmet Scholl. Seine Weigerung sich Beckmanns populistischem Löw-Bashing anzuschließen hat mich wieder sehr für ihn eingenommen: „Das mache ich nicht mit.“ Ich fordere den Grimmepreis allein für diesen Satz. Und die sofortige Aberkennung desselben, wegen der ebenfalls von Scholl losgetretenen Führungsspielerdiskussion. Trotzdem: Kantersieg für ihn im TV-Duell gegen den Maulhelden von Usedom.
  • Apropos Kahn: Für die jüngeren unter uns – Deutschland hat 2002 ein WM-Endspiel gegen Brasilien verloren. Bis zur 66. Minute war die deutsche Mannschaft dem brasilianischen Favoriten leicht überlegen. Zu unserer aller Überraschung. Dann unterlief Oliver Kahn, im wichtigsten Spiel seiner Karriere, ein Anfängerfehler, den Ronaldo zur spielentscheidenden Führung der Brasilianer nutzte. Darüber hätte ich nie ein Wort verloren, wenn mir seine penetrant-maßlose Kritik am angeblichen Fehlen angeblich deutscher Tugenden bei den derzeitigen Spielern nicht so ungeheuer auf den Sack gehen würde.
  • These: Wir hätten das Halbfinale gegen Italien deutlicher verloren, wenn Löw auf einen dritten zentralen Mittelfeldspieler (Kroos) verzichtet und mit der Griechenland-Aufstellung begonnen hätte. Findet ihr gewagt? Ich auch. Ist aber ebenso wenig nachprüfbar wie das inzwischen zu einer Art höheren Wahrheit mutierte Postulat, dass wir mit der Anfangself des Griechenlandspiels gewonnen hätten. Ich kann Diskussionen darüber leider nicht ernst nehmen, in denen das Wort Raute nicht mal vorkommt. Diese Formation des italienischen Mittelfelds (mit vier zentralen Spielern) kann man als Trainer nicht einfach ignorieren – es bleibt richtig darauf reagiert zu haben. Die Frage lautete hier eher: Kroos oder Bender – für beide gab es Argumente, für Toni Kroos sprach sein wesentlich besseres Passspiel.
  • Konditionierung: Mats Hummels ist einer der begabtesten Abwehrspieler den dieses Land je hervorgebracht hat. Er ist darauf konditioniert – im Vertrauen auf seine grandiosen Fähigkeiten – fast alle Abwehrsituationen auf dem Feld in eigenen Ballbesitz umzuwandeln und wenn möglich mit einem derart eroberten Ball den eigenen Konter einzuleiten. So verlangt es Jürgen Klopp. Fehler sind in dieses Konzept eingepreist, über 34 Meisterschaftsspiele gesehen, kann man sie nämlich korrigieren. An einem normalen Tag ist der BVB gegen fast jeden Gegner der Liga in der Lage, einen Rückstand wettzumachen. Manchmal geht das schief, dann verlieren sie halt eines von fünf Spielen. Macht dann immer noch 12 Punkten aus fünf Partien, ein Schnitt, mit dem man Meister werden kann. So funktionieren Turniere jedoch nicht, weil es deutlich weniger Spiele gibt. Die K.O.-Runde lässt keinerlei Spielraum, jeder Fehler kann das Ausscheiden bedeuten. Weswegen das Risiko einen solchen zu begehen so weit wie möglich minimiert werden muss. Jogi Löw wusste um die Gefahr, die die brillant-riskante Spielweise des BVB-Verteidigers birgt. Deswegen das lange Zögern vor dem Turnier, bevor er sich für ihn und gegen Mertesacker entschied. Wenn ich mir einen Verteidiger mixen könnte, dann würde er zu 80% aus Mats Hummels und zu 20% aus Karl-Heinz Förster bestehen. Aber Mats Hummels ist klug, er wird den Unterschied inzwischen begriffen haben, leider auf die für ihn – und uns – schmerzlichste Art und Weise.
  • Mangelnde Willenskraft: Es wird der deutschen Mannschaft vorgeworfen, dass ihr nach dem Rückstand der Wille (gern verwendet in Verbindung mit dem Adjektiv absolut) gefehlt habe. Nun, ich kann die Enttäuschung verstehen, vor allem deshalb, weil ich sie teile. Aber muss hierzulande jede Niederlage mit einer charakterlichen Herabwürdigung der Spieler einhergehen? Es ist rein statistisch eben verdammt unwahrscheinlich, dass man ein 0:2 gegen Italien in einem K.O.-Spiel aufholt. Sechser im Lotto quasi das häufigere Ereignis. In den letzten zehn Jahren wurde bei sämtlichen internationalen Länderturnieren ein 0:2 in einem K.O.-Spiel nur einmal gedreht (Mexiko, 2011). Bei allen bisherigen Europameisterschaften gelang das noch keiner Mannschaft. Aufgeholt wurde ein 0:2 bisher nur von Deutschland im Endspiel 1976. War aber vergeblich, weil das anschließende Elfmeterschießen durch einen grandios vergeigten Elfmeter des Führungsspielers Uli Hoeneß verloren ging. (Quelle: Tobias Escher via Twitter).
  • Führungsspieler: Der Mangel an selbigen wird in erster Linie (aber keinesfalls ausschließlich) von tatsächlichen oder vermeintlichen Veteranen dieser Spezies öffentlich beklagt. Im widerwärtigsten Fall einhergehend mit einer verbalen Demütigung aktiver Spieler: sie werden kurzerhand als «Chefchen» denunziert. In diesem Artikel auf spielverlagerung.de (vom letzten Jahr) finde ich meine Meinung in dieser Sache am ehesten wiedergegeben. Kurz zusammengefasst: Im besten Fall schaden sie nichts, ihre Bedeutung ist allerdings weit geringer als noch vor 10 Jahren. Was vor allem fußballerische Gründe hat. Durch den erneuten Triumph des spanischen Kollektivfußballs (diesmal sogar ohne Puyol) hat diese These noch einmal empirische Unterstützung erfahren. Damit könnte ich es zu diesem Thema bewenden lassen. Will ich aber nicht. Eines muss noch gesagt werden: Der Umgang mit Bastian Schweinsteiger in einem großen Teil der Medien ist einfach nur zum Kotzen. Mag sein, dass es klüger gewesen wäre, ihn nicht aufzustellen. Aber, wenn das Spiel gegen Italien ohne ihn verloren gegangen wäre, hätte es keine fünf Minuten gedauert, bis die Ersten aus ihren Löchern gekrochen wären, um ihm Feigheit vor dem Feind zu attestieren. Schweinsteiger hat sich nach seiner Verletzung sowohl von den Bayern als auch von der Nationalmannschaft in die Pflicht nehmen lassen. Eindeutig besser wäre gewesen, diese Verletzung grundhaft auszukurieren. Dann hätte er aber vermutlich in den entscheidenden CL-Spielen und bei der EM gefehlt. Das wollte er nicht, das wollten die Verantwortlichen beider Teams nicht, und wir, die Fans dieses großartigen Fußballers und Charakters, wollten das schon gar nicht. Es ist schief gegangen. Ihm das jetzt aber vorzuwerfen, ist das Allerletzte.
  • Ironie: Mit Fernando Torres gewinnt der Mittelstürmer einer Mannschaft die Torjägerkrone, die zumeist ohne Mittelstürmer gespielt hat. Das ist lustig und beängstigend in einem. Wenn wir schon mal bei beängstigend und damit bei den Perspektiven der spanischen Elf sind: Stand heute, sieht es für alle anderen ambitionierten Fußballnationen dieser Welt nicht sonderlich gut aus. Schrottpapiere vergleichsweise solide Aussichten. Es deutet derzeit wenig darauf hin, dass sich die spanische Dominanz in nächster Zeit verflüchtigt. Ich sage es ungern, aber derzeit ruhen alle Hoffnungen des Weltfußballs allein auf Jose Mourinho und das es ihm durch beinhartes Intrigieren gelingt, die spanischen Spieler in den Classicos irreversibel gegeneinander aufzubringen. Klingt jämmerlich, ich weiß.
  • Bilanz: Spanien gewinnt dieses Turnier auf Grund überragender technisch-taktischer Qualitäten. Es gelang ihnen fast durchweg die notwendige Defensiv-Offensiv-Balance zu wahren, auch wenn das zuweilen wenig schön aussah und selten spektakulär war. Einfacher gesagt: Sie waren die Besten. Rein offensiv angelegter Fußball gewann 1970 mit dem Triumph der Brasilianer in Mexiko das letzte Mal einen großen Titel. Die deutsche Mannschaft hat in der Vorrunde einen überaus kontrollierten Fußball gespielt und benötigte nur im Spiel gegen starke Portugiesen ein wenig Glück. Nach den Griechen erwartete uns mit Italien eine taktisch ungemein versierte und spielstarke Mannschaft. Trotzdem verlor man dieses Spiel in erster Linie wegen zweier höchst vermeidbarer Gegentore, die überdies recht wenig mit den Wechseln Löws zu tun hatten. Diese Fehler müssen zukünftig eliminiert werden (siehe oben), sonst braucht man sich hierzulande über weitere Titel keine Gedanken zu machen. Jogi Löw wird umdenken müssen und wir mit ihm: der hippe Hurra-Fußball der WM 2010 taugt nicht als Konzept für Titel. Ein Umbruch im Team (was genau das auch immer sein soll) ist dafür nicht notwendig. Wir verfügen über eine junge, hochbegabte Mannschaft, die in erster Linie pragmatischer agieren muss, um mehr Erfolg zu haben. Defensive Sicherheit ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts. Diese Lektion sollten wir angesichts von zehn spanischen K.O.-Spielen ohne Gegentor gelernt haben.

Wenn wir schon bei den Kalendersprüchen sind: Nach dem Turnier ist vor der Saison. Und die hat der FC Bayern heute mit einem spektakulären Move eröffnet. Die Verpflichtung von Matthias Sammer als Sportvorstand verspricht vor allem eines: ganz, ganz großes Kino an der Isar.

Welch wunderbarer Sport.

PS. Demnächst geht es hier natürlich weiter mit einer Einschätzung zur Saisonvorbereitung des FC Rot-Weiß Erfurt. Also endlich wieder richtig großer Fußball.

EM 2012: Gedanken in Stichworten

  • Großkotzig: Mehmet Scholl hat mich einst mit den Bayern versöhnt. So ein bisschen wenigstens. Inmitten der ARD-ZDF-Seichtigkeit ist er auch bei diesem Turnier gelegentlich ein Trost. Und trotzdem: Seine mantrahaft vorgetragene Unterscheidung in guten und schlechten Fußball nervt. Die Griechen spielen keinen schlechten (oder gar bösen) Fußball, sie spielen nicht einmal wirklich unattraktiven Fußball. Sie holen aus ihren Möglichkeiten das Maximale heraus. Davor habe ich großen Respekt, im Fußball wie auch sonst im Leben.
  • Weltekel I: Mein Lieblingstrainer bei diesem Turnier – der Portugiese Fernando Santos, Trainer der Griechen. Der wohl am mürrischsten und übellaunigsten dreinschauende Übungsleiter der Welt. Große Geste, öfter zu sehen: nach einem Fehler seiner Mannschaft vergräbt er sein Gesicht für lange Sekunden in den Händen. Danach hat er wieder eine Falte mehr in der Fassade. Wäre eine Rolle für Charles Bronson gewesen.
  • Unverständnis: Immer mal wieder wird der Ballbesitzfußball (possession play) der Spanier kritisiert und wahlweise als langweilig, stumpfsinnig oder nervend denunziert. Ich halte das für ausgemachten Unfug. Selbst wenn (weil der Gegner gut verteidigt, wie Italien, wie Kroatien) das Tika-Taka mal keine Großchancen in Reihe erzeugt, bleibt die Mannschaft in des Gegners Hälfte in Ballbesitz, was die Chancen eines Gegentores per se drastisch reduziert. Ich werde langsam alt (Brille, Laktoseintoleranz, zu schnelles Auto), ich sollte darüber nachdenken, Fan eines so spielenden Teams zu werden. Oder warum sonst haben spanische Männer die höchste Lebenserwartung in Europa?
  • Weltekel II: Diesmal rede ich von meinem. Waldis EM-Klub ist so ziemlich die Größte Erdenkliche Zumutung (GEZ), die sich Redakteure einfallen lassen können, um Sendezeit nach einem EM-Spiel zu füllen. Matze Knop ist als Comedian eine Ausgeburt der deutsche Humorhölle, so witzig wie eine Darmspiegelung und so subtil wie die Rechte von Wladimir Klitschko. Gegen ihn erscheint selbst Mario Barth als Reinkarnation von Loriot. Dann beginnt jeder zweite „Stargast“ seine Ausführungen mit dem Satz: „Eigentlich habe ich ja gar keine Ahnung von Fußball“. Müsste niemand sagen, merkt der Zuschauer auch so. Danke, ARD!
  • Schlampigkeit: Ich vermisse bei der deutschen Mannschaft die Präzision und Geschwindigkeit im Umkehrspiel. Das war bei der WM deutlich besser. Schon klar, die Gegner stehen tiefer und verteidigen nicht mehr so naiv wie England und Argentinien. Umso wichtiger wäre, die Kontermöglichkeiten, die es dann doch gibt, konzentrierter vorzutragen. So wurde, gegen die in der ersten Halbzeit desolaten Holländer, eine deutlichere Führung leichtfertig vergeigt.
  • Mentalität: Die Holländer sind nach Hause gefahren, weil sie keine Spieler wie Bender, Badstuber, Hummels oder Khedira haben. Wer dort was werden will, muss Stürmer (oder zumindest offensiver Mittelfeldspieler) werden. Ihre Angriffsreihe ist Weltklasse, alles dahinter kommt über europäisches Mittelmaß nicht hinaus. Das genügte bei der WM noch, bei dieser EM, mit ihrer schier unglaublichen Leistungsdichte, war es zu wenig.
  • Späte Liebe: Dass ich das jemals schreibe, war nicht wirklich zu vermuten: Ich finde die Spielweise der Italiener bei diesem Turnier großartig. Die Zuneigung scheint gegenseitig zu sein, denn bei allen bisherigen Spielen der Azzurri habe ich exakt das richtige Resultat getippt. Kein Zweifel, Balotelli und Cassano sind außerhalb des Spielfeldes (und manchmal auch darauf) veritable Assis. Davon abgesehen muss man jedoch zugeben, dass sie ein infernalisch gutes Sturmduo bilden. Über die Qualitäten von Spielern wie Pirlo und de Rossi muss man kein weiteres Wort verlieren. Cesare Prandelli hat eine Mannschaft zusammengestellt, die mindestens so schwer zu besiegen sein wird wie die Spanier. Meiner Meinung nach sind die Italiener besser als 2006. Der einzige Trost für ein evtl. Halbfinale gegen Italien ist, dass das auf die deutsche Mannschaft ebenfalls (und hoffentlich in noch größerem Maße) zutrifft.
  • Unfug: Der von der UEFA angewandte Qualifikationsmodus bei Punktgleichheit nach drei Gruppenspielen ist schwachsinnig. Was genau sollte man zwei Mannschaften vorwerfen, denen beispielsweise ein 1:1 zum Weiterkommen reicht und die sich – ohne jede Verschwörung, ohne dass auch nur ein Wort fällt – auf dem Platz, quasi symbiotisch, auf dieses Resultat einigen, nachdem es sich aus dem Spiel heraus so ergeben hat. Während der punktgleiche Gegner gegen den Gruppenvierten ein nutzloses Tor nach dem anderen erzielt. So ein Szenario auch nur theoretisch zuzulassen, ist fahrlässig.
  • Zwischenbilanz: Das ist eine großartige EM mit fast durchweg spannenden Spielen. Klar, viele Spiele in der Champions League sind qualitativ besser. Klubmannschaften sind eingespielter und müssen sich nicht darauf verlassen, dass es in ihren Landesgrenzen Eltern gibt, die begabte Linksverteidiger zur Welt bringen. Andererseits ist das Überraschungs- und Erregungspotenzial großer Länderturniere viel höher. Das Herz schlägt einfach schneller. Jedenfalls bei mir.

Rot-Weiße Aussichten (II) – Nachrichten from Hell

Das hatte ich mir fein ausgemalt: Ein letztes, optimistisches und versöhnliches Posting zum RWE, bevor die EM unsere Aufmerksamkeit aufzehrt. Dann kamen die ersten Gerüchte um Dominick Drexler und Greuther Fürth, die dann sehr schnell vom Verein bestätigt wurden. Auch der Verbleib Smail Morabits in Erfurt ist unsicherer denn je. Der Vertrag zwischen ihm und dem FCK soll ausverhandelt sein. Was noch aussteht, ist eine Einigung zwischen den Vereinen.

Dominick Drexler hat in der abgelaufenen Spielzeit ein herausragendes letztes Saisonviertel gespielt. Zwischen dem 29. und 38. Spieltag schoss er sechs seiner acht Saisontore. Seine Leistungen davor waren (mit wenigen Ausnahmen) tristes Mittelmaß, wenn überhaupt. Insofern ist es schon sehr überraschend, dass sich mit dem Greuther Fürth plötzlich ein Erstligist an seiner Verpflichtung interessiert zeigt. Allerdings: Die sportliche Expertise von Mike Büskens und Rachid Azzouzi sollte von niemandem in Abrede gestellt werden. In aller Regel werden dort neue Spieler äußerst bedacht ausgewählt. Machen wir uns also nichts vor – wenn die Absichten der Fürther ernsthaft sind (und gegen diese Annahme spricht derzeit rein gar nichts), wird Dominick Drexler in der nächsten Saison Spieler eines Erstligisten sein. Ich bin zwar nach wie vor skeptisch, dass er sich dort sportlich durchsetzen wird, wünsche ihm jedoch alles Gute dafür. Dass sein Verlust für den RWE keine gute Nachricht wäre, bedarf an dieser Stelle einer besonderen Erwähnung nicht.

In Fall Morabit müsste man leider von einer Katastrophe sprechen, sollte er den RWE in Richtung Betzenberg verlassen. Der RWE sollte alles in seinen Möglichkeiten stehende tun, dies zu vermeiden – und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Verantwortlichen dies ebenso sehen. Die Verpflichtung von Smail Morabit (bei einem Marktwert von quasi null) war im letzten Jahr der Transfercoup der dritten Liga schlechthin, das hat seine sportliche Entwicklung während der letzten Saison eindrucksvoll gezeigt. In meinen Augen ist diese sportliche Entwicklung noch weit davon entfernt, abgeschlossen zu sein. Soll heißen: Da ist sogar noch reichlich Luft nach oben. Trotzdem ist er in der Rangliste von kicker.de der notenbeste Stürmer der letzten Saison.

Kommen wir nun – wie annonciert – zur bisher spektakulärsten Neuverpflichtung: Mijo Tunjic. Nach allem was ich bisher über ihn gelesen und gesehen habe, muss man konstatieren, dass er, was seine sportlichen Qualitäten betrifft, quasi ein Wiedergänger von Marcel Reichwein ist. Und somit eine höchst nachvollziehbare Verpflichtung darstellt. Trotz seiner 1,86 Meter Körpergröße ist er ein technisch begabter, mitspielender Centerstürmer, der sich vor allem als Wandspieler initiativ in die eigenen Angriffsbemühungen einschaltet. Er ist kopfballstark und wird dies beim RWE auch in der Defensive (vor allem bei gegnerischen Standards) unter Beweis stellen müssen. In diesem Blog wird – aus naheliegenden Gründen – in der Regel eher weniger über charakterliche Qualitäten von Spielern spekuliert. Bei Mijo Tunjic jedoch, gewinnt man schon den Eindruck, dass seiner sportlichen Performance eine positive öffentliche Wahrnehmung förderlich ist. Vielleicht mehr als dies bei anderen Spielern der Fall ist. Nun, nach zwei Jahren trostloser Unterhachinger Heimspielatmosphäre, soll es daran beim RWE nicht mangeln. Aber, er ist eben ein Mittelstürmer und als solcher auf Vorlagen und sonstige Zuarbeiten anderer Offensivspieler zwingend angewiesen. Und es ist eben ein Unterschied, ob ich einen Mittelstürmer in ein erprobtes Spielsystem einpassen kann, oder ob ich, hinsichtlich fast aller Personalien das letzte Spieldrittel betreffend, quasi bei Null anfange. Was der Fall wäre, wenn Morabit und Drexler den Verein verlassen.

Die Entscheidung der sportlichen Leitung, vier der begabtesten A-Junioren mit einem Profivertrag auszustatten, ist so konsequent wie erfreulich. Philipp Klewin, Maik Baumgarten, Kevin Möhwald und Patrick Göbel haben unter der Leitung von Christian Preußer eine herausragende Saison gespielt und zur Überraschung vieler (auch meiner eigenen) mehrheitlich auf Augenhöhe mit den Nachwuchsteams von Erstligisten agiert. Trotzdem ist ihre sportliche Perspektive im Kader der Profimannschaft sehr unterschiedlich.

Philipp Klewin muss sich als dritter Torhüter (hinter Sponsel und Rickert) erst einmal mit einer Reservistenrolle begnügen. Da es sich aber lohnt dabei nicht vorschnell die Geduld zu verlieren, hat Andreas Sponsel bewiesen, der sehr ausdauernd auf seine Chance gewartet hat, diese dann aber konsequent zu nutzen wusste.

Maik Baumgarten ist ja schon länger im Fokus der ersten Mannschaft. Sein Pech in der letzten Saison war, dass er ausgerechnet bei einer desolaten Vorstellung der gesamten Mannschaft in der Startelf stand (1. Halbzeit in Unterhaching). Auf seiner Position im zentralen Mittelfeld wird auch er sich zunächst schwer tun gegen die Konkurrenz von Engelhardt und Pfingsten-Reddig. Er ist aber ein körperlich robuster, technisch und taktisch ungemein solide ausgebildeter Mittelfeldspieler, der vor allem in der Arbeit nach hinten seine großen Stärken hat. Für ihn böten – meines Erachtens nach – die beiden defensiven Außenbahnen durchaus Alternativen zur Position im zentralen Mittelfeld.

Kevin Möhwald ist derjenige unter den vier Rookies, dem ich eigentlich sofort eine Chance in der ersten Mannschaft bieten würde. In Christian Preußers Team ist er verantwortlich für den zentralen offensiven Spielaufbau, inklusive der Spielverlagerungen auf die Außenpositionen. Mehr ein Achter als ein Zehner. Das Problem ist, dass es diese Position in Emmerlings 4-4-2 eigentlich nicht gibt. Diese Aufgabe teilen sich der offensive Sechser (meist Pfingsten-Reddig) und die hängende Spitze (meist Morabit). Allerdings könnte auch in Möhwalds Fall eine Außenposition (in dem Fall die offensive) eine Option sein, ihn in die Mannschaft einzubauen. Die Umstellung auf ein 4-2-3-1 – mit ihm als zentralen offensiven Mittelfeldspieler würde seinen Fähigkeiten allerdings am ehesten Rechnung tragen. Jedoch – in Anbetracht der völlig offenen Personalfragen in der Offensive – ist all das pure Spekulation.

Patrick Göbel. Für mich die Sphinx unter den vier Jungs. 13 Tore, 11 Torvorlagen in der gerade beendeten Saison – überragende Werte für einen linken Mittelfeldspieler. Göbel (1,73 Meter) ist ein grandioser Techniker, der schon allein mit seinen sensationellen Standards neue Impulse in der Profimannschaft setzen könnte. Aber: Technisch begabte Mittelfeldspieler bevölkern zu Dutzenden Ober- und Landesligen. Viele von ihnen setzen sich im Profibereich nie durch, weil sie sich zu sehr auf ihre Begabung verlassen und zu wenig an ihren körperlichen Defiziten arbeiten. Dass Patrick Göbel die fußballerischen Fähigkeiten mitbringt, Profifußball zu spielen, steht für mich außer Frage. Doch sollte man ihm klar machen, dass neben dem Fußballfeld die Hölle des Kraftraums auf ihn wartet, damit dies kein Traum für ihn bleibt.

So, nach der Europameisterschaft geht es weiter mit den Rot-Weißen Aussichten. Vielen Dank an alle Leser dieses Blogs für die fast durchgängig positive Resonanz. Uns allen wünsche ich grandiose Spiele in Polen und der Ukraine, vor allem natürlich von der deutschen Mannschaft. Aber da bin ich sehr optimistisch.

Habt Euch wohl in diesem Sommer.

Rot-Weiße Aussichten (I) – Das defensive Mittelfeld

Auf sie wird viel ankommen: Pfingsten-Reddig und Engelhardt  / © www.fototifosi.de

Ich könnte jetzt einfach behaupten, mein längeres Schweigen in diesem Blog sei einer Schreibblockade geschuldet, oder ein postsaisonales Burn-Out-Monster hätte mich in seinen schrecklichen Klauen gefangen gehalten. Wäre aber gelogen. Mir geht es gut. Ich habe mir selbst mal ein paar Tage freigegeben, da ich es irgendwie bescheuert finde, jede Wasserstandsmeldung beim RWE kommentierend begleiten, bejammern oder bejubeln zu wollen. Jetzt allerdings, drei Wochen nach Saisonende, wird langsam deutlich in welche Richtung sich die Dinge für die kommende Saison entwickeln. Deshalb – in loser Reihenfolge – einige Gedanken zu den Aussichten für die neue Spielzeit.

Beginnen wir heute mit dem Herzstück einer Fußballmannschaft, dem zentralen Mittelfeld. Was zu befürchten war, ist nicht eingetreten. Die Mannschaft muss nicht weitgehend neu erfunden werden. So wie es momentan aussieht, bleibt (mit Ausnahme von Caillas) der gesamte Defensiverbund beieinander, einschließlich der beiden Sechser Engelhardt und Pfingsten-Reddig. Das erfreut doch sehr, denn mit der Verlängerung des Vertrages von Pfingsten hatte ich kaum noch gerechnet.

Die Saisonvorbereitung wird Stefan Emmerling u.a. dazu nutzen, die Aufgabenverteilung zwischen diesen beiden erfahrenen Spielern neu zu bestimmen. Das hat nicht in allen Spielen der Rückrunde optimal funktioniert, was natürlich auch dem Umstand geschuldet war, dass Engelhardt relativ unvermittelt Zedis Position eingenommen hat. Der Bedarf, die Positionen und Aufgaben dieser beiden Schlüsselspieler akribisch zu trainieren, ergibt sich aber in erster Linie aus ihrer relativen Gleichartigkeit. Beides sind spielintelligente und passstarke Mittelfeldspieler, die ihre Vorzüge im Offensivspiel haben. Bei den meisten Mannschaften im Profibereich übernimmt jedoch einer der beiden Sechser eher absichernde Aufgaben, während der andere sich stärker ins Offensivspiel einschaltet bzw. dieses sogar maßgeblich initiiert. In der Regel ist diese Rollenverteilung relativ starr; Spezialistentum herrscht vor: zum Beispiel wird Xabi Alonso immer einen defensiven Sechser spielen, egal ob bei Real Madrid oder in der spanischen Nationalmannschaft. (Das hat in seinem Fall auch damit zu tun, dass eine seiner großen Stärken millimetergenaue, weite Pässe auf die Außenbahnen sind, ein bevorzugtes Mittel von Mourinho zur Spieleröffnung.) Desgleichen wird Luis Gustavo in jeder Mannschaft immer den absichernden, eher destruktiven Part im Mittelfeld übernehmen.

Im Mittelfeld des RWE war dies, noch in der ersten Saisonhälfte, die Aufgaben von Rudi Zedi. Pfingsten-Reddig kümmerte sich um die Spieleröffnung und schaltete sich, wann immer dies möglich war, in die direkten Angriffsaktionen ein. Im Grunde wurde diese Aufgabenverteilung nach Engelhardts Aufrücken ins zentrale Mittelfeld beibehalten. Eine Option wäre natürlich, den derzeitigen Trend zu negieren und eine variable, der jeweiligen Spielsituation angepasste Positionierung vorzusehen. Die Vorteile liegen auf der Hand: beide könnten ihre Spiel- und Raumintelligenz kreativ zur Geltung bringen, das Aufbauspiel wäre für den Gegner schwerer zu durchschauen. Die Risiken treten jedoch ebenso deutlich hervor: ein Verzicht auf feste Zuordnungen erfordert eine immense Eingespieltheit und ein solide miteinander synchronisiertes Spielverständnis. Sicherheit gebende Automatismen würden weitgehend entfallen. Mit anderen Worten: das wäre tendenziell die offensivere Variante, allerdings mit der quasi eingebauten Garantie bei Ballverlusten dem Gegner große Räume anzubieten, wenn die Abstimmung nicht funktioniert. Keine ganz leichte Entscheidung für Stefan Emmerling. Da ich aber glaube, dass er beiden Spielern (mit einigem Recht) viel zutraut, denke ich, dass er sich für die Option einer fluiden Aufgabenverteilung entscheiden wird und die genannten Risiken in Kauf nimmt, bzw. darauf vertraut, dass diese beiden Schlüsselspieler ausreichend Erfahrung besitzen, um in der jeweiligen Spielsituation das Richtige zu tun.

In der nächsten Folge der Rot-Weißen Aussichten wird es um die jetzt schon feststehenden Neuverpflichtungen gehen, mit einem Schwerpunkt zu Mijo Tunjic, aber auch einer persönlichen Einschätzung zu den Chancen unserer aufgerückten A-Junioren Baumgarten, Möhwald und Göbel sich in der dritten Liga zu behaupten.

Rot-Weiß Erfurt vs. RW Oberhausen: Wenn selbst Siege Trauer tragen

Fokussiert: Dominick Drexler  / © www.fototifosi.de

Irgendwann Mitte der ersten Halbzeit vergab Marcel Reichwein seine zweite und – wie sich zeigen sollte – letzte Torchance in diesem Spiel, in diesem Stadion, für diesen Verein. Einer der Dauerkarteninhaber um mich herum, noch nie ein großer Reichwein-Freund, jaulte auf und schimpfte: «Mein Gott, den muss er doch machen.» Eine zugegeben vergleichsweise harmlose Bemerkung, die ich normalerweise ignorieren würde. Nicht so am Samstag. Ich konnte nicht anders und wies ihn darauf hin, dass selbst die ganz Großen dieses Sport mitnichten all ihre Torchancen zu nutzen wissen und es mir überdies rätselhaft sei, wieso man dieser Tatsache nicht einmal im letzten Spiel von Marcel Reichwein Rechnung tragen kann. Sowie der Tatsache von 29 Toren und 16 Torvorlagen in zwei Drittligaspielzeiten. Wir haben dann in der Halbzeit ein Bier zusammen getrunken und uns wieder vertragen. Er war – wie ich, wie viele – einfach nur sauer, dass es wieder nichts wird mit dem Aufstieg (oder wenigstens der Relegation) und aus alter Gewohnheit bot sich unser Mittelstürmer als Zielscheibe an. Eine Enttäuschung die ich, wie gesagt, völlig nachvollziehen kann, da ich sie selbst empfinde. Nur weiß ich auch, dass Defätismus, Resignation und Schuldzuweisungen die denkbar ungeeignetsten Reaktionen auf erlittene Niederlagen darstellen.

Für Oberhausen nur noch ein Freundschaftsspiel

Aus offensichtlichen Gründen muss man zum Spiel selbst nicht allzu viele Worte verlieren. Oberhausen war abgestiegen und spielte auch so. Dadurch hatte das Geschehen auf dem Rasen, spätestens nach dem 2:0, Freundschaftsspielcharakter. Der RWE musste gewinnen – und spielte auch so. Die Mannschaft, der von einigen bereits eine Söldnermentalität attestiert wurde, gewann die letzten drei Spiele der Saison. Muster ohne Wert, leider. Auch unentwegtes Aktualisieren des Wischtelefons in Tateinheit mit irrationalem Anflehen höherer Mächte half nichts: Der Liveticker des SV Sandhausen meldete um 15.17 Uhr die Niederlage. Ihre, vor allem aber unsere. Nie war ein Sieg so sinnlos. So meine Gemütslage, als ich – passenderweise nass wie ein begossener Pudel – wieder auf dem Heimweg war.

Größere Enttäuschung als letztes Jahr

Meine Enttäuschung über die abgelaufene Saison ist dramatisch größer als im letzten Jahr. In der letzten Spielzeit rechnete ich über lange Phasen nicht damit, dass der RWE irgendetwas mit dem Aufstieg zu tun haben würde. Und, ganz entscheidend, ich traute es der Mannschaft vor allem fußballerisch nicht zu. Dann kam der Sieg in Dresden und plötzlich schien alles möglich. Daraufhin wurde in Wiesbaden gewonnen und plötzlich war alles möglich. Schließlich stürzte das ganze Kartenhaus gegen Regensburg und Ahlen wieder zusammen. Das alles spielte sich zeitlich sehr gedrängt ab. Wie in einem schlechten Film: Der Held sieht seine seit Jahren vermisste Geliebte plötzlich auf der anderen Straßenseite. Er lächelt, sie lächelt. Er rennt mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. Dann überrollt ihn der Bus. THE END.

Ganz anders in diesem Jahr. Um das Bild ein letztes Mal zu gebrauchen: In dieser Spielzeit hat uns der Bus gleich mehrmals überfahren. Soweit die Emotionen. Nun zu den Fakten.

Die Zugänge waren Verstärkungen

Vor der Saison war die sportliche Leitung (im Wesentlichen also Stefan Emmerling) genötigt zahlreiche Abgänge durch neue Spieler zu ersetzen. Das gelang wie bereits im Jahr zuvor bemerkenswert gut: Morabit, Rickert, Rauw, Oumari, Manno und Ofosu-Ayeh gehörten über die ganze Saison hinweg zu den 16 bis 17 Spielern der Kernmannschaft. Morabits Verpflichtung war sogar ein kleiner Geniestreich. Der Franzose wurde vom saarländischen Oberligisten SF Köllerbach verpflichtet und schon im Vorbereitungsspiel gegen Werden Bremen war seine spielerische Klasse nicht zu übersehen. In der Innenverteidigung wurde Routine (Rauw) und Perspektive (Oumari) verpflichtet. Beides Verteidiger, die fußballerisch besser sind als Möckel, Hillebrandt und Pohl. Wer das nicht wahrhaben will, erinnere sich an das zuweilen atemberaubend dilettantische Gekicke vor dem eigenen Tor in den letzten Jahren. Etwas, das man in dieser Saison kaum zu ertragen hatte. Natürlich auch dank eines immer wertvoller werdenden Tom Betram. Mit Ofosu-Ayeh wurde ein 19 Jahre alter Nachwuchsspieler aus Wilhelmshaven geholt, dessen Saison Licht und Schatten aufwies, der aber eindeutig ebenfalls auf der Habenseite von Emmerlings Verpflichtungen zu verorten ist. Für alles, was er auf dem Platz geleistet hat, trifft das gleichermaßen auf Gaetano Manno zu. Von Hause aus ein Stürmer hat er im offensiven Mittelfeld mehrheitlich gute, engagierte Spiele geboten. Das ist keineswegs selbstverständlich, da er hier deutlich mehr Defensivarbeit leisten muss, wozu er klaglos bereit und in der Lage war.

Während der Winterpause konnte sich der Verein zudem mit Marco Engelhardt auf einen langfristigen Vertrag einigen. Und, obwohl er quasi ein Jahr keinen Fußball mehr gespielt hatte, gelang ihm bereits in Bremen der Sprung in die Stammelf. Angesichts dieser Verstärkungen ist Emmerlings Aussage, dass die Mannschaft spielerisch besser sei als jene der letzten Saison völlig nachvollziehbar. Wir halten fest: mehr spielerische Qualität bei kleinerem Etat. Schon rechnerisch war das nur möglich, weil der RWE mit 23 Spielern den numerisch kleinsten Kader aller Drittligamannschaften aufwies (Quelle: transfermarkt.de).

Viele Spiele wurden von Kleinigkeiten entschieden

Warum hat es dann trotzdem wieder nur zu Platz 5 gereicht? Nun, ich glaube nicht, dass es hierfür eine monokausale, alles erfassende, quasi mohrensche Antwort gibt. Jedenfalls keine plausible. Eine Ursache liegt meines Erachtens in der immensen sportlichen Ausgeglichenheit der Liga. Es gab eine Unmenge enge Spiele. Spiele in denen Kleinigkeiten und Zufälle den Ausschlag gaben. In einigen dieser Spiele hatte die Mannschaft schlichtweg Pech, in anderen vergab sie Führungen durch mentale und taktische Leichtfertigen, wobei Ersteres meist Letzterem vorausging. Natürlich wurden taktische Fehler gemacht, nicht alle vom Trainer erdachten Spielpläne gingen auf und manchmal, ja manchmal, verlor man gegen eine an diesem Tag schlichtweg bessere Mannschaft. Was aber vergleichsweise selten vorkam.

In einer separaten Saisonanalyse werde ich darauf noch detaillierter zu sprechen kommen. Wie ausgeglichen der gesamte Wettbewerb 3.Liga war, sollen hier schon mal einige Zahlen verdeutlichen.

Extrem hohe Leistungsdichte

Die längste Siegesserie aller Mannschaften (8 Siege in Folge) bescherte dem VfR Aalen (bei ansonsten durchschnittlicher Bilanz) den direkten Aufstieg. Eine ähnliche Sequenz der Chemnitzer nach der Winterpause katapultierte die Sachsen zwischenzeitlich von sehr weit unten auf den Relegationsplatz. Gerade mal 22 Punkte liegen zwischen dem Tabellenführer (Sandhausen, 66) und dem ersten Nichtabstiegsplatz (Babelsberg, 44). In den bisherigen Spielzeiten war der Abstand (meist deutlich) größer: 08/09 – 38 Punkte, 09/10 – 23, 10/11 – 49. Der Tabellenvierzehnte Darmstadt verlor nur drei Spiele mehr als Primus Sandhausen. Burghausen, Tabellensechster, verlor sogar drei Partien weniger (7) als der Spitzenreiter (10). Die 18 Unentschieden der Oberbayern (zwei davon gegen den RWE) werden wohl ein Rekord für die Drittligaewigkeit bleiben.

Es fühlt sich nicht so an, aber es war eine gute Saison

Nüchtern betrachtet hat die Mannschaft des FC Rot-Weiß Erfurt unter ihrem Trainer Stefan Emmerling erneut eine gute Drittligasaison gespielt. Der fünfte Platz lässt wenig Raum für andere Interpretation. Im Grunde wurde die Mannschaft ein Opfer der durch sie selbst entfachten Erwartungen. Die frustrierende Erfahrung scheinbar leichtfertig vertaner Aufstiegschancen teilen wir allerdings mit den Anhängern anderer Vereine: siehe Chemnitz, siehe Burghausen, siehe Heidenheim, siehe die Offenbacher Kickers. Auch die wurden das ein oder andere Mal vom Bus der eigenen Illusionen überrollt, auch die hatten beständig (Burghausen, Offenbach, Heidenheim) oder zum Ende (Chemnitz) die Aufstiegsplätze vor der Nase. Das wird in Erfurt niemanden trösten, sollte aber Anlass genug sein, über die vermeintliche Singularität hiesigen Elends hinwegzukommen.

Das Wichtigste zum Ende dieses Postings: Wie die meisten bereits wissen, hat sich unser U18-Nationalspieler Johannes Bergmann am Sonntag beim Spiel gegen den VfL Osnabrück schwer verletzt. Ihm wünschen wir alles erdenklich Gute, vor allem jedoch baldige und vollständige Genesung. Kopf hoch, Johannes!

Sportlicher Erfolg trotz sanitärem Debakel

Der Schein trügt. Bei dem hier abgebildeten Gebäudekomplex handelt es sich nicht um ein provisorisches Terrorcamp im Hindukusch. Was sie hier sehen, sind die Funktionsgebäude des Sportzentrums Cyriaksgebreite. Fertig gestellt Ende der siebziger Jahre, wird es seitdem vom FC Rot-Weiß Erfurt als Trainingsgelände und für den Spielbetrieb seiner Nachwuchsmannschaften genutzt. In dieser Sache gab es gestern gute Nachrichten zu vermelden: der RWE konnte mit vier seiner begabtesten A-Junioren Profiverträge abschließen: Kevin Möhwald, Maik Baumgarten, Patrick Göbel und Philipp Klewin werden ab der nächsten Spielzeit den Kader des Drittligateams verstärken.

Seit seiner Entstehung wird, quasi systemübergreifend, in der Talentschmiede des RWE gute Arbeit geleistet. In der aktuellen Saison spielen die A-Junioren eine hervorragende Rolle in der Junioren-Bundesliga, die B-Junioren können sich Aufstiegshoffnungen in die deutsche Nachwuchseliteliga machen.

Das ist ein kleines Wunder, beschaut man die Rahmenbedingungen etwas genauer, unter denen im Erfurter Gebreite trainiert werden muss. Die Qualität der Plätze ist sicherlich nicht optimal, vor allem fehlt ein wintertauglicher Kunstrasenplatz, angesichts anderer Mängel kann man diese Defizite jedoch getrost vernachlässigen. Das eigentliche Problem stellen die Umkleidekabinen und sanitären Einrichtungen dar. Im Grunde ist hier seit 30 Jahren nichts passiert, was die Bezeichnung Sanierung rechtfertigen würde. Von Modernisierung gar nicht zu reden. Der Verein Pro-RWE. Die Nachwuchspaten hat es sich zur Aufgabe gemacht, alle Nachwuchsabteilungen des Vereins nach Kräften zu unterstützen. In dieser Eigenschaft konnten sich einige Mitglieder vor zwei Wochen einen Überblick über den Zustand der sanitären Anlagen machen. Und waren einigermaßen sprachlos. Nebenstehendes Foto soll verdeutlichen, dass es hier nicht um goldene Wasserhähne oder Marmor geflieste Entmüdungsbecken geht, sondern um elementare hygienische Mängel. Ein Mitarbeiter der RWE-Nachwuchsabteilung sagte, ich zitiere: «Meine Kinder würde ich hier nicht duschen lassen.» Nun, sehr viel eindrücklicher kann man das Desaster kaum beschreiben.

Eine Renovierung des Duschbereiches würde – nach Angaben eines Mitarbeiters – ungefähr 10.000 EUR kosten. Angesichts der über lange Jahre immer wieder aufs Neue unter Beweis gestellten Leistungsfähigkeit des RWE-Nachwuchszentrums eine Summe, welche die Stadt Erfurt und der Verein aufzubringen in der Lage sein sollen. An der Unterstützung des Vereins Pro-RWE. Die Nachwuchspaten soll es nicht mangeln. Für eine Summe dieser Größenordnung allerdings, bedarf es der Kooperation mit Eigentümer und Hauptnutzer. Private Initiative kann viel leisten, Wunder gehören nicht dazu.

Chemnitzer FC vs. Rot-Weiß Erfurt 0:2 / Eine Ahnung von Größe

Sie schossen die Tore: Reichwein und Drexler  / © www.fototifosi.de

Auf die Details kommt es an. Im Fußball wie im Leben, das man gerne auch das richtige nennt. RWE Co-Trainer Henri Fuchs erklärte in der Halbzeit im mdr, dass man die Spieler genau instruiert habe, wie sie den CFC-Rechtsverteidiger Fabian Stenzel anlaufen sollen. Nämlich so, dass er den Ball möglichst nur in die Mitte des Spielfeldes weiterpassen kann und nicht auf die rechte Seite zu Ronny Garbuschewski.

Chemnitz minus Garbuschewski / Kein Problem für den RWE

Stefan Emmerling verwendete also viel gedankliche Mühe darauf, den Spielmacher der Chemnitzer zu isolieren und scheute nicht davor zurück, seine Defensive aufwendig umzubauen. Das gelang glänzend. Wenn Garbuschewski dann doch mal am Ball war, kümmerte sich Joan Oumari um ihn, eine Dienstleistung, auf die der Chemnitzer Regisseur gewiss gerne verzichtet hätte. Die Erfurter Viererkette mit Rauw, Zedi, Bertram und Oumari war eine Novität, spielte aber, als hätte sie in dieser Konstellation schon manche Schlacht geschlagen. Die Aufstellung Oumaris hinten links hatte einen weiteren Vorteil. Damit war Caillas für das linke Mittelfeld frei und mittels seiner Spielstärke gelang es, Stenzel in der Abwehr zu binden. Ein weiterer Mosaikstein, um Garbuschewskis taktische Quarantäne im Angriff zu perfektionieren. Auch ansonsten gab es an diesem wunderbaren Nachmittag im Stadion an der Gellertstraße keinen Ausfall im Trikot des RWE. Im Gegenteil: Drexler und Reichwein waren pures Nitroglyzerin für die Verteidigung der Chemnitzer. Nach 28 Minuten – mit der Roten Karte gegen Bankert – hatten die beiden dann auch sämtliche Aufstiegsträume des CFC pulverisiert. Mission accomplished.

Die Rote Karte war berechtigt

Im oben schon erwähnten Halbzeitinterview des mdr bewies Henri Fuchs diplomatisches Geschick. Er wollte wohl nicht noch Öl ins Feuer gießen und befand, dass man „die Rote Karte nicht hätte geben müssen.“ Nun ja, was muss man schon geben? Festzuhalten bleibt, dass sich die Entscheidung von Schiedsrichter Stegemann völlig mit der korrespondierenden Regel des Deutschen Fußballbundes im Einklang befand. Diese lautet nämlich: „Ein Spieler … erhält die Rote Karte und wird des Feldes verwiesen, wenn er eines der folgendes Vergehen begeht: (u.a.) Vereiteln einer offensichtlichen Torchance für einen auf sein Tor zulaufenden Gegenspieler durch ein Vergehen, das mit Freistoß oder Strafstoß zu ahnden ist.“ Man kann sich die Szene wegen mir jetzt noch hundertmal anschauen, Stoff für Verschwörungstheorien sieht anders aus. Bankert tat durch sein Foul genau das: Er verhinderte eine offensichtliche Torchance. Amen. Und wenn ein mdr-Sportreporter noch einmal irgendeinen Blödsinn im Sinne von: Er war doch gar nicht letzter Mann erzählt, storniere ich den Dauerauftrag für die GEZ. Denn ob jemand „letzter Mann“ war, ist in etwa so relevant wie das Wahlergebnis von Dr. Gerd-Bezahlt-Euer-Stadion-Doch-Selber-Stübner für die Erfurter Kommunalpolitik: nämlich null.

Wäre das Spiel ohne diese Rote Karte anders verlaufen? Nun, darauf deutet wenig bis nichts hin. Der RWE war davor und danach die dominierende Mannschaft und es stand bereits 0:2, als der Chemnitzer Innenverteidiger vom Feld musste.

Im Hinspiel hatte ich einen taktischen Punktsieg Gerd Schädlichs über seinen Erfurter Kollegen konstatiert (RWE – CFC 0:0 / Emmerling vs. Schädlich 0:1). Emmerling hat sich am Samstag eindrucksvoll gerächt rehabilitiert. Nicht zum ersten Mal stellte sich dabei die Polyvalenz einiger RWE-Spieler als großes Plus heraus. Drexler spielte grandios in der Spitze, Caillas weiß auf jeder Position links der Spielmitte zu gefallen und Joan Oumari mag die tiefen Teller nicht erfunden haben, aber auf dem Platz ist er eigentlich immer ein Gewinn für die Stabilität des Rot-Weißen Defensivspiels.

Hoffentlich nicht wieder ein großer personeller Umbruch

Ich konnte nicht umhin, mich am Spiel des RWE in Chemnitz hochgradig zu erfreuen. Dabei war es keineswegs berauschend, spielerisch hatte die Mannschaft in dieser Saison schon Effektvolleres geboten. Doch vielleicht lag genau an diesem Punkt der Unterschied zu anderen, nicht siegreich beendeten Spielen: Nach der Führung wurde getan, was notwendig war, um zu gewinnen, und nicht das, woran man Spaß hat. Kein Glänzen wollen, keine Hackenpässe, kein Nachlassen im Gefühl einer vermeintlichen Überlegenheit. Einfach nur: konzentrierter Ergebnisfußball. Es beschlich mich – nicht zum ersten Mal – eine Ahnung davon, was mit dieser Mannschaft möglich gewesen wäre.

Meine Vorfreude auf das letzte Saisonspiel gegen Oberhausen ist ohnehin mit reichlich Wehmut vermischt. Wieder verlassen mit Olivier Caillas (sicher) und Marcel Reichwein (so gut wie sicher) zwei Spieler den RWE, die ich gerne länger in Erfurt spielen gesehen hätte. Dass die so Welt ist, muss mir jetzt niemand erklären. Das weiß ich. Es ändert nur nichts an der Leerstelle, die diese Fußballer hinterlassen werden und auf deren adäquaten Ersatz man vorerst nur hoffen darf. Umso wichtiger wäre, dass die auslaufenden Verträge mit anderen Leistungsträgern dieser Spielzeit, wie Pfingsten-Reddig und Weidlich, verlängert werden. Klar, auch diese beiden haben sich schwächere Spiele gestattet, und vor allem Weidlich ist derzeit nicht gerade in einer Überform. Nichtsdestotrotz handelt es sich um zwei Stammspieler, die – nimmt man alles in allem – ihre Drittligatauglichkeit in zwei Spielzeiten verlässlich demonstriert haben. Werden sie weiterhin an den Verein gebunden, könnte man sich bei der Personalsuche für die neue Saison auf die beiden defensiven Außenbahnen konzentrieren, hier herrscht absehbar der größte Handlungsbedarf.

Rot-Weiß Erfurt vs. Unterhaching / Irgendwie gewonnen

Pfingsten-Reddig schaut seinem Tor zu / © www.fototifosi.de

Es gab in dieser Saison einige Spiele, die der FC Rot-Weiß Erfurt im heimischen Steigerwaldstadion hätte gewinnen müssen. Jenes vom Samstag gegen Unterhaching gehört definitiv nicht in diese Kategorie. Wenn es dumm normal läuft, führen die Gäste zur Halbzeit mit 3:1. Mindestens.

Sponsel könnte auch Handballtorwart

Dabei begann es richtig gut. Pfingsten-Reddig, Morabit und der Meister höchstselbst waren an den Vorbereitungen zu Reichweins Führungstreffer beteiligt. Da waren noch keine 120 Sekunden gespielt und alle hofften auf eine Gala à la Sandhausen. Dass nichts daraus wurde, lag in erster Linie an der SpVgg Unterhaching. Bereits unmittelbar nach dem Gegentreffer hatten sie die Riesenchance auf den Ausgleich. Andreas Sponsel wurde zu einer ersten Glanzparade genötigt, weitere vier Mal wehrte er anschließend Schüsse aus kürzester Entfernung ab; die Sinnhaftigkeit seiner Vertragsverlängerung eindrucksvoll unterstreichend. Ihm allein war es zu danken, dass der Ausgleich erst kurz vor dem Halbzeitpfiff fiel. Gegen Hefeles Schuss aus abermals kürzester Distanz war er chancenlos. Es war ohnehin nur eine Frage, wann der Ausgleich fallen würde, nicht ob.

Ehrlich gesagt waren meine Hoffnungen auf eine bessere zweite Halbzeit des RWE arg limitiert. Wortschatz von Podolski nichts dagegen. Wer sich für die derzeitigen fußballerischen Baustellen des RWE interessiert, muss sich keinen Cutter suchen. Ein Videoband der ersten Hälfte genügt vollauf. En suite gaben sich alle Defizite die Ehre: Das zentrale Mittelfeld bekam keinen Zugriff auf ihre jeweiligen Kombattanten in dieser entscheidenden Zone. Entweder stand man zu weit von den Gegenspielern entfernt oder attackierte diese nicht aggressiv genug. Des Gleichen war die Raumaufteilung mangelhaft. Den Hachingern gelang es immer wieder, flache, vertikale Bälle zu spielen, ein sicheres Indiz dafür, dass das Verstellen der Passwege nicht wirklich funktioniert. Was die Verteidiger zuverlässig alt aussehen lässt.

Schlagseite auf links / Segen und Fluch in einem

Zudem hatte das Spiel des RWE, nicht zum ersten Mal, schwere Schlagseite nach links. Ich denke, nein, ich bin sicher, dass dies in erster Linie mit der Positionierung von Olivier Caillas auf der linken Abwehrseite zu tun hat. Wird hinten herausgespielt, ist es zumeist Caillas der den Spielaufbau betreibt. Er versucht zunächst schon (taktisch lehrbuchmäßig), das Aufbauspiel zentral anzulegen. Sind allerdings die Passwege auf die beiden 6er verstellt, spielt er dann aber sehr häufig einen langen Ball auf die linke Seite. Diese Zuspiele haben meist eine hohe Qualität, weswegen Morabit und Pfingsten-Reddig sich häufig in diesen Raum orientieren. Zusätzlich zum offensiven Spieler auf dieser Seite (z.B. Drexler) und zum evtl. noch aufrückenden Caillas selbst. Was für eine hohe spielerische Qualität auf dieser Seite sorgt. Meiner Schätzung nach sind mindestens die Hälfte aller Tore und Torchancen des RWE  in der zweiten Saisonhälfte auf diese Weise entstanden. So what, ist doch prima! Im Grunde schon, wenn da nicht noch die rechte Hälfte des Spielfeldes wäre. Dazu muss man sich klar machen, das Pfingsten-Reddig um nach links zu kommen, den eigentlich auf dieser Seite des zentralen Mittelfeldes agierenden Engelhardt quasi links überholen muss. Wird der Ball in so einem Moment vom Gegner abgefangen, ergeben sich auf unserer rechten Defensivseite unendliche Räume für schnelle Konter. Das ist dann kaum zu verteidigen.

Stefan Emmerling weiß um dieses Manko. Es ist halt nur verdammt schwer zu beheben, da unser Offensivspiel über die rechte Seite eklatante spielerische Defizite aufweist. Weidlich, mit mehr Schatten als Licht (und insgesamt einer Stagnation in seiner Entwicklung) und Ofosu-Ayeh, der zwar rackert wie ein Grubengaul, aber mit seinen Forrest-Gump-Gedächtnisläufen zu einem konstruktiven, passorientierten Spielaufbau wenig beiträgt. Nun, das Problem der linksseitigen Asynchronität wird sich mit dem Abschied von Olivier Caillas vermutlich erübrigen. Um eine raumgreifende initiale Spielgestaltung seiner Elf muss sich Stefan Emmerling jedoch weiterhin sorgen. Eine – möglicherweise auch durch neues Personal herbeizuführende – Verstärkung der rechten Seite spielt dabei in seinen Überlegungen gewiss eine Rolle.

Ein Endspiel in Chemnitz / Auch für die Mannschaft?

Wie gesagt, ich hatte mich eigentlich von allen Hoffnungen für diese Begegnung verabschiedet. Und die ersten Minuten der zweiten Halbzeit schienen wenig geeignet, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Doch dann drehte das Spiel, ebenso unvermittelt wie deutlich sichtbar: Der RWE gewann mehr Zweikämpfe, zweite Bälle wurden erobert, die Passgenauigkeit erhöht, es gelang sogar die ein oder andere Spielverlagerung auf die rechte Seite. Nach dem Tor von Pfingsten-Reddig waren die Hachinger zunächst nicht in der Lage etwas Zwingendes zu erwidern. Der RWE schien das Ergebnis nach Hause schaukeln zu können. Das war optimistisch gedacht. Von mir und wohl gleichfalls von der Mannschaft. Denn in den letzten Minuten kam es zu einem Dauer-Tohuwabohu im Erfurter Strafraum. Der Fußballgott mag ein launischer Himmelsfürst sein – grundhaft ungerecht ist er nicht. Das Glück, jenes uns in einigen Saisonspielen abging, war dem RWE in der crunch-time gegen Unterhaching gewogen. Die drei Punkte blieben im Steigerwaldstadion.

Jetzt Chemnitz. Die verloren zwar in Regensburg, allerdings höchst unglücklich, denn der CFC war dort in weiten Phasen das bessere Team. Die Mannschaft von Gerd Schädlich wird bis in die letzte Synapse hinein motiviert sein. Emmerlings Spieler erwartet zudem ein emotional aufgeheizter Hexenkessel. Dort kann nur erfolgreich sein, wer über 90 Minuten engagierten, strukturierten und konzentrierten Fußball spielt. Das Setzen gelegentlicher spielerischer Glanzlichter wird im Stadion an der Gellertstraße nicht mal ansatzweise genügen. Nicht gegen diesen Gegner, nicht in dieser Atmosphäre. Aber, ich wüsste keinen geeigneteren Anlass für die Mannschaft, alle Kritiker von ihrer fußballerischen und charakterlichen Stärke zu überzeugen. Auf geht’s Jungs!

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